22. Jahrgang | Sonderausgabe | 25. Februar 2019

Über Subversivität und Selbstschutz

von Alfons Markuske

Nie in eine Arbeit hineingehen,
als hätte man schon Erfolg gehabt hat.
(Friedo Solter)

Zwar gibt in diesem Buch der Schauspieler Christian Grashof, lange Jahre zugehörig zum Ensemble des Deutschen Theaters (DT) in Berlin, ausführlich Auskunft über sein Werden zum und seine Entwicklung als Schauspieler. Auch kommen seine Ansichten zu dieser Profession und ihren diversen Kontexten, zuvorderst zum Theater und dann zum Film, sowie über Gott und die Welt („Was trauen Sie der Menschheit nicht mehr zu? Kommunismus.“) nicht zu kurz. Dennoch ist der Untertitel des Buches – „Gespräche mit Hans-Dieter Schütt“ – insofern irreführend, als außer Schütt noch reichlich Kollegen, Regisseure und andere Weggefährten Grashofs zu Wort kommen, die manches Erhellende, Interessante beitragen und nicht zuletzt Anekdotisches, was alles dem Protagonisten selbst so wahrscheinlich nicht zu entlocken gewesen wäre. Alexander Lang zum Beispiel, der zu DDR-Zeiten in seinen Arbeiten am DT Grashof häufig prominent besetzte, teilt mit: „Chris war der subversivste Schauspieler, den ich erlebte, mit dem ich engstens zusammenarbeiten konnte und durfte. Ein Tänzer über den Abgründen politischer Vorgaben und angestrebter Normierungen.“ Lang bezog sich dabei insbesondere auf seine DT-Inszenierung von Büchners „Dantons Tod“ (1981), in der Grashof gleichzeitig die beiden großen Antreiber und späteren Antipoden der Französischen Revolution, Robespierre und Danton, spielte. Diese Regiearbeit Langs gilt bis heute zu Recht als eine der Sternstunden des Hauses in der Schumannstraße.
Grashof selbst gibt vieles preis, Herkunft und Elternhaus inklusive: „Als ich in der Schule meine erste Vier in einer Mathematikarbeit erhielt, fürchtete ich das strafende Schweigen meiner Mutter. Mir war die Zensur unangenehm. Also ging ich frühmorgens – Mutter war schon auf Arbeit – zu meinem Vater und bat ihn, er möge unterschreiben. Ich nutzte sein Wesen aus. Denn was tat er? Er straffte sich, griff zum Stift, ließ sich die Stelle zeigen, wo er zu signieren hatte, und holte mit einem Schwung aus, als unterzeichne er einen Staatsvertrag. Der Akt der Unterschrift war ihm wichtig, nicht das, was er da unterschrieb. Ich war gerettet.“
Über Grashofs privates Erwachsenenleben hingegen erfährt man nichts, was ihn, von seiner schauspielerischen Größe mal ganz abgesehen, wohltuend unterscheidet von jenem nicht erst heutzutage weit verbreiteten boulevardaffinen Darsteller-Typus, der im Zweifelfalle auch noch die letzte Flatulenz für unbedingt mitteilenswert hält, wenn es sich denn bloß um die eigene handelt. Schütt über Grashof: „Er ist stets gefeit gewesen gegen die spezifischen Gefährdungen einer kultgierigen Mimen-Aura; dazu ist er zu bodenständig, vor allem fehlt ihm das notwendige Quantum Dummheit für diese um sich greifende Lebensart.“
Wenn Rezensionen deswegen geschrieben werden, damit schlechte Bücher kein Publikum finden, gute und bessere aber schon, dann ist es in letztgenannter Hinsicht trotzdem eine keineswegs unübliche Unart, die besten Pointen derselben schon in der Besprechung zu verraten. Dieser Versuchung soll hier ausdrücklich widerstanden werden. Zum Anfüttern daher nur so viel: Der Titel des Buches hat mit Grashofs Wertschätzung für Charly Chaplin zu tun, und Grashofs Physiognomie, die auf eine versuchte Boxer-Karriere schließen lässt, mit seiner Berufstätigkeit vor der Schauspielerei.
Schütt selbst, das soll nicht unerwähnt bleiben, steuerte zu diesem durch zahlreiche Fotos und ein Rollenverzeichnis zusätzlich angereicherte Buch, außer dass er die Gespräche mit Grashof führte und niederschrieb, einen Essay mit dem trefflichen Titel „ Der Sinn des Sockels ist die Fallhöhe“ bei, in dem er kenntnisreich und differenziert Arbeit und Rolle des DT in der DDR und danach reflektiert. Darinnen Sätze wie diese, die einem bekennenden Verehrer des alten DT, als der sich der Rezensent freimütig outet, aus dem Herzen gesprochen sind: „Das Deutsche Theater war zu DDR-Zeiten wahrlich nicht nur sozialistisches Staatstheater, es war königlich gutes Theater. Wer heute an jenes DT der vierzig zentral gelenkten Jahre denkt, erinnert sich mit Recht (und Wehmut, natürlich!, und Verklärung, ja, warum denn nicht!) an Zeiten, da in der Schumannstraße 13 a die Wurzellosigkeit ein unbekanntes und Schauspieler ein majestätisches Wort war.“
Auch mit seiner Einschätzung des interviewten Mimen hält Schütt nicht hinter dem Berg: „Dieser Schauspieler ist kein Bedeutsamkeitshuber, der uns weismachen will, er erfinde beim Darstellen den Dichter; nein, er kommt, wenn er spielt, vom Parkplatz und aus der Garderobe, nicht aus Shakespeares Seele höchstpersönlich.“ Und in einem „Nachsatz“ ergänzt Schütt: Grashof „war nie ein Quotengarant, der sich Glanzrollen wie ‚Solitäre‘ ansteckte und damit paradierte. […].“
Und Grashof über Grashof? Zum Beispiel dieses: „Gelobt sei meine Dummheit. Sie kann ein wichtiger Selbstschutz sein, wenn die Analytiker anrücken.“

Christian Grashof: Kam, sah und stolperte. Gespräche mit Hans-Dieter Schütt, Theater der Zeit, Berlin 2018, 327 Seiten, 22,00 Euro.