von Horst Möller
Über Borniertheit – von G r i e c h e n – ätzt keiner so lustvoll wie Christoph Martin Wieland. Da doch zum Beispiel den Abderiten in ihrem den Fröschen heiligen Hinterland nichts wichtiger war, als sich über einen Eselsschatten die Haare zu spalten. Als Sonderling galt diesen Dödeln derjenige Mitbürger erweiterten Horizonts, der ihnen glaubhaft zu machen versuchte, dass die Äthiopier eine Venus zur Schönheitsgöttin haben, die – nun höre einer! – schwarzhäutig sei.
Überdies ließ dieser weltgewandte und deshalb für mysteriös gehaltene Demokrit wissen, dass die Weiber und Töchter der Gymnosophisten in Indien tatsächlich so nackend gehen als sie auf die Welt kommen. Und indignierten Dünkel parierte er, dass doch die spartanischen Töchter, weil sie kurze Röcke, und die am Indus, weil sie gar keine Röcke tragen, darum weder unehrbarer noch größerer Gefahr ausgesetzt seien als diejenigen, die ihre Tugend in sieben Schleier einwickelten.
Das Maß an Einfalt misst sich bei den Abderiten offenbar nach dem Abstand vom Omphalos in Delphi. Was ihnen fremd entgegentritt, gleichgültig ob von nah oder von weiter weg, wird mit Herablassung abgetan. Den Anderen in seinem Anderssein verstehen und gelten lassen? – ein schwierig Ding.
Das 21. Griechenland-Seminar in Münster zum Thema „Griechen und ihre Nachbarn“ setzt dort an, wo das Wechselverhältnis nachbarschaftlichen Mit-, Neben- oder Gegeneinanders genauer kenntlich zu machen ist. Dass – wie seit ehedem – nun nicht mehr einseitig den von Hellas ausgehenden Wirkungen, gleichsam dem griechischen Genom, nachgespürt wird, mindert mitnichten das innovative hellenische Erbe. Ohnehin implizierte ja ursprünglich das griechisch Sprechen bekanntlich keineswegs ein elitäres Bewusstsein gegenüber denen, die nicht griechisch sprechen, das heißt gegenüber den Barbaren.
In ihrem Beitrag beschäftigen sich Horst-Dieter Blume und Cay Lienau (Initiatoren dieses Kolloquiums) mit West-Thrakien, also mit der Gegend um Abdera, und deren unterschiedlichen Ethnien. Sie betonen – mit Hinweis auf die Regelung bei den Sorben – die Notwendigkeit, die Sprachen der dortigen Minderheiten zu fördern, damit die gesetzlich geregelte Gleichbehandlung auch gewährleistet ist. Einen instruktiven Aufriss der sprachlichen Um- und Überformungen im geschichtlichen Auf und Ab des Balkans steuert Thede Kahl zum Konferenzthema bei. Woraus sich ergibt: Ohne dass bei Maßnahmen, die die Homogenisierung vorantreiben, die Selbstbestimmung von Minderheiten (Makedoslawen, Pomaken, Vlachen, Torbeschen, Aromunen, Arvaniten, Albaner, Türken, Roma, die dem Holocaust entronnenen Juden nicht zu vergessen) respektiert wird – wo findet sich eine ähnliche Vielfalt auf vergleichsweise engem Raum? –, dürfte ein gedeihlicheres Zusammenleben schwer erreichbar sein.
Unlängst beim Besuch eines griechischen Gartenlokals in Karlsruhe war zu bemerken, dass die Kellner, die aus Korfu stammten, wesentlich „besser drauf“ waren als ihr griechischer Kollege vom Festland gegenüber aus dem albanischen Saranda – was nichts weiter zu besagen hat. Von erheblichem Gewicht waren dagegen die Dissonanzen, die sich nach 1990 mit den massenhaft und zumeist illegal nach Griechenland eingewanderten Albanern abgezeichnet haben. Von „Albanophobie“ spricht Christos Mallios und geht auf deren Hintergründe ein. Dass es einhundert Jahre vorher auf ganz andere Weise ein friedliches Zusammenleben von Griechen und Muslimen in Thessalien gegeben hat, lautet das Resümee aus Nicole Immigs Dissertation. Geschichtlich noch weiter zurück führt Klaus Stählers Exkurs über archäologische Belege für eine Akkulturation zwischen Griechen und Skythen. Dass seit alters her die Begegnung mit Fremdem zu wechselseitiger Bereicherung geführt hat, verdiente angesichts der aktuellen Problemlage zu Recht unterstrichen zu werden.
Selbst aus dem Türkischen erwuchs den Griechen nicht nur Unbill. Was die nach der kleinasiatischen Katastrophe Umgesiedelten an musikalischen (und zu ergänzen: kulinarischen) Neuerungen in ihrer neuen Heimat verbreiteten, war erst als Subkultur abgetan, dann assimiliert und schließlich gleichsam als Innovation nach außen getragen worden. Darauf wirft Eberhard Rondholz einen Blick. Ebenso wie von diesem bei anderer Gelegenheit auch auf die destruktiven Seiten der griechisch-türkischen Beziehungen verwiesen wurde, nimmt sich hier nun als Experte par excellence Heinz-Jürgen Axt den als „schwierig“ apostrophierten Nachbarn vor. Sein Fazit: Für die konfliktträchtige Gemengelage zeichnet sich keine Lösung ab. Am wenigsten dürfte Griechenland die „Bedrohung aus dem Osten“ dadurch abwenden können, dass es – Stand 2016 – mit 2,36 Prozent gemessen am BIP das zweithöchste Verteidigungsbudget in der Nato (USA 3,61Prozent) aufweist.
Wie aus dem facettenreichen, nun gedruckt vorliegenden Konferenzmaterial deutlich wird, gehören Dumpfheiten abderitischer Art keineswegs der Vergangenheit an. Für den Diskurs über den Umgang mit hierzulande zu Integrierenden vermittelt diese Publikation wichtige Orientierungspunkte.
Horst-Dieter Blume und Cay Lienau (Hg.): Griechen und ihre Nachbarn, Choregia, Münstersche Griechenland-Studien Heft 15, Münster 2017, 158 Seiten, 14,00 Euro.
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