21. Jahrgang | Nummer 18 | 27. August 2018

Der Kellogg-Pakt

von Carl von Ossietzky

Vor 90 Jahren, am 27. August 1928, wurde in Paris der Briand-Kellogg-Pakt (auch: Kellog-Pakt oder einfach Pariser Vertrag) unterzeichnet. Benannt wurde das Abkommen nach den bei seinem Zustandekommen federführenden Politikern, dem französischen Außenminister Aristide Briand und dem US-Außenminister Frank Billings Kellogg.
Obwohl dies der erste multilaterale völkerrechtliche Vertrag zur Ächtung des Krieges war, fällte Carl von Ossietzky ein differenziertes Urteil. Die Geschichte sollte ihm Recht geben.

Die Redaktion

Wenn nicht einige besondere Unglücksfälle eintreten, wird in ein paar Wochen in Paris der Kellogg-Pakt von vierzehn Außenministern feierlich unterzeichnet werden. Es besteht nämlich noch immer die Möglichkeit, daß Herr Kellogg in der eignen Heimat, wo er zu den weniger geschätzten Politikern gehört, havariert. Ganz von dem zu schweigen, was sich etwa in Europa noch ereignen kann.
Wer glaubt an den Friedenspakt? Er ist nicht der allgemeinen Überzeugung entsprungen, sondern ein Zierstück der Diplomatie, die in ihrer Weise ein großes pazifistisches Dokument schaffen möchte, ohne an den bestehenden Zuständen etwas zu ändern. Man könnte Herrn Kelloggs Werk noch viel schärfer kennzeichnen, man könnte es leicht eine Verbeugung der Heuchelei vor der Tugend nennen. Von den Kriegern des Generals Sandino wird wohl keiner eingeladen werden …
Dennoch darf der Wert selbst solcher Gesten nicht mit kalter Schulter abgetan werden, denn Kelloggs Plan ist immerhin ein imponierender Versuch, die imperialistischen Wallungen der Nachkriegswelt zu zivilisieren. Es fehlt den Großmächten heute bei aller Ausgestaltung ihrer Kampfmittel an der festen zupackenden Roheit von früher. Die Bestialität ist nachdenklich geworden und reflektiert über die Folgen ihrer Exzesse. Die Route jedes Kriegswagens führt heute in ein Ungewisses: in die Revolution.
Bleibt also der Kellogg-Pakt, so lange die Mächte nicht an Abrüstung denken, bestenfalls ein Stück Papier, so wird er schlimmernfalls eine drohende Gefahr, wenn Rußland nicht in seinen Plan einbezogen wird. Dabei sollte man sich nicht durch Moskaus unfreundliche Sprache abschrecken lassen. Die russische Sehnsucht, den Weg in die Welt zurückzugewinnen, ist realer als die noch immer herausfordernd gezeigte Attrappe der roten Revolution. Das System der Amerikaner ist nicht unbedingt gegen Rußland gerichtet, aber es kann in einem kritischen Augenblick sehr leicht zum Rahmen einer antisowjetistischen Weltallianz werden. Hier eine Annäherung zu fördern, wäre eine großartige Aufgabe der deutschen Politik, wäre ein entscheidender Beitrag zur Entbarbarisierung Europas. Gibt. es in Deutschland heute noch ein Ostprogramm? Die sogenannte östliche Orientierung aus dem Geiste der Reichswehr ist glücklicherweise an dem eignen Gasgeruch verendet. Der einzige bürgerliche Politiker, der noch eine bedeutende Konzeption der Ostfragen im Kopfe führt, ist der konservative Professor Hoetzsch. Die Sozialdemokraten sehen in den Leuten, die in Moskau regieren, Ausbrecher, die eigentlich reumütig zu Erzvater Kautsky zurückkehren müßten. Sie sehen die russische Politik ausschließlich unter dem Aspekt des sozialistischen Bruderkrieges, und wenn man ihnen auch konzedieren kann, daß ihnen die Kommunisten eine andre Haltung nicht leicht machen, so hilft das auch nicht weiter. Es fehlt auf beiden Seiten ein·Genie der Synthese.
Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg, und hier soll nur dargetan werden, daß unsre Außenpolitik im Osten vitalere Positionen zu erobern hat als im Südosten. Es ist billig, durch gelegentliche Grobheiten gegen Polen in Moskau flüchtigen Applaus zu finden, aber nicht auf dies fatale Spiel kommt es an, sondern auf die Rückführung Rußlands nach Europa. Deutschland steht durch sein geopolitisches Schicksal dieser Frage räumlich am nächsten. Und sie sei deshalb unsern Herrn Außenpolitikern mit besonderer Sorgfalt ans Herz gelegt, wenn sie aus der Stadt ihrer Träume zurückgekehrt sind.

Carl von Ossietzky: „Wien, Wien, nur du allein …“, Die Weltbühne, Nr. 31/1928 (Auszug).
Überschrift von der Redaktion.