21. Jahrgang | Nummer 21 | 8. Oktober 2018

Pit Kroke – Skulptur als Zeich(n)en aus Stahl im Raum

von Anita Beloubek-Hammer

Der Bildhauer, Zeichner, Maler, Fotokünstler, Architekt und Schmuckgestalter Pit Kroke war ein gebürtiger Brandenburger, 1940 in Fürstenwalde an der Spree geboren. Mit Berlin verband ihn zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn in den 1950er Jahren und an deren Ende eine enge Beziehung – vor zwei Jahren ist er hier verstorben. Dazwischen lagen drei Jahrzehnte – von 1964 bis 1992, in denen der Künstler auf der Mittelmeerinsel Sardinien lebte und arbeitete. Dort hat er seine künstlerische Prägung erhalten, die stark mit einer hier gefundenen spezifischen Lebenseinstellung und mit dem Raumerlebnis von scheinbarer Grenzenlosigkeit zusammenhing, wie es die Insellage mit ihrem allseitig weiten Horizont ermöglicht. „Soweit ich zurückdenke“, bekannte der Künstler 2003, „ist mir Freiheit von äußerster Bedeutung.“
Von 1957 bis 1962 studierte Kroke an der Kunsthochschule in Berlin-Charlottenburg, war Meisterschüler bei dem namhaften Stahlbildhauer Hans Uhlmann und beschäftigte sich zugleich mit experimenteller Fotografie in der Fotoklasse von Heinz Hajek-Halke. Ein Jahr vor Abschluss des Studiums wurde 1961 die Berliner Mauer errichtet, drei Jahre später ging Kroke nach Sardinien. Seine Wahl begründete er rückblickend mit seinem „Bedürfnis, in einer archaischen Kultur Anker zu werfen“. Er wurde nicht enttäuscht. Im Zusammenleben mit der sardischen Bevölkerung, in der Begegnung mit dem Leben der Hirten, lernte er ihren Lebenskodex schätzen, ihre damals noch archaischen Sitten und Bräuche, die Gradlinigkeit, aber auch ihre Härte – und diese neue Erfahrung war für ihn vorerst wichtiger, als sich vorrangig auf die Fortentwicklung seiner Kunst zu konzentrieren. Den Lebensunterhalt verdiente er zunächst mit Architekturaufgaben, baute Wohnhäuser und eine große Bungalow-Hotelanlage, bis er sich Anfang der 1980er Jahre wieder ganz der freien Kunst widmete.
Aus dieser frühen Zeit sind einige Kleinskulpturen aus schwarz bemaltem Stahl in der aktuellen Berliner Kroke-Ausstellung vertreten, die in etwas abgeänderter Form in monumentale Formate umgesetzt wurden: darunter Maße von über drei Metern in Höhe und Breite.
Mit solch monumentalen abstrakten Stahlplastiken, die im Laufe der Jahre eine stilistische Veränderung hin zu einer stärkeren Raumhaltigkeit und optischen Dynamik erfahren haben, ist Pit Kroke vor allem bekannt geworden. Man hat sie auf öffentlichen Plätzen in New York, Bologna, in München, Hannover und anderen deutschen Städten aufgestellt – oft nur temporär. So auch in Berlin, wo 1998 die sechs Meter hohe, schwarz getönte Stahlskulptur „Lenz 92“ am Olivaer Platz (Ku’damm) aufgestellt wurde. Sie stand dort bis zum vergangenen Jahr, wurde dann allerdings wegen Baumaßnahmen abgebaut.
1992 kehrte Kroke nach Berlin zurück. Hier schuf er für das Willy-Brandt-Haus eine multimediale „Geschichtswand“, auf der er über zwei Etagen in 32 Einzelobjekten fotografische Sequenzen zur deutschen Sozialdemokratie arrangiert hat. Hintergrund ist ein stark vergrößertes, künstlerisch bearbeitetes Foto der Maueröffnung im November 1989.
1994 gab es eine Personalausstellung im Alten Museum mit dem Titel „Stadtzeichen – Ein Projekt zur urbanen Kunst“. Zu sehen waren einige Großplastiken sowie Skulpturentwürfe für vier markante Plätze in Berlin: Im Osten waren es der Strausberger und der Senefelder Platz, im Westen der Ernst- Reuter-Platz und der vormalige Grenzpunkt Dreilinden. Mit Videoaufnahmen und Fotomontagen wurden die äußerst kühn geplanten Situationen mit riesigen aufrechten mehrteiligen Stahlskulpturen simuliert. Keines der teilweise bis zu 30 Meter hoch geplanten skulpturalen Raumzeichen wurde realisiert – sie wurden offenbar als zu radikal empfunden. Ihre charakteristische Formensprache einer irregulären, ganz persönlichen Abstraktion klingt auch in den ausgestellten, „ohne Titel“ versehenen Kleinskulpturen an:
Es ist eine Sprache, die auf Sardinien ihre Prägung erhalten hat, in der Auseinandersetzung mit Relikten einer zweitausendjährigen Vergangenheit, mit der Kultur der ersten Inselbewohner, der „Nuraghen“, ihren megalithischen Konstruktionen, „Gräbern der Giganten“, Kultbauten mit Toren.
Auch aus der antiken Ära verblieben Säulen, Bögen und Grundrisse von Fundamenten, die als Formzeichen, Skulptur und Architektur verbindend, in der Kunst von Pit Kroke wiederkehren. Die zumeist mehrteiligen Skulpturen sind nach dem architektonischen Prinzip von Tragen und Lasten, oft mit Betonung von Außen und Innen, kombiniert, nicht jedoch nach klassischem Maß und Gleichgewicht. Es gibt stets eine unregelmäßige Formverschiebung und eine Labilität der Gewichte, analog zur urtümlichen Kraft der Archaik. Technoides und Konstruiertes, somit reine Geometrie, sind den Werken fern, doch ebenso unmittelbar Organisches, nach der Natur Geformtes. Es sind eigenständige Schöpfungen, die aufgrund ihrer irregulären Formen Emotionales vermitteln: in den Großskulpturen zum Beispiel Erhabenheit oder – in freier Natur stehend – eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. Auch Spielerisches, was in den Kleinskulpturen besonders anschaulich wird. Gerade dieser Aspekt ist in einer umfangreichen kleinformatigen Werkgruppe, die nach 2000 entstand, besonders dominant. Das Wechselspiel geometrischer Formen spielt hier eine größere Rolle.
Das von Kroke bevorzugte Material für seine Skulpturen ist Stahl, den auch sein Lehrer Hans Uhlmann präferiert hat. In den Großskulpturen ist es biegsam elastisches Stahlblech, die kleinen Formate sind massiv geformt, mitunter auch mit Holzplatten kombiniert. Zumeist sind die Oberflächen schwarz gestrichen, was den Zweck verfolgt, die Eigenständigkeit der Artefakte zu behaupten. Ihre Oberflächen sollen sich weder durch Lichtreflexion noch durch Rostbildung verändern und dadurch auch nicht in ihrer Umgebung aufgehen.
In den ausgestellten Collagen sowie in dem Ohr- und Halsschmuck, den der Künstler vornehmlich für seine Frau entworfen hat, finden wir nahezu dieselben Gestaltungsprinzipien wie bei den Skulpturen, also: das poetische Spiel der Überformung, die Verwandlung gerader Linien in gebrochene, organisch Gerundetes wird in Kantiges überführt. Zahlreiche Collagen waren Vorarbeiten für Skulpturen. Mit den ausgeschnittenen Papieren ließen sich die gewünschten plastischen Bewegungsabläufe und Silhouetten leichter imaginieren. Man könnte die Skulpturen Krokes auch als Zeichnung aus Stahl im Raum bezeichnen.
Zum unterschiedlichen Einsatz von Skulptur und Zeichnung (die Collagen eingeschlossen) erklärte der Künstler: „Mir sind die Zeichnung und die Skulptur die gelegensten Ausdrucksmittel. Mal bietet sich die Zeichnung an, mal ist die Skulptur geeigneter für ein bestimmtes Thema. Die Zeichnung trägt mich in die Lüfte, läßt mich schweben von Einfall zu Einfall. […] Mir ist die Zeichnung ihrer Leichtigkeit wegen so sympathisch und wegen ihrer Fähigkeit, mit nur so wenig Materie eine Formulierung festzuhalten.
Die Skulptur hat für mich die besondere Eigenschaft, sich gerade in schwierigen Momenten an ihre Wurzeln zu klammern und so ihrem und meinem Fortbestand neues Gewicht zu verleihen.“

Pit Kroke ist als Künstler kaum einer Stilrichtung zuzuordnen. Im allgemeinen Rahmen der Abstraktion hat er als Einzelgänger ein eigenständiges Werk geschaffen, das sich sowohl durch eine persönliche Formensprache als auch durch eine besondere „spirituelle Position“, die der Künstler zu Recht betonte, auszeichnet. Dabei ging es ihm vornehmlich darum, mit seinen architektonischen Skulpturen, die aus der Erfahrung archaischer Kultur und südlicher Landschaft erwachsen waren, als Zeichen die Idee von einer humaneren Kunst auch in das Kraftfeld der Städte einzubringen. Nicht nur „ausstellen“, sondern auch „aufstellen“ sollte man daher seine Werke – es ist ein Defizit der Öffentlichkeit, das vor fast 100 Jahren mit eben diesen Worten schon Georg Kolbe beklagt hat.

Pit Kroke: „Zeichen“. Skulptur · Grafik · Schmuck, Kunsthandel Dr. Wilfried Karger im Stilwerk Berlin, Kantstr. 17, 10623 Berlin.
Geöffnet Dienstag bis Freitag 14 bis 19 Uhr, Sonnabend 10 bis 19 Uhr, bis 10. November 2018.