von Thomas Behlert
Wenn man auf elektronische Musik zu sprechen kommt, werden vor allem die DJs der Jetztzeit genannt, die mit modernster Technik Mainstream-Klänge zusammenschrauben, nur nach der Verkaufshitparade schielen und in großen Tanztempeln die Komsumbegeisterten zum Tanzen bringen. Nennt mir deren Namen und mir wird schwindlig davon. Dass echte elektronische Musik in den 1970er Jahren entstanden ist, die damaligen Bastler und Krautrocker viele Geräte selbst entwickelten und auch mal Steine, die über Treppen polterten, in die Songs einbauten, ist fast vergessen. So ist es schön, dass es noch Firmen (bureau b., Grönland, Sireena) gibt, die Vergessenes auskramen und allen wieder zur Verfügung stellen.
Ein sehr wichtiges Album nennt sich „So was von egal“ (bureau b.) und packt den „German Synth Underground“ von 1980 bis 1985 darauf. Wer damals nicht täglich in tiefe Bunker oder in ungemütliche Gruften abtauchte, der kennt die Namen nicht, wird aber jetzt die Musik lieben. Ach, was ist das für herrliches Gefiepe, Gekratze mit Verzerrungen, punkigem Gehabe und verwirrendem Synth Wave. Mit dabei sind unter anderem: Der Moderne Man, Nullzeit, der Berlin Express mit „Die Russen kommen“ und ALU. Wie es der Zufall oder die Plattenfirma bureau b. will, erscheint von diesen die wundervolle Zusammenstellung „Die Vertreibung der Zeit“ (1980–1986). Und das stimmt, denn beim Hören vergisst man die Stunden, die Tage und konzentriert sich nur auf sequenzgesteuerte und simplizistische Rhythmuskörper, versucht die frei artikulierten Textfragmente zu verstehen und verkriecht sich in die aufgedrehten Rhythmusmaschinen, die spontane Eingebungen und überdrehte Loops enthalten. ALU, die ein Kind des Berliner Kassettenuntergrunds sind, haben diesmal eine Art „Best Of“ bekommen, die ein großes Versatzstück im Verständnis zeitgenössischer Clubkultur ist.
Weiter geht es zu scharfem, schneidendem und motorisiertem Beat und zu düsteren, bedrohlich wirkenden und manchmal süßlich säuselnden Klangcollagen, die eine weitere Seite des genialen, im September 2017 verstorbenen Holger Czukay (Das Blättchen 5/2018: „Instrumental betonte Klänge“) aufzeigen. Für seine ambitionierten Soloprojekte suchte er oft die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. Für die Alben „Plight & Premunition“ und „Flux & Mutability“ (Grönland) gewann Czukay den ehemaligen Sänger von Japan, der tief in Jazz und Avantgarde verwurzelt ist: David Sylvian. Gemeinsam zelebrieren sie einen verwirrenden Sound, der spirituell wirkt und durch Samples in koreanischer Sprache und Radiobeiträgen ergänzt wird. Wer es zum ersten Mal hört, braucht viel Stehvermögen, wird sich aber in der Musik verlieren und beruhigt zu einer weiteren Neuheit greifen: Tri Atma (Sireena). Im Jahre des Herrn (1977) gründeten Kunststudenten (sic!) in Hannover die deutsch-indische Band Tri Atma. Das Quintett verwendete die damals noch neue Sampling-Technologie und ließ indische Folklore, Jazz, Rock und Reggae in die Musik mit einfließen. Mit Flöten, Tamboura, Sitar, Tabals und Synthesizer wurden Grooves erzwungen, die bis heute nachwirken und durch Vitalität bestechen. Die Songs „Sometimes I’m Happy“ und „In The Beginning“ lassen erahnen, was im Studio noch alles greifbar war. Und dann gibt es Hans-Joachim Roedelius, der 1969 mit Conrad Schnitzler und Dieter Moebius das freie Musikprojekt Kluster gründete und Meilensteine elektronischer Musik schuf. Nach Schnitzlers Weggang machten R&M fast ungebremst als Cluster („Zuckerzeit“, Sowiesoso“) weiter. Schließlich kam der Tod und der letzte Tastenmann Roedelius hielt mit neuen Musikern als Qluster das einstmals entwickelte Konzept am Leben. Mit „Elemente“ (bureau b.) gibt es ein neues Album, das an die glorreiche Vergangenheit erinnert und dafür nur analoge Instrumente (Synthesizer, Rhythmusmaschinen und Farfisa-Orgel) und einen Sequenzer aus den 1970er Jahren verwendet. Durch diesen werden die vorher eingespielten Melodien in eine Endlosschleife gesetzt und mit Effekten und Equalizer in ein hypnotisches Etwas verwandelt. Die Stücke „Weite“ und „Infinitum“ verführen den Hörer in einen großen Raum voller Hall und verbinden weitere unterschiedliche musikalische Formen zu verführerischen Elementen. „Zeno“ hat filigrane Tonfolgen und „Symbia“ kommt durch das Rhodos Piano als liedhafte Melodie über den Hörer. Auch bei Qluster wirkt die Musik verdammt hypnotisch und erhaben.
Möget ihr euch mit diesen außergewöhnlichen Klängen einige schöne Stunden machen und dann weiter an den Aufbruch denken.
Schlagwörter: elektronische Musik, Holger Czukay, Qluster, Thomas Behlert