von Dieter Naumann
Ein Reisebuch als Wegweiser sei für jeden Reisenden ein notwendiges Erfordernis, schrieb 1856 der Berliner Journalist Gustav Rasch im Vorwort seines Buches „Ein Ausflug nach Rügen“ und legte auch gleich die Begründung nach: „Wenig Reisende haben Zeit, Lust und Gelegenheit, ein Land, zu dessen Besuch ihnen ein Zeitraum von wenigen Wochen, oft nur von wenigen Tagen zugemessen ist, in topographischer, historischer und statistischer Beziehung vorher zu studieren […].“
Schlechte Wege und Verkehrsmittel, ungenügende Verpflegungsvorrichtungen, hohe Zeiterfordernis sowie häufig mangelnde persönlicher Sicherheit führten lange dazu, dass Reisen „als eine Arbeit, nicht aber als Vergnügen erscheinen zu lassen“, schrieb der Brockhaus von 1886. Das traf lange Zeit auch auf Reisen auf die Insel Rügen zu.
Worauf musste sich ein Reisender zu dieser Zeit einstellen? Der Führer für Badegäste und Touristen von Edwin Müller verwies 1886 darauf, dass es Anfang des 19. Jahrhunderts auf Rügen außer dem Ratskeller zu Bergen praktisch kein Wirtshaus gab. Daher sollten nur Leute die Insel bereisen, welche mit Empfehlungen an Geistliche und Gutsbesitzer versehen waren und deren Gastfreundschaft in Anspruch nehmen konnten. Nur wenige Jahre später, 1896, warnte Griebens Reiseführer davor, ohne vorher fest gemietete Wohnung mit Familie während der Schulferienzeit in ein rügensches Bad zu reisen. Dass man sich in Quartierfragen auf angeforderte Prospekte der Badeorte nicht verlassen könne, meinte Kiesslings Reiseführer 1902, da manche von ihnen „nichts weniger als unbefangene Darstellungen der Verhältnisse (sind)“ und auf das, was man wissen will, nicht eingingen. Noch 1931 empfahlen Meyers Reisebücher den Reisenden, die die Verhältnisse auf Rügen nicht kennen, das briefliche Mieten von vorher nicht besichtigten Privatwohnungen zu vermeiden. Vielmehr frage man vor der Abreise bei der Verwaltung des gewählten Badeortes an, ob noch Wohnungen vorhanden sind. „Erfolgt befriedigende Antwort, so reist man ab, bleibt den ersten Tag in einem der Gasthöfe des betreffenden Ortes und sucht sich am andern Tage eine geeignete Wohnung.“ Dass diese Vorgehensweise den Hotel- und Pensionsbesitzern nicht gefallen konnte, zeigte das Beispiel eines Sassnitzer Hoteliers, der einen Berliner Kaufmann, der sich für ein, zwei Tage bei ihm einquartiert hatte, um eine preiswertere Wohnung bei einem Fischer zu suchen, kurzerhand vor die Tür setzte.
Elizabeth von Arnim, die im letzten Jahrzehnt vor dem ersten Weltkrieg Rügen bereiste, musste zur Ferienzeit erfahren, dass es fast aussichtslos war, Zimmer zu mieten. In Binz, wo sie nur deshalb ein Zimmer bekam, weil „der Herr aus Berlin“, der für die ganze Saison gemietet hatte, „kurzfristig verhindert“ sei, wurde ihr von der Wirtin Abendessen angeboten. Die entsprechenden Vorräte hatte besagter Herr für sein Abendbrot vorausgeschickt. Auf die Frage, ob der Herr aus Berlin nicht eventuell plötzlich doch noch anreisen könnte, erfuhr von Arnim, dass er ganz bestimmt nicht kommen könne, er sei verstorben.
Mit der Quartiersuche war es häufig nicht getan. Wer bei einem Fischer oder Bauer unterkam, musste das nötige Mobiliar, Geschirr und Bettzeug mitbringen, sich selbst um Verpflegung, Transportmöglichkeiten, Reiserouten und so weiter kümmern. Selbst in Pensionen und Hotels mussten Betten bis in die 1920er Jahre gesondert gebucht werden.
Kein Wunder, dass bald das Bedürfnis nach Reisen aufkam, bei denen man sich weder um das Quartier und die Verpflegung, noch um die Reiseroute zu kümmern brauchte. Anbieter derartiger Reisen waren unter anderem die „Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft“, die Fahrten mit so genannten „Verwaltungssonderzügen“ mit bis zu 50 Prozent Fahrpreisermäßigung gegenüber dem Standardtarif anbot, Reisebüros wie „Wiking-Tourist“ mit „Bureau“ in der Berliner Friedrichstraße (im Angebot zum Beispiel eine viertägige Reise nach Bornholm und Rügen mit Verpflegung und Logis für 40 Mark), die NS-Organisation „Kraft durch Freude“. Weniger bekannt waren die an eine bestimmte Klientel gerichteten Pauschalangebote zum Beispiel vom „Verlag Peter. J. Oestergaard“ in Berlin, dessen Abteilung Gesellschaftsreisen den Lesern von Welt und Wissen als Sonderangebot eine ein- oder zweiwöchige Reise „nach Kurhaus Binz, dem vornehmsten und besten Hotel auf Rügen“ anbot.
Das „Rügensche Reisebüro“ von Albert Thormann in Baabe, für dessen Reisen man sich im Reise- und Verkaufsbüro im Kaufhaus des Westens in Berlin anmelden konnte, bot in einem Flyer für 1936 ein- oder mehrwöchige Gesellschaftsreisen nach Rügen an. Eine Woche ab Berlin und zurück kostete 58 Reichsmark, in der Hochsaison 65. Eingeschlossen waren Dritte-Klasse-Bahn- und Dampferfahrt, Vollpension in guten Häusern, Bedienzuschlag, Beförderung des Handgepäcks, Kurtaxe, ein Tagesausflug nach Stubbenkammer und Sassnitz und Führung bei allen Ausflügen.
Die Verpflegung setzte sich aus Frühstück (Kaffee, Tee, Milch oder Kakao mit Brötchen, Brot, Butter, Marmelade), Mittagessen (Suppe, Fleisch- oder Fischgericht, Gemüse oder Kompott, Süßspeise) und Abendessen (warmes Vorgericht und belegtes Butterbrot oder kalte Platte) zusammen, Getränke waren nicht eingeschlossen. Thormann folgte damit den zu dieser Zeit geltenden Bestimmungen der „Fachgruppe Beherbergungsgewerbe im Einvernehmen mit dem Reichsausschuss für Fremdenverkehr”, in denen auch Frühstücks- und Pensionspreise und -bestandteile einheitlich geregelt waren. Aus einem entsprechenden Prospekt aus dem Jahre 1937 ist unter anderem ersichtlich, dass beim Frühstück Eier oder Aufschnitt gesondert berechnet werden konnten und die volle Pension außer dem Frühstück zwei Hauptmahlzeiten mit kleinem (Suppe oder Vorspeise mit Hauptgang und Nachspeise) oder großem Menü (mit zusätzlichem Hauptgang oder zusätzlicher Suppe oder Vorspeise) umfassen sollte. Nachmittagskaffe und weitere Mahlzeiten waren nicht eingeschlossen und konnten gesondert berechnet werden.
Die Teilnehmer der Thormann-Reisen sollten bereits ab Berlin das überreichte Reisebüro-Abzeichen anstecken, um sich von anderen Reisegesellschaften zu unterscheiden. Da das „Rügensche Reisebüro“ nur als Vermittler der Transportgesellschaften, Hotels und Verkehrsgesellschaften auftrat, waren Haftungen bei Unglücksfällen, Verlusten, Verspätungen oder sonstigen Unregelmäßigkeiten ausgeschlossen. Wie bei heutigen Pauschalreisen standen bestimmte Tage „zur freien Verfügung“, auf Wunsch und gegen Aufpreis konnten für diese Zeiten zusätzliche, zum Teil ermäßigte Ausflüge gebucht werden. Verlängerungswochen kosteten je nach Saison 36 beziehungsweise 43 Reichsmark.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bot das „Deutsche Reisebüro“ der DDR Pauschalreisen nach Rügen an. In einem Flyer von 1952 werden 14-tägige Reisen in Sonderzügen ab Berlin beworben, wobei außer der Fahrt Unterkunft, volle Verpflegung, Kurtaxe, Gepäckbeförderung, Bedienung, Steuern, Betreuung, Organisation und andere Leistungen im Preis eingeschlossen waren. Bei Unterkunft in einem Privatquartier, Frühstück im Quartier sowie Mittag- und Abendessen in einer Gaststätte kostete die Reise nach Binz 194 DM. Ein Zuschlag in Höhe von 165 DM war für „Unterbringung in einem HO-Hotel mit HO-Vollpension, besonderer Verpflegung (Frühstück: Bohnenkaffee, Aufschnitt; Bettwäsche)“ zu zahlen. Die Teilnehmer erhielten Gutscheine in Höhe von drei DM, die von bestimmten HO-Gaststätten in Zahlung genommen wurden und Auswahl à la carte erlaubten, für das Frühstück mussten 140 Gramm Fettmarken pro Woche abgegeben werden. Die Reisenden, die keine Vollpension beziehungsweise kein Mittag- und Abendessen in einer HO-Gaststätte gebucht hatten, mussten je Woche 500 Gramm Fleisch-, 350 Gramm Fett- und 150 Gramm Zuckermarken beibringen.
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