von Ulrich Busch
Italien ist nicht nur „das Land, wo die Zitronen blühn“ (J. W. v. Goethe), wo die Sonne lacht und man gerne seinen Urlaub verbringt. Es ist auch ein entwickeltes Industrieland mit rund 61 Millionen Einwohnern, modernen Produktionsstätten, einer leistungsfähigen Landwirtschaft und einem entwickelten Dienstleistungssektor. Italien ist derzeit die viertgrößte Volkswirtschaft in der Europäischen Union und die achtgrößte der Welt. Bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahre 2008 war Italien (nach Deutschland) der zweitgrößte Nettozahler in der EU. Inzwischen ist das Land ökonomisch etwas zurückgefallen und rangiert nun hinter Frankreich und Großbritannien auf Platz vier.
Gleichwohl bleibt Italien eines der wichtigsten Länder in Europa. Daran ändert auch nichts, dass das Land bis heute schwer an den Folgen der Krise trägt und es im vergangenen Jahrzehnt keine italienische Regierung vermocht hat, die Wirtschaft wirksam zu reformieren und die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Deutlichstes Indiz dafür ist der nach wie vor hohe Schuldenstand des Staates. Mit einer Schuldenquote von 132 Prozent, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, ist Italien weit entfernt von den in der EU erlaubten 60 Prozent. Es erscheint daher nur konsequent, wenn die Europäische Kommission für 2019 fordert, dass Italien spart, seine Neuverschuldung also möglichst gering hält und darüber hinaus Maßnahmen einleitet, die geeignet sind, den Schuldenberg abzubauen. Dies wäre allerdings ein ziemlich unpopuläres Programm, das überhaupt nicht zur populistischen Politik der gegenwärtigen Regierung in Rom passen würde. Deren Vertreter plädieren vielmehr für eine Ausgabensteigerung auf der Grundlage neuer Schulden. Sie beabsichtigen damit, bestimmte Wahlversprechen einzulösen, erhoffen sich davon zugleich aber auch positive Effekte für das Wirtschaftswachstum und den Staatshaushalt. Der von Italien nunmehr in Brüssel vorgelegte Haushaltsentwurf für 2019 sieht deshalb eine moderate Neuverschuldung von 2,4 Prozent vor. Das ist weniger als die erlaubten drei Prozent der Maastricht-Konvention, aber mehr als die Sparkommissare in Brüssel, Berlin, Paris und so weiter Rom zubilligen wollen.
Hieran entzündete sich nun der Konflikt, der gegenwärtig, neben dem in seinen Auswirkungen weit gefährlicheren Brexit, in der EU für große Aufregung sorgt. Die schärfsten Gegner der italienischen Politik finden sich natürlich in Deutschland. So ist in den deutschen Medien von einem „Haushalt der Hasardeure“ (Süddeutsche Zeitung) die Rede, von „Realitätsverweigerung“ in Rom und einem Land, das „am Abgrund“ stehe (Handelsblatt), von einer Lage, die „außer Kontrolle zu geraten drohe“ (Die Welt) und so weiter. Dabei gilt die größte Sorge natürlich nicht Italien, sondern dem eigenen Land beziehungsweise der Europäischen Union, indem befürchtet wird, die vorgesehenen 2,4 Prozent Neuverschuldung im italienischen Haushalt könnten in Verbindung mit den ungelösten Problemen im italienischen Bankensektor eine neue Finanzkrise auslösen. Die Angst vor einer Eskalation der finanziellen Schwierigkeiten ist nicht unbegründet. Sind doch die Folgen der letzten Finanzkrise noch immer nicht gänzlich behoben und zeigen sich am Konjunkturhimmel bereits die ersten Wolken, die demnächst wieder einen ökonomischen Abschwung erwarten lassen. Andererseits aber darf nicht verkannt werden, dass ein paar Milliarden mehr Schulden in Italien noch keine Schieflage der europäischen Volkswirtschaften herbeiführen werden. Geschweige in der Weltwirtschaft. Und was die Banken anbetrifft, so ist es in Italien seit 2017 immerhin gelungen, von den 86 Milliarden Euro fauler Kredite rund die Hälfte aus den Bilanzen auszulagern und den Bankensektor dadurch zu stabilisieren.
Problematischer als die fiskalischen und bankenbezogenen Risiken dürfte auf lange Sicht der Populismus sein, der seit den letzten Wahlen für die italienische Politik bestimmend geworden ist. Die beiden Regierungsparteien Lega und Fünf Sterne brüsten sich damit, nicht den Eliten zu dienen, sondern ausschließlich dem Volk. Um dies zu beweisen haben sie eine Reihe populärer Maßnahmen wie Steuersenkungen, die Zahlung eines Grundeinkommens und die vorzeitige Verrentung hunderttausender Bürgerinnen und Bürger in ihr Programm aufgenommen. Mit dem Haushalt 2019, so Luigi di Maio, Chef der Cinque Stelle, „schaffen wir die Armut ab“. Das Geld dafür sei da, wird behauptet, man müsse es nur abrufen und umverteilen beziehungsweise schaffen – mittels Kredit und neuer Schulden. Dagegen wird in den deutschen Medien Sturm gelaufen. Man spricht von „Hasardeuren“ und „Abenteurern“ und bescheinigt den italienischen Populisten mangelnde Kompetenz und fehlende Solidität.
Zu Recht, denke ich! Aber, man blicke doch mal zur Abwechslung in die Wahlprogramme deutscher Parteien. Stehen dort nicht ganz ähnliche Forderungen und Versprechen? Zum Beispiel Steuersenkungen, vorzeitige Verrentung, Zahlung eines Grundeinkommens und anderes mehr. Ist das, was in Italien praktiziert wird, Ausdruck eines gefährlichen Populismus, aber wenn es deutsche Parteien erwägen, kluge und seriöse Politik? Natürlich lässt sich dem entgegen halten, dass die ökonomische Situation beider Staaten nicht vergleichbar sei. Italien ist hoch verschuldet und Deutschland schreibt in seinem Staatshaushalt seit einigen Jahren schwarze Nullen. Die finanziellen Spielräume sind folglich verschieden. Dies ist nicht von der Hand zu weisen. Trotzdem zeigt sich hier, dass der Populismus in der Politik keineswegs nur eine italienische Angelegenheit ist, sondern ebenso auch eine deutsche. Vielleicht ist Italien uns hier in der Politik nur einen Schritt voraus. – Es wäre ja nicht das erste Mal in der Geschichte.
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