von Gertraude Clemenz-Kirsch, aus Paris
Da wollten wir gestern zum Montmartre hoch bummeln – und auf dem Père Lachaise sind wir gelandet. Das passiert ausgerechnet mir in Paris! Da werden wir uns heute lieber keine großen Ziele vornehmen, sondern nur kreuz und quer durch das Quartier schlendern, das sich rechts der Seine befindet. Mehr noch, wir werden diesen Tag einfach nur genießen: Genießen mit großen Personen, historischen Ereignissen und – mit einem wunderbaren Menu. Wie wäre es mit einem Confit de Canard im Lipp? D’accord?
Wie jeden Tag gehen wir auch heute an den beiden ersten Häusern auf der Île de la Cité vorüber und wissen nun, dass sie noch aus der Zeit Henri IV. stammen. Verfolgen wir nun den Monarchen ein wenig und wechseln über den Pont Neuf auf das rechte Seineufer. Bald stoßen wir auf die Église Saint Germain l’Auxerrois, deren Glocken am 24. August 1572 um ein Uhr dreißig zur Frühmette zu Ehren des heiligen Apostels Bartholomäus ein grausames Ereignis einläuteten:
Tausende Hugenotten hatten sich zusammengefunden, um die Hochzeit ihres geliebten Henri III. von Navarra – dem späteren Henri IV. – und Marguerite de Valois in der Notre Dame de Paris zu feiern. Eine Aussöhnung zwischen den verfeindeten Religionen sollte diese Heirat sein, doch die katholische Catharine von Medici ergriff die Gelegenheit, um die Mehrzahl der geladenen Hugenotten zu vernichten. Catherine, die Witwe Henri II. – man nannte sie die Giftmischerin – regierte für ihren Sohn, den jungen Charles IX. Alles war abgesprochen.
Mit dem Läuten der Glocken von Saint Germain l’Auxerrois hatte der junge Charles IX. das Signal zur Vernichtung tausender Glaubensgenossen von König Henri III. von Navarra geben lassen. Um die dreitausend Hugenotten starben in Paris. „Der Pariser Pöbel, vom Blutbad berauscht, erstach und erschlug alle, die er für protestantisch hielt, auch Frauen und Kinder“, schrieb Klaus Harpprecht in der ZEIT. Das Gemetzel war so grauenvoll, dass es als Pariser Bluthochzeit in die Geschichte eingehen sollte. Als erster wurde Admiral de Coligny durch den Duc de Guise ermordet, und im Louvre erdolchte man die Schlafenden gleich in ihren Betten. Fünf Tage dauerte das Massaker, doch erst viel später, 1593, sollte der Friede zurückkehren, als Henri IV. dem Protestantismus abschwor und durch das Edikt von Nantes Religionsfrieden zusicherte. Da war Henri schon König von Frankreich und Navarra.
Am 27. Februar 1594 war er in der Kathedrale Notre-Dame-de-Chartres gesalbt und als Henri IV. zum König gekrönt worden. Was hat dieser kleine, die Frauen und sein Volk liebende König – jeder Bauer soll am Sonntag sein Huhn im Topf haben – für Paris an baulichen Schönheiten geschaffen! „Der Pont Neuf wurde vollendet… und als besondere neue Errungenschaft erachtete man die Anlage von Gehsteigen für die Fußgänger über den gesamten Brückenbereich… Die bewusste Schöpfung von königlichen Plätzen war für Paris etwas ganz Neuartiges. Man umbaute sie nunmehr mit einheitlich typisierten Häusern und legte Arkaden mit eleganten Geschäften an“, weiß Richard Waldegg zu berichten. So auch der Place des Vosges, damals noch Place Royale – der noch heute einer der schönsten Plätze von Paris ist. Napoleon benannte ihn dann zu Ehren der Einwohner aus den Vogesen, die pünktlich ihre Steuern bezahlten, in Place des Vosges, den Vogesenplatz, um.
Als französisches Herrscherideal bot Henri IV. für einige Schriftsteller, so auch für Heinrich Mann, ein ideales Romanvorbild. „Der Fünfzigjährige sprach: ‚Unser guter Herr König, auf einer Jagd im Vorbeireiten sahen Sie mein Haus, dass es einstürzen wollte. Da gaben Sie Weisung, es aufzurichten, bezahlten sogleich dreißig Pfund und noch vierzig Groschen für das Essen.‘ ‚Ha!‘ rief der König. ‚Hab ich bei dir gegessen. Welchen Tag und was?‘ ‚Am Sonntag, ein Huhn.‘“
In einem Winkel des Platzes findet man den Durchgang zu einem der reichsten Stadtpaläste von Paris: dem Hôtel Sully. Maximilian von Béthune, der spätere Duc de Sully, ebenfalls in der reformierten Kirche erzogen, war ein Lebensfreund Henris. Gemeinsam kämpften sie schon als junge Leute für ihren Glauben, und oftmals musste Sully den zur Verschwendung und Ausschweifung neigenden Freund zum Maßhalten ermahnen. Sully soll es gewesen sein, der Henri 1593 zur Annahme des Katholizismus bewegte, um den Bürgerkrieg zu beenden. 1597 ernannte Henri IV. ihn zu seinem Oberintendanten der königlichen Finanzen, 1606 wurde er Herzog der Ländereien von Sully. Ein begnadeter Finanzminister war er, dem es gelang, die Staatsschulden zu tilgen und das Land zum Wohlstand zu führen. 1634 erwarb er als Vierundsiebzigjähriger den Palast im vornehmen Marais und machte ihn zum Zentrum des intellektuellen und mondänen Lebens von Paris. 1611, ein Jahr nach der Ermordung seines Freundes Henri IV., zog sich Sully endgültig auf sein Schloss an die Loire zurück, das er schon einige Jahre zuvor nach seinen Plänen hatte umgestalten lassen.
Doch halt, hier in der Pariser Rue de la Ferronnerie vor dem Haus Nummer 11 haltet inne und schaut auf das eingelassene Wappen mit den drei Lilien auf der Straße. Es war der 14. Mai 1610, als der religiöse Fanatiker François Ravaillac in die Deichsel der Kutsche griff, in der sich der König befand. Ravaillac sprang in den Wagen und erstach den König mit drei heftigen Messerstichen. François de Malherbe berichtet von dem dramatischen Geschehen:
„Als man in die Rue de la Ferronnerie kam, und zwar vor das Haus Zum Salamander, stieß man auf einen Karren, der die königliche Karosse zwang, dicht an die Eisenwarenläden heranzufahren, die neben den Saint-Innocent liegen […] Dort warf sich ein verabscheuungswürdiger Mörder, der bei dem nächsten Laden, dem Geschäft zum gekrönten, von einem Pfeil durchbohrten Herzen, stand, auf den König […]“
Der älteste Sohn Henri IV. – seine zweite Frau Maria von Medici hatte ihm drei Töchter und zwei Söhne geschenkt – wurde sein Nachfolger. Eine Stunde nach dem Tod seines Vaters wurde der Neunjährige als Ludwig XIII. inthronisiert. Der Dauphin verließ sogleich das Zimmer. Er hat allerdings dem Toten die Hand geküsst, sich verneigt und bekreuzigt, aber alles dies auf der Flucht. Er weinte nicht, denn seine Mutter weinte. Er hasste in diesem Zimmer jeden: An dem Mord sind alle beteiligt. „Mein gnädiger Herr Vater, gewähren Sie mir eine Bitte. Mein verehrter Herr Vater, Sie werden mich allein lassen. Mein großer Herr Vater, Sie haben einen schwachen Sohn“, schrieb Heinrich Mann in Die Vollendung des Königs Henri Quatre. In der Krypta der Kathedrale von Saint-Denis, der Grabstätte der französischen Könige, sieht man den Kenotaph von Henri IV. und die Tafel der Könige, deren Gebeine nach der Revolution 1793 in ein Gemeinschaftsgrab geworfen wurden, mit den Namen Henri IV. (Le Grand), seinem Sohn Ludwig XIII. und den weiteren Nachfolgern der Bourbonen. Das muss man gesehen haben …
Wird fortgesetzt.
Schlagwörter: Gertraude Clemenz-Kirsch, Heinrich Mann, Henri IV., Hugenotten, Paris, Relionsfrieden