von Klaus Hammer
In der Liebermann-Villa am Berliner Wannsee ist in Zusammenarbeit mit der Wiener Library in London eine Ausstellung „London 1938. Mit Kandinsky, Liebermann und Klee gegen Hitler“ eröffnet worden, die an die denkwürdige Schau „Twentieth Century German Art“ 1938 in London erinnert. Damals wurden mehr als 300 Meisterwerke der deutschen Moderne, vor allem aber auch emigrierter und in Nazi-Deutschland als „entartet“ geltender Künstler unter schwierigsten Umständen zusammengetragen. Das war eine Gegenausstellung zu der NS-Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München – und Hitler schäumte, als er 1938 die von den Nazis „gleichgeschaltete“ „Große deutsche Kunstausstellung“ in München eröffnete und diese Londoner Ausstellung, die dann auch in die USA weiterging, brandmarkte.
Zum 80. Jubiläum dieses Londoner Ausstellungsereignisses konnten jetzt in der Liebermann-Villa Original-Arbeiten der Londoner Ausstellung zusammengeholt und die Ausstellung von 1938 rekonstruiert werden. Kuratiert wird diese Gedächtnisschau von der jungen englischen Kunsthistorikerin Lucy Wasensteiner, die jahrelang über das Londoner Ausstellungsprojekt von 1938 geforscht und sich fast 3 Jahre an der Liebermann-Villa aufgehalten hatte. Die ausgestellten Werke von Kandinsky, Liebermann, Nolde, Modersohn-Becker, Kokoschka, Beckmann, Dix, Kollwitz und vielen anderen wieder zu sehen, ist das eine aufregende Erlebnis. Aber zu erfahren, welch ein internationales Netzwerk damals geknüpft wurde, um Werke aus Nazi-Deutschland herauszuschmuggeln, wie – vorwiegend jüdische – Sammler, aber auch Galeristen, Kunsthistoriker und emigrierte Künstler Arbeiten ermittelten und nach London brachten, ist wenigstens ebenso beeindruckend.
Um nur ein Beispiel unter vielen zu nennen, so war es die Züricher Galeristin Irmgard Burchard, die dank ihres Schweizer Passes länderübergreifend reiste und die Leihgaben zusammentrug. Max Pechstein, der weiterhin in Deutschland lebte, nannte seine wichtigsten ausländischen Sammler, die dann ihre Werke zur Verfügung stellten. Selbst Martha Liebermann, die Witwe von Max Liebermann, ließ ein Werk ihres Mannes, das „Porträt Albert Einstein“, nach London gehen. Kurt Schwitters sandte Arbeiten aus seinem Exilland Norwegen nach England. Peggy Guggenheim, die gerade ihre Galerie Guggenheim jeune in London eröffnet hatte, vermittelte der Ausstellung Werke von Kandinsky und Kokoschka. Natürlich gab es auch Differenzen, Auseinandersetzungen, die unter anderem zum Rücktritt des emigrierten Kunstkritikers Paul Westheim führten. Er, der in der Zeit der Weimarer Republik die Zeitschrift Das Kunstblatt herausgegeben hatte und 1937 zu den Gründern des „Deutschen Künstlerbundes“ in Paris gehörte, wollte die politische Zielrichtung der Ausstellung entschieden verstärken. Der prominente Schriftsteller und Kunsthistoriker Herbert Read wurde dann Präsident des Organisationskomitees. Es kam zu einem Wechsel des Ausstellungstitels in „Twentieth Century German Art“, auch ein neuer Ausstellungsort musste mit den New Burlington Galleries gefunden werden.
Welche Werke können aus der damaligen Londoner Ausstellung nun in der Liebermann-Villa gezeigt werden? Da ist zuerst das sehr persönlich wirkende Bildnis „Professor Albert Einstein“ (1925) von Max Liebermann zu nennen. Es ist beispielhaft für dessen Porträtwerk und wurde zwar im Katalog der Londoner Ausstellung als Leihgabe eines Londoner Privatsammlers aufgeführt, doch solche Formulierungen dienten oft dazu, die Identifizierung von Eigentümern zu verhindern, die damals noch in Deutschland lebten. Das Gemälde hat sich wohl 1938 weiterhin im Besitz von Martha Liebermann befunden, denn es zählte zu den Werken, welche die Witwe des Malers seit Mitte der 1930er Jahre für verschiedene Ausstellungen zur Verfügung stellte. Unter den wohl mehr als 10 Werken, mit denen sich der Züricher Arzt und Sammler Sigmund Pollag an „Twentieth Century German Art“ beteiligte, gehörte auch Liebermanns „Konzert in der Oper“ (1922), während dessen „Kartoffelpflücker“ (1874) von dem nach London emigrierten Galeristen Max Stern stammte. Wenigstens 6 Gemälde von Lovis Corinth liehen das schon 1934 nach England emigrierte jüdische Sammlerpaar Erich und Senta Göritz, darunter auch das zauberhafte „In Bordighera“ (1912), während Corinths „Selbstbildnis“ (etwa 1912) – das Abbild wird hier aufgerissen, durchlässig für Zerrüttungen, die bisher verborgen geblieben waren – der nach 1933 aus Deutschland emigrierte Kunsthistoriker Ludwig Burchard beisteuerte. Mit wenigsten 6 Bildern Max Slevogts beteiligten sich der nach England emigrierte Arzt Janos Plech und seine Frau an der Londoner Ausstellung, so auch mit „Der Garten in Neukastel mit der Bibliothek“ (1930–31) – Slevogt malte ihn vor dem Motiv „alla prima“ – und „Der Panther“ (1931) – man scheint den Atem der Raubkatze zu spüren –, die nun am Wannsee zu sehen sind. Paula Modersohn-Beckers „Landschaft mit drei Kindern“ (1902) und „Stillleben mit Orangen, Bananen, Zitrone und Tomate“ (1906) kamen aus der Schweiz, während ihre ergreifende „Alte Armenhäuslerin“ (1906) – der Frauenkörper verweist eher auf die Stofflichkeit des Dargestellten als diesen abzubilden – als „entartet“ aus der ständigen Sammlung des Stadtmuseums Dresden entfernt werden musste und 1936 vom Basler Kunsthändler Willi Raeber gekauft wurde. Mindestens 20 Werke hatte der 1933 nach Paris geflüchtete Bankier Hugo Simon geliehen, so auch Erich Heckels „Badende“ (1914). Max Pechsteins „Fischerpferde“ (1919) stammte aus der Sammlung Walter Minnich, der größten Privatsammlung dieses Künstlers außerhalb Deutschlands. Ernst Ludwig Kirchners „Stafelalpweg“ (1918–19) war eine Leihgabe des Chefarztes eines Davoser Sanatoriums, Heinrich Staub. Die Welt der Farbe entsprach der subjektiven Natur der einstigen „Brücke“-Maler, mit denen sie auf die äußere Natur antworteten.
Der seit 1933 bei Paris lebende Wassily Kandinsky stellte wenigstens zwei von den insgesamt 13 Werken zur Verfügung, so auch „Murnau, Landschaft mit Turm“ (1908), während der andere Kandinsky, der in der Liebermann-Villa gezeigt wird, „Unbenannte Improvisation II“ (1914) – hier wirbelt ein ununterbrochener Fluss von Zeichen und grafischen Schwingungen um ein imaginäres Zentrum herum – aus der Schweizer Sammlung Nell Walden stammt, aus der wenigstens 39 Werke in London ausgestellt wurden. Eines der ergreifendsten Werke Oskar Kokoschkas ist in der Ausstellung am Wannsee das „Selbstbildnis eines ‚entarteten Künstlers’“ (1937). Der Künstler hatte es dem Industriellen und Wirtschaftswissenschaftlers Emil Korner übergeben, bei dem er damals in Tschechien Zuflucht gefunden hatte. Die Bildoberfläche ist so transparent und flackernd, als ob der Künstler sich scheut, in seiner psychischen Qual bloßgelegt zu werden. Das Aquarell „Gift“ (1932) von Paul Klee, ein Bild des Widerstandes, hatte Irmgard Burchard im Einverständnis mit dem Künstler mit wenigstens zwei weiteren Klee-Werken nach London geschickt. Die zwei Arbeiten Emil Noldes kamen aus dem Kunstmuseum Basel und von dem 1936 nach Großbritannien emigrierten Ernst Nelkenstock, während der Künstler selbst in Deutschland mit Loyalitätsbekundungen an den Kultusminister Just und den Propagandaminister Goebbels zum Ausdruck zu bringen suchte, dass er weder „entartet“ noch „undeutsch“ wäre.
Der der Ausstellung beigegebene Studienband weist aus, welch eine ungeheure Recherchierungsarbeit hier geleistet worden ist, um die Provenienz der Werke zu ermitteln, Informationen zu den Leihgebern des Jahres 1938 und zu der Resonanz der Londoner Ausstellung in Großbritannien und in NS-Deutschland zu präsentieren. Damals hat der bald ausbrechende Zweite Weltkrieg die Londoner Ausstellung vergessen lassen. Jetzt wird in der Liebermann-Villa an ein bedeutendes Kapitel nicht nur deutsch-britischer Kunstgeschichte wieder erinnert.
London 1938. Mit Kandinsky, Liebermann und Nolde gegen Hitler, Liebermann-Villa am Wannsee, Colomierstr. 3, 14109 Berlin, bis 14. Januar 2019 täglich außer dienstags 10.00 – 17.00 Uhr; Katalog 29,80 Euro.
Schlagwörter: Entartete Kunst, Kandinsky, Klaus Hammer, Liebermann, Liebermann-Villa, Lucy Wasensteiner, Nolde