von Erhard Weinholz
Schusterpastete hieß ein Menüvorschlag, der zu DDR-Zeiten auf den Nudelkartons zu lesen war: Eier gehörten dazu, es war nämlich ein Auflauf, Gemüse, Nudeln und ein Steak. Aber das ist doch, so dachte ich, kein Schusteressen – obwohl, im Sozialismus … Oder versteckte sich in der Namensgebung eine Kritik? Diese Steaks waren nämlich oft zäh wie Leder.
Tannenbäume sieht man spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag zuhauf auf unseren Straßen. Wer also seine Festtagslust (oder die seiner Kinder) noch ein bisschen aufschieben kann oder das heimische Weihnachten irgendwo in Zentralafrika verpasst hat, findet hier die schönsten Exemplare. Man kann in seiner Wohnung auch mehrere davon aufstellen – vielleicht wird man damit zum Vorreiter eines neuen Trends. Jetzt aber lag hier bei uns zwei Monate vor dem Fest so ein Baum auf dem Trottoir, eine schöne große Tanne, unten am Stamm zugespitzt, doch anscheinend noch ungebraucht. Wo kam sie überhaupt her? Im Oktober werden zwar schon Stollen, Lebkuchen und so weiter verkauft, aber Weihnachtstannen meines Wissens nicht. Am nächsten Tag war sie verschwunden. Hatten sich vielleicht die Engel, die das Gewünschte bringen, im Datum geirrt? Oder war sie eine Botschafterin der Weihnachtsinseln in geheimer Mission gewesen? Man weiß es nicht und wird es nie erfahren.
U-Bahnhof Senefelder Platz, am Abend des 3. Oktober: Halb versteckt hinter dem Häuschen, worin einst die Aufsicht saß, hängt ein heruntergekommener – obdachloser? – alter Mann zwischen seinen Krücken; an eine davon hat er einen prallen bunten Luftballon gebunden, einen Luftballon zum Tag der Einheit, mit dem Logo der Feier bedruckt, kleineren und größeren Kreisen in den deutschen Landesfarben. Dazu der Spruch ZU DIR? ZU MIR? ZU UNS! Leider fand die Aktion wenig Beachtung.
Vertauschen von Buchstaben, Silben und Wörtern: ein Vergnügen für Jung und Alt. Wir hatten bei uns zu Hause unter anderem ein belehrendes Kartenspiel, bei dem gegensätzliche Charaktere Paare bildeten: die munteren Naturkinder und die blassen Stubenhocker zum Beispiel. Irgendwann fing ich an, die Adjektive neu zuzuordnen; in Erinnerung geblieben sind mir davon aber nur die fröhlichen Tierquäler. Viel später kamen der junge, sympathische Massenmörder und die gnadenlosen Menschenfreunde hinzu: Im Namen des Volkes, im Namen des Friedens und des Fortschritts, im Namen einer lichten Zukunft der ganzen Menschheit – sämtliche Angeklagten lebenslänglich nach Bitterfeld! Denn wo man den höchsten Idealen folgt, kann es auch für Miesmacher und Bummelanten kein Pardon geben – das leuchtet doch wohl ein, oder?
Wurzelpeter: Geworben wurde für diesen Likör einst mit den Worten Früher oder später trinkst Du Wurzelpeter. Ja, manche erwischte es bereits in früher Jugend. Man soff als leichtsinniger Jüngling beim ersten EOS-Fasching so vor sich hin, ein Bierchen, noch ein Bierchen, und auf einmal stand da jemand im Oberlehrerkostüm (besagter Peter Wurzel nämlich), der einem teuflisch grinsend ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit zuschob; ein Schluck, schon war es geschehen. Andere manövrierten sich mit Vorsicht durchs Leben, hielten sich vom Bösen fern und stolperten zuletzt doch: ein Promotion-Event, alles gratis, hier ein Stückchen Braten, da ein Tellerchen mit Salat, auf einmal ein Gläschen, Bitte nur mal kosten – es war mit Wurzelpeter gefüllt. Ähnlich bedrohliche Werbesprüche kamen vom Postzeitungsvertrieb – Mehr wissen, mehr leisten! – und von den Wettspielbetrieben: Einmal getippt, immer dabei. Ein Fehltritt, und das ganze Leben war verpfuscht.
Youtube ist eine Internet-Plattform, auf der man uns ein X für ein U vormacht: Die Erde ist eine Scheibe, die Bundesrepublik eine GmbH, und auch Vera Lengsfeld ist vertreten und erzählt einem gläubigen Publikum, Angela Merkel habe einst am Hahn-Meitner-Institut der Akademie der Wissenschaften der DDR gearbeitet (das es nie gegeben hat), Gregor Gysi habe den Bürgerbewegungen für das Berliner Haus der Demokratie die Räume der SED-Bezirksleitung überlassen (tatsächlich waren es die der Kreisleitung Mitte), zur Allianz für Deutschland hätten sich die CDU, der Demokratische Aufbruch und die Demokratische Bauernpartei zusammengeschlossen, von noch größerem und gefährlicherem Unsinn gar nicht zu reden. Die AfDler bereichern unsere politische Kultur, wie man sieht, ganz ungemein.
Zehn Kommentare gab es unlängst im Internet zu der Meldung Fremder kümmert sich um Kind – während Mutter Papierkram erledigt. Mutter und Kind waren Schwarze, der Fremde ein Weißer. Zehn Kommentare, von denen vier gelöscht wurden, weil sie gegen die Regeln verstoßen hatten. Von wem diese Regeln stammen? Von unserer wackeren Anti-Nazi-Linken natürlich (am Wackeren kann man sie leicht erkennen). Und weshalb hält die nun so wacker ihre flott bepinselten Denkverbots-Schilder hoch? Ist doch klar: Weil sie sich nicht zutraut, im Meinungsstreit zu obsiegen. Ausländer raus – Deutschland den Deutschen!, das kommt zwar manchmal ein bisschen laut daher, aber über so eine Meinung muss man eben streiten. Oder dass die rot-grün versifften Kulturschwuchteln unser Land dem Islam ausliefern wollen, auch das ist eine Meinung – Stimme aus dem Hintergrund: Wat heißt hier Meinung? Dis is Fakt! –, die man ernst nehmen sollte und über die man streiten kann. Doch könnte das nicht in Prügeleien ausarten? Keine Angst – dafür haben wir ja die Regeln unserer demokratischen Diskurskultur, und an die müssen sich auch die Rechten halten.
Schlagwörter: DDR, Erhard Weinholz, Heim und Welt