von Clemens Fischer
Seit „Fanfan, der Husar“, in meinem nunmehr fortgeschrittenen Alter stehe ich nicht länger an, es frank und frei einzugestehen, bin ich angetan von Kostümfilmen. Zuvorderst von solchen der Sparte Mantel & Degen. Edle, tapfere Männer und sehr schöne, überaus gefühlvolle Frauen, also eine Melange aus Abenteuer und Liebe, die durchaus nicht wenige für ein, wenn nicht für das Synonym von Kitsch halten mögen. Doch auch mit ernsthafterer Grundierung – meine Initiation in dieser Richtung, ältere Leser werden sich dieses Streifens mit Willy A. Kleinau und Henny Porten noch erinnern, war „Das Fräulein von Scuderie“ – goutiere ich diese Art von Filmen.
Die Kulturpolitik in der DDR war, was das Genre Kostümfilm an sich anbetraf, überraschend weltoffen und unterhielt die eingemauerten Werktätigen insbesondere mit entsprechenden Streifen aus französischer Produktion. Deren immer gleiches Strickmuster – selbstloser Rächer, hin und wieder der Geknechteten und Verarmten, rettet vor allem (oder rettet halt nicht, das kam vor) die Angebetete seines Herzens und bringt dabei en passant die Welt zumindest teil- und zeitweise wieder ins Lot – ignorierte zwar vollständig das Proletariat als das Subjekt des historischen und gesellschaftlichen Fortschritts, aber wenigstens traf es stets die Richtigen: den ebenso verkommenen wie verbrecherischen Adel. Und so hießen die Kinohelden meiner Jugend nicht nur Gojko Mitić und Ernst Thälmann – Sohn, respektive Führer seiner Klasse –, sondern nicht minder Jean Marais, Jean-Paul Belmondo, Alain Delon und Gérard Barray sowie D’Artagnan, Athos, Porthos und Aramis. Letztere in der französischen Adaption von Bernard Borderie von 1961. Die Weltoffenheit der DDR ausgerechnet in dieser Sache mag nicht zuletzt davon gespeist worden sein, das all diese Streifen in einer untergegangenen Welt angesiedelt waren, die nicht zur Republikflucht reizte. Eher im Gegenteil …
Ein Kostümfilm ist das Oscar-nominierte Opus „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ zweifelsfrei ebenfalls, allerdings einer der etwas anderen Art. Das zeigt sich schon an den Kameraeinstellungen (oft und teils lange nur auf die Gesichter der Protagonisten fokussiert, die allerdings jedes Mal wirklich etwas zu erzählen haben!) und -fahrten (mit extremen Weitwinkelaufnahmen und Reißschwenks; Kamera: Robbie Ryan), die zwar gewöhnungsbedürftig sind, dann aber doch einen Teil des speziellen Reizes dieses Streifens ausmachen. Wem von Regisseur Giorgos Lanthimos bisher nur „The Killing of a Sacred Deer“ oder „The Lobster“ bekannt sind, dem sei versichert: Der kann nicht nur Arthouse, der kann auch prallen Barock. Wer allerdings bis dato noch nicht ahnte, dass Frauen – so die charakterlichen Anlagen gegeben sind und die Umstände geradezu danach schreien – ohne Weiteres die böseren Menschen sein können, der sollte auf einen Kulturschock gefasst sein. (Bekanntschaft, und sei es bloß mediale, mit Alice Schwarzer, Verona Pooth / Feldbusch und Gloria von Thurn und Taxis ist durchaus geeignet, letzteren zu mildern.) Die Botschaft, von einem Mann inszeniert, könnte in Zeiten eines ubiquitären hypersensiblen Feminismus schnell nach hinten losgehen. Aber Lanthimos dürfte entsprechenden Attacken dadurch vorgebeugt haben, dass er ein Drehbuch verfilmte, an dem eine weibliche Autorin (Deborah Davis) entscheidend beteiligt war und an dem die Debütantin überdies 20 Jahre gearbeitet hat.
Eine Entdeckung als Hauptdarstellerin der Queen Anne ist Olivia Colman, die mir bisher nur als Ermittlerin aus der starken britischen Krimi-Serie „Broadchurch“ bekannt war. Stark aber nicht unbedingt durch Colmans Darstellung, sondern eher durch einen sehr gelungenen Spannungsbogen, den die Macher unter anderem dadurch hielten, dass bis zum Dreh der finalen Folge der zweiten Staffel selbst keiner der beteiligten Schauspieler wusste, wer von ihnen eigentlich der Täter sein würde. (Nur meine überaus kombinationsstarke Lebens- und Serien-gucken-Partnerin hatte schon in der zweiten von 16 Folgen den richtigen Verdächtigen „auf dem Schirm“. Aber das muss die Macher nicht grämen. Vor meiner Frau H. hat noch nahezu kein Plot sein Geheimnis bis zum Schluss zu wahren vermocht.)
Doch ich bin schon wieder abgeschweift. Für Colmans Nominierung als Beste Darstellerin für die diesjährigen Oscars drücke ich kräftig die Daumen. Sie konnte zu dieser grandiosen darstellerischen Form sicher nicht zuletzt deswegen auflaufen, weil sie mit Rachel Weisz und Emma Stone, den beiden anderen bösen Damen des Trios Infernale dieses Films, zwei kongeniale Partnerinnen hatte.
Im Übrigen ist „The Favourite“ ein eindrückliches, weil zugleich ein doppeltes Beispiel dafür, dass Hochmut tatsächlich vor dem Fall kommt. Und zwar gerade unter bösen Menschen.
„The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ – Regie: Giorgos Lanthimos; derzeit in den Kinos.
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