22. Jahrgang | Nummer 2 | 21. Januar 2019

Feuchtwangers ungeschönte Aufzeichnungen

von Mathias Iven

Im Jahre 1931 wurde Lion Feuchtwanger von der Redaktion des Berliner Tageblatts gefragt, ob er Tagebuch führe. Er verneinte. „Man redigiert“, so lautete seine Antwort, „die Ereignisse so, wie man möchte, dass sie verliefen, nicht wie sie wirklich geschahen.“
Gegen diese Auffassung ließ sich nichts einwenden. Doch Feuchtwanger war seinen Lesern gegenüber nicht ehrlich. Seit dem 1. Januar 1906 hielt er die für ihn wichtigen Tagesereignisse mit nur wenigen Unterbrechungen fest. Seiner späteren Aussage folgend konzentrierte er sich dabei ausschließlich auf die Fakten. Motive und Hintergründe waren etwas Sekundäres.
Entdeckt wurden die jetzt veröffentlichten, mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat versehenen Tagebücher bereits 1991 in der Wohnung von Hilde Waldo, Feuchtwangers letzter Sekretärin. Wie und wann die Aufzeichnungen in ihren Besitz kamen ist unklar. Möglicherweise wollte sie Feuchtwanger in der Zeit der McCarthy-Ära dem Zugriff des FBI entziehen. Ungeklärt ist auch die Frage, welchen Umfang das Waldo übergebene Konvolut hatte, ob Teile vernichtet wurden oder sich noch an anderer Stelle finden werden.
Mit seinen Tagebüchern hat Feuchtwanger, wie Klaus Modick in seinem Vorwort betont, ein „ehrliches, radikal unliterarisches Dokument“ hinterlassen. Dementsprechend mussten die Herausgeber – sicherlich zu Recht – Eingriffe vornehmen, die der Lesbarkeit des Ganzen zu Gute kommen. Rund die Hälfte des Textes wurde gestrichen, das betrifft vor allem sich wiederholende Äußerungen zum Tagesablauf und zu Feuchtwangers ausschweifendem Sexualleben.
Mehr als drei Jahrzehnte – vielleicht auch noch länger – führt Lion Feuchtwanger Tagebuch. Fast ein Drittel dieser Zeit lebt er im Exil. Im November 1932 bricht er zu einer Vortragstournee auf, die ihn zuerst nach London und dann nach Amerika führt. Am 30. Januar 1933 macht er Station in New York. In seinem Tagebuch notiert er: „Besonders merkwürdige Ironie, daß der deutsche Botschafter mir an dem Tag einen Lunch gibt, an dem Hitler Kanzler wird. – The lights are against me.“ Als es Zeit für die Rückkehr nach Deutschland wird, entscheidet sich Feuchtwanger dagegen.
Am 10. Mai verbrennen die neuen Machthaber seine Bücher auf dem Berliner Opernplatz, im August gehört er neben Heinrich Mann, Ernst Toller, Kurt Tucholsky und weiteren 29 Personen zu den ersten Ausgebürgerten. Feuchtwanger und seine Frau Marta befinden sich zu diesem Zeitpunkt bereits an der Côte d’Azur. Für ein paar Wochen richten sie sich zunächst in Bandol ein. Anfang Juni ziehen sie um nach Sanary-sur-Mer. „Noch viele kleine Tücken“, hält Feuchtwanger am Tag nach dem Einzug fest, „aber alles in allem erweist sich die Villa als sehr angenehm.“
Doch im Jahr darauf beginnt die Suche nach etwas Größerem, Repräsentativerem: „Nochmals das Haus Valmer bei Sanary angeschaut. Den Vertrag so gut wie fertiggemacht.“ Zwei Tage später, am 26. März 1934, ist alles unter Dach und Fach. Feuchtwangers Frau kümmert sich um die Einrichtung und den Umzug, am 5. Mai bezieht das Paar ihr neues Heim. Feuchtwanger resümiert: „Das Haus ist ganz nett, aber die Anstrengungen Martas, es so zu machen, sind unverhältnismäßig groß.“ Der Schriftsteller kann sich endlich wieder seiner Arbeit widmen. In den folgenden Jahren veröffentlicht er unter anderem die Romane „Der falsche Nero“ (1936) und „Exil“ (1939). 1936/37 reist er für zwei Monate in die Sowjetunion, seine Erlebnisse während dieser Wochen schildert er in dem Buch „Moskau 1937“.
Am 17. März 1938, vier Tage nach dem Anschluss Österreichs, sieht sich Feuchtwanger einer neuen Situation gegenüber: „Im Ort Panik wegen bevorstehendem Krieg. Zweifel, ob und wann man nach Amerika soll.“ Fünf Monate verstreichen. Erst am 14. August 1938 kommt er auf das Thema zurück: „Entschluß, erst im Frühjahr nach Amerika zu übersiedeln.“ Ein Jahr später halten sich die Feuchtwangers immer noch in Sanary auf. Mitte September 1939 werden Lion Feuchtwanger und die anderen im Ort lebenden Deutschen auf die Polizeistation gerufen: „Ich muß morgen ins Konzentrationslager. Inschrift in dem Polizeilokal: Bienvenue tous.“ Welch Ironie!
Zunächst kommt Feuchtwanger ins Internierungslager La Rode, in der Woche darauf wird er in das bei Aix-en-Provence gelegene Lager Les Milles überführt. Am Abend des 23. September 1939 schreibt er in sein Tagebuch: „Einlieferung ins Lager. Schrecklich. Militärischer Drill. Grauenvoll staubig und schmutzig.“ Bedingt durch glückliche Umstände kehrt er aber bereits vier Tage später zurück nach Sanary. Es folgen acht Monate trügerischer Stille.
Feuchtwangers Tagebuch endet am 20. Mai 1940. Der letzte Eintrag lautet: „In aller Frühe bei herrlichem Wetter die Nachricht erhalten, daß ich wieder nach Les Milles muß.“
Warum hatte er Frankreich nicht verlassen? „Was mich hielt“, so rechtfertigte er seine Haltung in dem 1942 erschienenen Buch „Der Teufel in Frankreich“, „war die innere Behaglichkeit des Lebens dort, die Schönheit des Ortes, mein wohleingerichtetes Haus, meine geliebte Bibliothek, der vertraute, in allem Kleinsten mir und meinen Methoden angepaßte Rahmen meiner Arbeit, die hundert Einzelheiten des dortigen Daseins, die mir zu lieben, schwer mißbaren Gewohnheiten geworden waren.“
Erst am 5. Oktober 1940 – nach einer spektakulären Befreiungsaktion – ging Feuchtwanger an Bord der „Excalibur“, Zielhafen New York.
Er kehrte nie wieder nach Europa zurück.

Lion Feuchtwanger: „Ein möglichst intensives Leben“. Die Tagebücher, Aufbau Verlag, Berlin 2018, 639 Seiten, 26,00 Euro.