von Mario Keßler, New York
Erinnern sich Blättchen-Leser noch an Sinclair Lewis’ Buch „It Can’t Happen Here“ („Das ist bei uns nicht möglich“)? Unter diesem Titel hatte der Nobelpreisträger 1935 einen Roman vorgelegt, dessen Hauptfigur Buzz Windrip nach seiner Wahl zum Präsidenten der USA ein faschistisches Regime errichtet. Mit dieser Warnung griff Lewis in die direkte politische Auseinandersetzung um Faschismus und Antifaschismus in Franklin D. Roosevelts Amerika ein, denn die Gestalt des Buzz Windrip war dem früheren Gouverneur von Louisiana und nachmaligem US-Senator Huey Long nachempfunden, der 1935 aus nichtpolitischen Motiven ermordet wurde. Long verband ausgesprochen linke Forderungen nach höheren Sozialleistungen und einer Umverteilung des Wohlstandes zugunsten der Armen mit Methoden der Ämterpatronage, Erpressung politischer Gegner und rassistischer Agitation gegen Schwarze. Er war damit der Prototyp eines sogenannten „Dixiecrat“, das heißt eines führenden Mitgliedes der Demokratischen Partei, die in den Südstaaten einen extremen Rassismus verfocht.
Rassismus und Populismus erreichten in den Jahren des New Deal in den USA ein seit dem Bürgerkrieg unbekanntes Ausmaß. Auf mehr Besorgnis noch als Longs Auftreten stieß unter linken und liberalen Amerikanern Gerald L. K. Smith, ein katholischer Geistlicher, der als selbsternannter Nachfolger Longs 1936 in Louisiana die Union Party gründete. Die Rivalität zwischen Smith und William Lemke, dem Kandidaten der Partei für die anstehenden US-Präsidentschaftswahlen, verurteilte die Union Party jedoch zur politischen Wirkungslosigkeit. Dabei verbanden Smith und besonders Charles Coughlin, ein anderer katholischer Priester und de-facto der Parteiideologe, ihre Feindschaft gegenüber den Immigranten, besonders den aus Nazideutschland geflüchteten, mit einem sich immer mehr steigernden Antisemitismus. Sie stießen in Teilen der katholischen Bevölkerung auf Akzeptanz und konnten mit ihrer Mischung aus Populismus und Antisemitismus sogar ehemalige Linke wie Jacob S. Coxey, der einst einen der ersten Armenmärsche nach Washington organisiert hatte, gewinnen.
Doch auch profaschistische Demagogen protestantischer Spielart wie William Dudkey Pelley, der 1936 die gleichfalls kurzlebige Christian Party gründete, oder Gerald Winrod, der Führer der Defenders of Christian Faith, stießen in das Horn des Judenhasses und der Flüchtlingshetze. Vor allem aber betrieb der Ku Klux Klan neben der gewalttätigen Pogromhetze gegen Schwarze auch eine rabiate antisemitische und antikatholische Kampagne. Gemeinsam war ihnen allen, ungeachtet sonstiger Gegensätze, die Hassfigur des Juden als Urheber wie als Profiteur der Wirtschaftskrise und als „Strippenzieher“ Roosevelts. Die von Coughlin geführte Christian Front begriff sich nicht als Partei, sondern als Sammlungsbewegung aller „wahren“ Amerikaner, die folglich nur Roosevelts Gegner seien könnten.
Der Presse-Tycoon William Randolph Hearst konnte schon aufgrund seines gewaltigen Einflusses auf die öffentliche Meinung in keinem Fall ignoriert werden. „From coast to coast“, vom New York Morning Journal bis zum San Francisco Examiner, erreichten seine Massenblätter Millionen von Menschen. Hearst war zunächst ein Bewunderer Mussolinis wie Hitlers. Er reiste 1934 nach Deutschland, wo ihn Hitler empfing. Vom anfänglichen Roosevelt-Anhänger hatte sich Hearst in dessen erbitterten Gegner verwandelt und den New Deal mit der gewaltsam durchgesetzten Planwirtschaft in der Sowjetunion gleichgesetzt.
Antikommunismus und Antisozialismus verbanden sich in der Hearst-Presse mit tendenziösen Meldungen, in denen Neueinwanderer für alle möglichen Straftaten verantwortlich gemacht wurden. Die Anti-Immigrations-Kampagne erreichte im Fall von Bruno Richard Hauptmann, des angeblichen Mörders von Charles Lindberghs Baby, einen Höhepunkt. Obwohl die Beweislage gegen den aus Kamenz stammenden Hauptmann sehr dürftig war, wurde er im April 1936 hingerichtet. Hearsts Hitler-freundliche Haltung fand jedoch mit der Reichspogromnacht 1938 ihr Ende, und die deutschen Exilanten, die bis dahin Gründe gehabt hatten, die Hearst-Presse zu fürchten, sprachen und schrieben nun bisweilen freundlich über den Pressezaren.
Als ihren Hauptfeind sahen die Emigranten aller politischen Richtungen jedoch mit Recht den 1936 entstandenen Deutsch-Amerikanischen Bund an. Dieser erlebte im Gefolge der Festigung des Hitlerregimes einen Aufschwung. Er konnte bis zu 25.000 zahlende Mitglieder gewinnen. Von ihnen waren 8.000 in einer uniformierten Sturmabteilung, der SA (offiziell: Ordnungsdienst), zusammengefasst – ganz wie im deutschen „Vorbild“. Eine der Hitlerjugend nachgebildete Organisation sorgte, nicht zuletzt in Sommerlagern, für die Gehirnwäsche der Heranwachsenden. Die SA suchte Versammlungen und Demonstrationen jüdischer und gewerkschaftlicher Organisation zu sprengen und wurde sogar gegenüber jüdischen Weltkriegsveteranen gewalttätig.
In seiner Propaganda bezeichnete der Bund Präsident Roosevelt, dessen Name entstellt wurde, als jüdisch versippt und als Anhängsel seines Finanzministers Morgenthau. Eine Reihe ihrer Hetzveranstaltungen führten die Nazis gemeinsam mit Coughlins Christian Front durch. Ihre Aktivitäten bewogen jüdische Organisationen zur Forderung, die US-Bundesregierung möge Schritte zum Verbot der Nazipartei einleiten. Diese Forderungen, denen sich die Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich und Italien in ihrer Gesamtheit anschlossen, wurden lauter, als der Bund am 20. Februar 1939 im Madison Square Garden eine Kundgebung abhielt – demagogisch aus Anlass des Geburtstages von George Washington – und die Riesenhalle tatsächlich bis zum letzten Platz füllen konnte. Die Regierung wurde nun aktiv und beauftragte das im Jahre 1934 beim Repräsentantenhaus gebildete Komitee für unamerikanische Aktivitäten (House Un-American Activities Committee oder HUAC) mit der genauen Überwachung der Nazis. Doch erst mit dem Kriegseintritt der USA wurde Ende 1941 der Bund verboten.
Das nach seinem Vorsitzenden, dem demokratischen Mitglied des Repräsentantenhauses Martin Dies jr. benannte Dies-Komitee sollte jedoch nicht nur die extreme Rechte, sondern auch kommunistische Umtriebe (oder was dafür gehalten wurde) überwachen. Der Lauf der Geschichte brachte es mit sich, dass zu den Überwachten bald auch ein junger, aus Deutschland geflüchteter Schriftsteller gehörte, der 1938 mit „Nazis in U.S.A.“ die wohl wichtigste zeitgenössische Studie über Fritz Kuhn und seine Gefolgschaft geschrieben hatte: Stefan Heym.
Wer die beiden „Unite the Right“-Aufmärsche gewalttätiger Rassisten und das Massaker in der Synagoge in Pittsburgh hier jüngst am Fernsehschirm miterleben musste, wird fragen, ob die Schatten des Faschismus wirklich zu Schatten der Vergangenheit geworden sind.
Schlagwörter: „Unite the Right“-Aufmärsche, Christian Front, Hearst-Presse, Ku-Klux-Klan, Mario Keßler, Stefan Heym, Union Party, USA