von Bettina Müller
Ihre Hoheit, der Rheinsberger Schlosskater Sheldon, hat sich neuerlich an seine Gefolgschaft gewandt und zugleich angeordnet, dass seine royalen Nachtgedanken auch Blättchen-Lesern zur Kenntnis zu geben seien:
„Geöhrte Untertanen, ich gebe hiermit bekannt, dass der avisierte Sensationsbericht über den Neufundländer und wie ich ihn auf den Arm nahm (Das Blättchen 17/2018), leider entfallen muss. Zu unserem Termin ist der langhaarige Hallodri nicht erschienen. Ich beschloss daher, stattdessen eine ausgiebige Kontrollrunde durch meinen Park zu machen.
Im Halteverbot steht eine große schwarze Limousine, und zwar genau auf meinem Kutschenparkplatz. Ich bin entsetzt. Schon wieder wird sich nicht an meine Regeln gehalten. Da steht doch groß in güldenen Lettern: „Reserviert für Seine Königliche Hoheit Sheldon I.“!
Aber was duftet denn da so gut? Der Kofferraum des pièce de resistance ist einen Spalt weit geöffnet und im gepanzerten Innenleben zappelt ein Fisch in einem Wassereimer, auf dem „Eigentum des Kanzleramts“ steht. Begeistert öffne ich den Kofferraum mit meiner zierlichen Pfote und springe grazil hinein, doch durch mein nicht unerhebliches royales Gewicht fällt die Kofferraumklappe mit einem lauten Knall zu und wird unwiderruflich versiegelt. Das habe ich jetzt davon. Ich bin ein Gefangener meiner Gier. Appetit auf den Fisch habe ich auch nicht mehr, es ist sowieso nur eine mickrige Makrele, und dann lacht sie mich auch noch aus.
Kontemplative Stille. Auf einmal ruckelt es und der Wagen setzt sich bedächtig in Bewegung. Ich miaue kläglich, habe Angst vor der Reise ins Ungewisse. Ich bin ja noch nicht einmal frisiert, so kann ich unmöglich in die Tagesschau. Im Schloss wird man bestimmt denken, die Russen hätten mich entführt und würden gleich das Gift holen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit bleibt der Wagen stehen, die Klappe geht auf und mit einem empörten „Miau!“ presche ich davon. Doch wohin? Wo bin ich eigentlich? Ich husche durch die erste Tür, die sich mir geöffnet darbietet, und betrete einen riesigen Raum. Mein Blick fällt auf ein pinkfarbenes Sofa, das mit rosa Spitzenkissen dekoriert ist. Auf einem hat jemand liebevoll ein Herz und den Namen „Emmanuel“ gestickt. Ich verstecke mich erst einmal verstört hinter dem Sofa. Ich befinde mich in einer Art Wohnküche. Eine Frau in lilafarbenem Hosenanzug schält rautenförmige Kartoffeln und singt dabei enthusiastisch die französische Nationalhymne, gerät aber ständig aus dem Takt, weil sie sich ab und zu eine Träne aus dem Gesicht wischen muss. Sie wirkt auch ein wenig verwirrt und führt Selbstgespräche. „Moutarde“, „Macron“ und „Amour“ glaube ich zu hören. Wer oder was ist denn Macron? Mais oui, das ist doch dieses pastellfarbene Gebäck mit der Cremefüllung, das mir mein Hofpatissier immer zum Five o’clock tea serviert. Aber warum amour? Die isst man doch auch nicht mit Senf. Ich bin ratlos, möchte mich aber ungern zu erkennen geben. Dann zucke ich zusammen, denn völlig unvermittelt verliert die lila Dame die Contenance und brüllt wie der Leibhaftige persönlich los. Die Kartoffeln fliegen wie Geschosse durch den Raum, das 40 Zentimeter lange frisch gewetzte japanische Messer, für das mein braver Butler sechzig Monatsgehälter auf den Tisch legen müsste, verfehlt mich nur um Haaresbreite. Der Trump würde sie überhaupt nicht ernst nehmen, dem werde sie es beim nächsten Staatsbesuch mal so richtig zeigen, diesem amerikanischen Flegel! Und dann hätte Emmanuel, dieser Salaud, mit ihm Händchen gehalten und nicht mit ihr! Das könne sie nicht ertragen! Non, non, non! Sie kreischt und schmeißt sich brüllend auf den gepanzerten Boden. Einen unglaublichen Lärm produziert die Dame in Lila, den hätte man der kleinen Frau gar nicht zugetraut.
Im gleichen Moment wird die Tür mit lautem Scheppern eingetreten, es ist die GSG 9, die aufgrund des Höllenlärms ein Attentat befürchtet, das möglicherweise der russische Geheimdienst in Auftrag gegeben hat. Im Schlepptau haben sie noch einen kleinen Mann namens Joachim. Der ist leidgeprüft, das mit seinem Namen und dem roten Herz bestickte Kissen liegt schon lange in der Mottenkiste. Nur einfache Hilfstätigkeiten darf er noch verrichten, beispielsweise den Müll heraustragen.
Der lilafarbene Hosenanzug ist nun voller Tränen, fast tut er mir ein wenig leid. Also der Hosenanzug. Feiner Stoff. Dann kommen noch andere martialisch aussehende Männer und transportieren die Dame mitsamt ihrem mittlerweile völlig derangierten Hosenanzug ab. „Sie braucht einfach mal ein bisschen Ruhe“, sagt der eine, und wickelt sie in eine weiße, dick gepolsterte Jacke. Schick sieht sie nun aus. Sie sollte öfters mal Weiß tragen. Warum man ihr auch noch die Ärmchen nach hinten bindet, weiß ich nicht.
Geschickt nutze ich den Moment und entschwinde auf leisen Pfoten aus dem Inferno. Draußen sehe ich erst, wo ich eigentlich bin: Berlin! Eine leise Ahnung überkommt mich und mir schwinden fast die Sinne. Dass ich der hoch verehrten Frau unter diesen Umständen zum ersten Mal begegnen würde, wer hätte das gedacht? Ich eile zum nächsten Telefon und rufe in Rheinsberg an, mein Smartphone habe ich nämlich am Morgen aus Versehen auf Herrn Tucholskys Schreibtisch liegen lassen. Die goldene Kutsche setzt sich sofort in Bewegung, um mich abzuholen. Schon bald bin ich wieder in meinem Schloss, kann verträumt meinen Nachtgedanken nachhängen und schließlich über diesen aufregenden Tag schmunzeln. Ich mache mir eine mentale Notiz, der Kanzlerin eine Karte mit lieben Genesungswünschen zu schicken. Am besten auf Französisch. Man erzählt sich, sie sei inzwischen in einer Nervenklinik, aber ohne diesen Emmanuel. Ich weiß immer noch nicht genau, wer das eigentlich ist. Aber mit Deutschland gehe es seitdem endlich wieder aufwärts. Sagt mein Patissier.
Demnächst will ich wissen lassen, wie ich Donald Trump beim Golfspielen in Mexiko austrickste. In dem Sinne:
Ihr Sheldon“
Schlagwörter: Bettina Müller, Kater Sheldon, Rheinsberg, Tucholsky