21. Jahrgang | Nummer 15 | 16. Juli 2018

Querbeet

von Reinhard Wengierek

Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: Diesmal ein paar Grußpostkarten vom Wiener Ringstraßen-Kunstbetrieb …

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Kunsthistorisches Museum: Seine Ausmaße sind gigantisch, das Berliner Hohenzollern-Schloss passte locker hinein. Allein die Eingangshalle mit Treppenhaus ist Monumentalarchitektur vom Großartigsten – ein Triumph des Historismus. Das machtbewusste Kaiserhaus ließ sich da nicht lumpen. Dementsprechend auch die Ausstattung. Abgesehen von der Fülle kostbarer Materialien (Marmor und Gold ohne Ende) leisteten sich die auftrumpfenden Habsburger eine grandiose bildkünstlerische Ausgestaltung der Decken und Wände. Die Stars der Szene (wie Hans Makart) bekamen vom Kaiser Franz Joseph I. lukrative Großaufträge; aber auch das Jung-Talent Gustav Klimt, damals 27 Jahre alt, durfte antreten mit seinen Kollegen. Ihre Aufgabe war, die komplizierten Flächen zwischen Säulen sowie die dreiseitigen so genannten Zwickel neben den Bögen hoch oben in Nähe der Decken zu bemalen (Öl auf Leinwand). Thema: die Versinnbildlichung vergangener Kunststile von Altägyptischer Kunst über die Antike und Renaissance bis hin zum Rokoko. Klimt und Co. begannen im Februar 1890 und waren in 14 Monaten damit fertig, ein halbes Jahr vor Eröffnung des Museums.
Jetzt, anlässlich Klimts 100. Todestag, wurde für einige Monate in zwölf Metern Höhe eine vier Tonnen schwere Stahlbrücke (nebst Treppe) ins Stiegenhaus installiert, damit man droben die im Originalzustand erhaltenen Klimt-Arbeiten aus der Nähe betrachten kann. Stairway to Klimt heißt die Sache. Und das massenhaft staunende Publikum findet sich, schwebend in luftiger Höhe der pompösen Halle, dem Maler ganz nah. Kenner erkennen hier Klimts erste Schritte in Richtung Moderne: der Goldgrund, das Ornamentale, das Flächige, die Abstraktion vom rein Gegenständlichen. Hier nimmt es in betörender Schönheit seinen Anfang. Hier ist – aus heutiger Sicht – Klimts bevorstehender Weltruhm absehbar.
Achtung! Leute mit Höhenangst könnte es schwindeln.

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Staatsoper: Ein für alle Opernwelt und selbstredend ganz Österreich bedeutsames Jubiläum steht 2019 an: 150 Jahre erst Hof-, dann Staatsoper. Noch kurz vor Kriegsende wurde das am 25. Mai 1869 von Kaiser Franz Joseph I. mit Mozarts „Don Giovanni“ eröffnete Prunkgebäude zerstört – weil seine Majestät einst mäkelte, nahm sich der übersensible Architekt Sieghart von Sieghartsburg prompt das Leben. D das am Rande. 1955 wurde das Riesengebäude (1709 Sitzplätze, 567 Stehplätze) mit Beethovens „Fidelio“ wiedereröffnet; das bombastische Stiegenhaus war originalgetreu restauriert worden (Historismus / Neorenaissance), das Zuschauerhaus hatte man maßvoll modernisiert in seiner historischen Kubatur und Farbgebung – Rot, Gold, Elfenbein.
Als Knaller zum Jubelfest gilt die Neuproduktion „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss – mit Christian Thielemann sowie der Superstarbesetzung Gould-Nylund-Herlitzius-Koch-Stemme (Regie Vincent Huguet).
Aber, bei allem Alt- und Neugoldglanz, es gibt immer auch Schatten. Und der hat diesmal vornehmlich mit Regie zu tun. Beispielsweise „Der Freischütz“ (Carl Maria von Weber). Da versucht der intellektuell hoch bemühte Regisseur Christian Räth den unglücklichen Schützen zum Künstler zu machen, einen Komponisten im Clinch mit seiner Schaffenskrise. Erst bei der folgenschweren Freikugelgießerei am lichterloh brennenden Konzertflügel in der Wolfsschlucht, die hier ein gläserner Wintergarten ist, löst sich unter Zuhilfenahme böser Mächte die Kreativblockade, und die Noten stürzen nur so aus der Feder auf dicke Stapel von Papier.
Weil Räth zudem noch ein bisschen zeitgeistig gendermäßig tickt, ist die quicke Kammerzofe Ännchen lesbisch. In wilder Leidenschaft stürzt sie sich auf ihre mit gespreizten Beinen auf der Ottomane ruhenden Herrin Agathe. Wow! Derweil tanzt beim berühmt abgründigen Walzer der komponierende Freischütz-Jäger Max plötzlich vervielfältigt zu einer Kompanie von Doubles mit der entsprechenden Anzahl von Teufeln. Ein Hauch von Tuntentotentanz. Das letzte Wort hat am Ende der Eremit, der, verkleidet als bärisches Zotteltier, mit tönendem Bass ausgerechnet in einem Kristalllüster aus dem Bühnenhimmel einschwebt für seine finalen Frieden stiftende Mission. Wer das Stück nicht kennt, der hat so seine Probleme … Das Premierenpublikum schimpfte wie ein Rohrspatz und spendierte ein Buhkonzert.
Dann „Lohengrin“. Da kam Regisseur Andreas Homoki auf die so wahnsinnig gesellschaftskritische Idee, die Saga vom Schwanenritter in einer bayerischen Trachtenkneipe spielen zu lassen. Elsa, die hohe Jungfrau, irrt mit einem kleinen Plastikschwan aus dem Spielzeugladen durch den himmlisch tönenden Deppenchor in Lederhosen und Dirndelkleidern, bis schließlich Lohengrin im weißen Nachthemd vor ihr – am Bühnenboden liegend und singend – aus der Versenkung aufgetaucht war. Spöttische Distanz zum philosophisch komplex denkenden Autor wird hier unfreiwillig zur Lachnummer über einen todernsten Sachverhalt.
Ganz anders Verdis „Falstaff“; da illustriert Regisseur David McVicar in tumber Bravheit geradezu als Hohn auf die funkelnde, sprudelnde, irre saufreche Geschichte vom alternden Lustmolch, der sich am Ende zu sympathisch höherer Weisheit durchringt. Doch zuvor gibt es ja noch das große erotische Sommernachts-Wirrwarr, das wiederum so unerotisch wie nur irgend möglich abgeleiert wird. Und auch die opulente Technik dieses Hauses bleibt ordentlich beiseitegelegt, damit ja nicht auch nur der Hauch eines fantastischen Nachtzaubers, eines märchenhaften Waldwebens aufkommt. Schade um das herrlich weltkluge Alterswerk den großen Verdi.
Tja, auch an Weltklassehäusern hat man Probleme mit dem Regisseurstheater – mal ist es to much. Mitunter wiederum zu wenig …

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Hotel Sacher: Fürs Mitnehmen nach Hause oder zum Verschenken verpackt die Firma Sacher ihr edles Schokogebäck für beträchtlichen Aufschlag in eine hübsche Holzkiste. Der werbewirksame Effekt: Die Schachtel der Saison darf jeweils ein berühmter Künstler gestalten. Jetzt, zur zehnten Edition, wie es hochgemut heißt, ist es der Maler Gottfried Helnwein. Der berühmte Österreicher pendelt zwischen Los Angeles und Irland, wo er mit Kindern und Kindeskindern lebt, aber selbst nichts Süßes isst. Er kam nun zur „Vernissage“ der Jubiläums-Box von Sachers Artist’s Collection extra nach Wien ins historische Luxushotel. Schwarze Klamotten, schwarzes Stirnband, dunkle Brille, so tauchte er auf im Café Sacher und hielt ein Exemplar der auf 555 limitierten Edition der Presse vor die Smartphones.
Zu sehen sind mächtig aufstürzende Eisschollen. Sehr cool und passend zur sommerlichen Hitze. Das Motiv stammt vom romantischen Malerkönig Caspar David Friedrich; sein 1884 entstandenes, populäres Ölbild „Eismeer“ (97 x 121 cm) hängt in der Hamburger Kunsthalle. Nun prangt es, diskret verwandelt, auf der Tortenschachtel und dient, das immerhin, einem karitativen Zweck, nämlich der Stiftung „Kindertraum“. Das Süße, Schöne, Sinnvolle im Terzett.

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Freud in Bronze: Vor genau achtzig Jahren, nämlich am 4. Juni 1938, verließ der hochbetagte (82) und schwer an Kehlkopfkrebs erkrankte Zigarrendauerraucher Sigmund Freud seine Wohnung in der Berggasse, zwei Tramstationen weg vom Ring, um im Wiener Westbahnhof den Orient-Express zu besteigen, der 15.25 Uhr abdampfte in Richtung Paris. Von dort ging es weiter nach London, wohin bereits Teile der Verwandtschaft vor den Nazis geflohen waren.
Nun wurde – exakt 80 Jahre nach Freuds Flucht – auf dem Platz vorm Rektorat der Medizinischen Universität eine überlebensgroße Skulptur des weltberühmten Tiefenpsychologen enthüllt. Es ist eine Kopie der Bronzestatue (S.F. wie auf dem Sprung auf einem Stuhl sitzend), die einst Oscar Nemon für Freuds späte (Zwangs-)Wahlheimat London herstellte. Bei den Sitzungen für Nemon sei sein Urgroßvater „unwirsch und schlecht gelaunt“ gewesen, erzählte dessen 68-jähriger Urenkel Lord David Freud (Mitglied des britischen House of Lords) bei der von österreichischer Prominenz umrahmten Einweihung des erstaunlich spät erst auf Wien gekommenen Freud-Denkmals.