von Frank-Rainer Schurich
Familiennamen gibt es seit dem 12. Jahrhundert, als die Menschen, die sich reichlich vermehrten, für die Obrigkeit zu verschiedenen Machtzwecken (Steuern, Abgaben und Fahndung) unterschieden werden mussten. Die Entwicklung der kommunalen Verwaltung mit Steuerlisten und Bürgerverzeichnissen war eine entscheidende Voraussetzung. Ohne Stadtschreiber und Stadtkämmerer gäbe es heute keine Familiennamen, die sich jedoch erst im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts in den deutschen Landen durchsetzten und zunächst einfach Beinamen waren. In großen Städten wie Köln trugen um 1150 circa 18 Prozent bereits einen solchen, 100 Jahre später schon um die 80 Prozent. Auch im Handel wurde die Neuerung dringend notwendig, denn wie sonst unterschied man in den Rechtsgeschäften den Kaufmann Clawes aus Lübeck vom Kaufmann Clawes aus Hamburg? Wer hatte wen übers Ohr gehauen und mit wem soll was geregelt werden? So fragte man sich oft.
Die Individualisierung der Bürger war notwendig, weil es außerordentlich beliebte und daher häufige Rufnamen gab. Ein Blick in die Mecklenburgischen Bauernlisten aus dem 15. und 16. Jahrhundert verrät uns, dass im Dorf Schlicht bei Fürstenberg mit zwölf steuerpflichtigen Bauern sechs Achim hießen.
Damit ist schon gesagt, dass es bis zur Einführung von Familiennamen nur Rufnamen gab, die in der Regel dann zu einem Vornamen wurden. Ein Vorname macht doch nur Sinn, wenn es einen Nachnamen (Familiennamen) gibt. In den Jahrhunderten davor hatten die Adligen und Wohlhabenden oft einen Beinamen, der als Familienname gedeutet werden kann und sich in der späteren Zeit oft dahin entwickelte.
Wie wurden aber nun die nichtadligen Familiennamen gebildet? Eine ziemlich einfache Methode (neben anderen) war, den Beruf des Betreffenden mit einem Artikel „anzuhängen“, so 1422 in Dresden Thomas der alde Stadschriber. Die Spezialisierung der Handwerker in den mittelalterlichen Städten tat ihr Übriges. Der Schuhmacher wurde über die Beinamensgebung, in der der Artikel dann wegfiel, ein Familienname wie all die Namen, die mit diesem Beruf zusammenhängen: Schuster, Schubert, Schuchardt, Schurich, Schuchert oder Schu(h)mann, so wie man dieses Handwerk in den verschiedenen Gegenden halt bezeichnete. Sogar mittelbare Berufsnamen, die sich auf das Werkzeug, das Material oder auf das Erzeugnis beziehen, konnten gebildet werden, so Leim für einen Tischler, Leisten oder Knieriem für einen Schuster. Den sogenannten Übernamen (nach auffallenden körperlichen und geistigen Fähigkeiten) sehr nahe sind Familiennamen, die in Richtung Berufsschelte gehen: Faulstich für einen Schneider und Kleinbrötlin für einen Bäcker. Selbst der Schumacher wurde nicht geschont. Pinsule war ein Schuster, der besonders geizig war. Darin enthalten sind nämlich die niederdeutschen Wörter pin für einen hölzernen (statt metallenen) Schuhnagel und sūl für die Schusterahle. Noch abwertender wurde später daraus der Einfaltspinsel.
Die Berufs-Familiennamen wurden durch die Jahrhunderte vererbt, die Berufe natürlich nicht, obwohl viele Bäcker, Schneider oder Schmiede immer in Generationen gedacht haben. Das führt in der Gegenwart zur skurrilen Situation, dass Herr Schumacher kein Schuster mehr ist sondern vielleicht Fußball-Profi, Autorennfahrer, Schneider, Optiker oder Hartz-IV-Empfänger. Und Herr Schneider kann als Schneider ein Meister sein – oder auch nicht. Nur weil man einen passenden Berufsnamen trägt, ist das noch lange kein Nachweis der fachlichen Qualitäten.
Die Lage bei den Politikern ist ähnlich. Der Familienname Merkel ist eigentlich kein Berufsname, sondern die Koseform der Rufnamen Markwardt oder Markhard, die sich irgendwann zu einem Familiennamen entwickelt hatten. Die Verkleinerung mit der Endung -el kennen wir fast nur noch von Hänsel und Gretel – der kleine Hans und die kleine Grete. Und wenn wir jetzt hinzufügen, dass der Markwardt im Althochdeutschen der Grenzwächter war (marca-wart), ist klar, dass dieser Familienname doch etwas mit einer Tätigkeit zu tun hat. Merkel ist demnach der kleine Grenzwächter und umschreibt eine verantwortungsvolle Aufgabe, die man so oder so erledigen kann.
Die Familiennamen Schulz und Scholz kommen dagegen von der Tätigkeit des Gemeindevorstehers, also des Bürgermeisters. Zum aktuellen Sprachschatz gehört nur noch der „Dorfschulze“. Der Name kommt vom mittelhochdeutschen schultheiᶎe, der später der Schultheiß wurde. Der hieß deshalb so, weil er Leistungen und Verpflichtungen befahl – was eben die Gemeindevorsteher früher schon gemacht haben.
Moderne Beispiele gefällig? Ein Mann namens Scholz war jahrelang ein erfolgreicher Bürgermeister in Hamburg, bis es beim G-20-Gipfel völlig danebenging, als er sich in die Weltgemeinde wagte. Er überstand dieses Drama wie durch ein Wunder völlig unbeschadet und stieg zum Bürgermeister der gesamtdeutschen Finanzen auf. Und ein anderer, ein Schulz war von 1987 bis 1998 ein guter Bürgermeister von Würselen, bis er zum Präsidenten des Europäischen Parlaments avancierte. Als Gemeindevorsteher der SPD war seine Rolle nicht so glänzend, so dass man unweigerlich an das alte deutsche Sprichwort „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ denken muss.
Es ist durchaus erfreulich, dass die Vergabe von Familiennamen abgeschlossen ist. Man stelle sich vor, die ganzen neuen und zum Teil überflüssigen Berufe und (Nicht-)Tätigkeiten mutierten alle zu Nachnamen! Und wer möchte schon Adelsexperte, Hartz-Vier, Obdachlos, Börsenspekulant, Coach, Foodblogger oder Programmierer heißen? Bei Millionen Hartz-IV-Empfängern in Deutschland wäre zudem eine Unterscheidung gar nicht mehr möglich, womit wir wieder bei unserem Ausgangsproblem angelangt sind.
So können wir feststellen, dass uns die jetzigen Familiennamen bis zum Weltuntergang begleiten werden. Und mal sehen, was danach kommt, wenn Würselen die Katastrophe überlebt und keine Grenzen und keine Finanzen mehr zu bewachen sind.
Schlagwörter: Berufe, Familiennamen, Frank-Rainer Schurich, kommunale Verwaltung, Merkel