von Herbert Wulf
Folgende Vereinbarungen wurden getroffen, um die kritische Situation um das nordkoreanische Atomwaffenprogramm zu entschärfen:
Die Regierung Nordkoreas hat zugestimmt:
- das Nuklearprogramm einzufrieren, einschließlich der Stilllegung der Reaktoren, in denen waffenfähiges Material produziert wird,
- umfassende Inspektionen der Internationalen Atomenergiebehörde zuzulassen,
- den Abtransport des nuklearen Materials zu erlauben und
- sämtliche militärisch relevanten Nuklearanlagen abzubauen.
Die USA haben zugesagt:
- technische Hilfe im Energiesektor zu leisten und
- die Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen anzustreben – einschließlich der diplomatischen Anerkennung und der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen.
Ziel ist die Denuklearisierung der gesamten koreanischen Halbinsel und die Zusammenarbeit bei der Verwirklichung der Nicht-Weiterverbreitung von Nuklearwaffen.
Was für ein zukunftweisender „Deal“?
Schade nur, dass dies nicht bei dem Treffen zwischen Präsident Donald Trump und Regierungschef Kim Jong-un in Singapur vereinbart wurde, sondern der Kern des Abkommens zwischen den beiden Ländern aus dem Jahr 1994 war. Das damals nach zähen Verhandlungen in Genf vereinbarte sogenannte „Agreed Framework“ regelte bis auf das nordkoreanische Raketenprogramm alles, was dann die Welt in den letzten Jahren in Atem hielt.
Die Ergebnisse des Treffens in Singapur 25 Jahre später muten dagegen vage, zaghaft und nichtssagend an. Kim Jong-un hat sich zur vollständigen Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel verpflichtet, allerdings ohne festen Zeitplan und ohne Angaben, was unter Denuklearisierung zu verstehen ist. Trump sagte im Gegenzug „Sicherheitsgarantien“ zu, ebenfalls ohne genau zu bestimmen, worin sie bestehen sollen. Darüber hinaus wollen die Regierungen dem Wunsch beider Völker nach „Frieden und Wohlstand“ entsprechen.
Was für blumige, zu nichts verpflichtende Worthülsen. Donald Trump, der eigenem Bekunden zufolge größte „Dealmaker“ aller Zeiten, steht ohne „Deal“ da, tut aber mit seinen inzwischen absurd anmutenden „Tweets“ so, als sei gerade ein historischer Durchbruch gelungen. Selbst die Zusage Nordkoreas, die sterblichen Überreste amerikanischer Soldaten aus dem Koreakrieg in die USA zu überführen, ist nichts Neues. Bereits in den 1990er Jahren durften amerikanische Forensiker in Nordkorea tätig werden, ohne dass dies einer breiten Öffentlichkeit bewusst war. Der „Dealmaker“ und harte Verhandler muss sich mit Symbolpolitik zufrieden geben.
Statt darüber zu spekulieren, was denn jetzt auf das Treffen in Singapur folgen und ob daraus vielleicht doch noch ein „historischer Deal“ werden könnte, ist es interessant, zu analysieren, warum denn das weitreichende Abkommen von 1994 nicht umgesetzt wurde und was daraus für heute folgt.
Was also ging bei der Umsetzung des „Agreed Framework“ von 1994 schief, schien doch damals ein Durchbruch gelungen zu sein?
Das Grundproblem dieses Abkommens war das mangelnde gegenseitige Vertrauen der beteiligten Regierungen. Gegen Nordkorea blieb weiterhin der Verdacht, im Geheimen am Atomprogramm zu arbeiten. Nordkorea warf den westlichen Vertragsteilnehmern vor, ihren Verpflichtungen nicht nachzukommen. Teil dieses Vertrages war es, Nordkorea zwei Leichtwasserreaktoren zur Energiegewinnung zu liefern, eine Zusage, die nicht nur von den USA, sondern auch von der EU und Japan mitgetragen und finanziert werden sollte, aber nie verwirklicht wurde. Im Nachhinein muss man es als naiv bezeichnen, einer Regierung Zusagen für die Lieferung moderner Nukleartechnologie zu machen (auch wenn Leichtwasserreaktoren nicht zur Produktion von waffenfähigem Material geeignet sind), wenn man sie im Verdacht hat, heimlich weiterhin Atomambitionen zu verfolgen. 1998 wurde ein Artikel, auf der Basis von Geheimdienstinformationen, in der New York Times lanciert, der behauptete, Nordkorea baue einen unterirdischen Plutoniumreaktor und eine Wiederaufbereitungsanlage. Die Regierung in Washington hegte den Verdacht, dass Nordkorea, am „Agreed Framework“ vorbei, eine alternative Quelle zur Entwicklung waffenfähigen Materials erschließen wolle.
Der Zeitungsbericht lieferte den Gegnern des Abkommens Munition, mit der sie den Beweis für Nordkoreas Betrugsmanöver zu besitzen glaubten. Doch nach Inspektionen einer amerikanischen Delegation gab das amerikanische Außenministerium schließlich bekannt, dass die betreffenden Anlagen in Nordkorea nicht zur Herstellung von Atomwaffen geeignet seien.
Nordkorea heizte die prekäre, von gegenseitigem Misstrauen gekennzeichnete Situation, zusätzlich an, in dem es zur gleichen Zeit eine weitreichende Mehrstufenrakete, mit einer Flugbahn über Japan hinweg, teste. Erst ein Jahr später normalisierten sich die Beziehungen wieder und die USA lieferten zusätzliche Nahrungsmittel, nachdem Pjöngjang ein Testmoratorium für weitreichende Raketen ankündigt hatte.
Entscheidend für die damalige Beendigung des Tauwetters zwischen den USA und Nordkorea war der Regierungswechsel in Washington im Januar 2001. Bill Clintons Außenministerin Madeleine Albright hatte Pjöngjang im Oktober 2000 in der Erwartung besucht, das „Agreed Framework“ zu retten, ein Folgeabkommen über das nordkoreanische Raketenprogramm zu erzielen und damit eine weitere Stufe zur Normalisierung der Beziehungen anzubahnen. Doch die neue Bush-Administration verfolgte eine andere Nordkoreapolitik, der zwei sich ausschließende Strategien zugrundelagen. Während das Außenministerium mit Nordkorea weiter verhandelte, riefen die Hardliner in Washington (vor allem im Verteidigungsministerium und der damalige UN-Boschafter der USA und heutige Sicherheitsberater John Bolton) zu einer härteren Gangart auf. Das zarte Pflänzchen vorsichtiger Annäherung erstarb abrupt, als US-Vizepräsident Richard Cheney apodiktisch erklärte: „Ich bin vom Präsidenten beauftragt, sicher zu stellen, dass mit keiner der Tyranneien dieser Welt verhandelt wird. Wir verhandeln nicht mit dem Bösen, wir besiegen es.“
Während die Clinton-Regierung abgewartet und aufgrund einer sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage auf einen Zusammenbruch des Regimes in Nordkorea spekuliert hatte, versuchte die Bush-Regierung, dies aktiv durch Verschärfung der Sanktionen herbeizuführen. Wie bekannt, ließ der Regimewechsel nicht nur auf sich warten, er blieb gänzlich aus und die Kim-Dynastie scheint heute durchaus gefestigt zu sein.
Es gab im Übrigen noch ein weiteres Abkommen, das im Jahr 2005 im Rahmen der sogenannten Sechs-Parteien-Gespräche zwischen Nord- und Südkorea, den USA, China, Russland und Japan zustande kam. Nordkorea verpflichtete sich, „alle Atomwaffen und bestehenden Nuklearprogramme“ aufzugeben und wieder dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Doch auch dieses Abkommen scheiterte 2009. Die Differenzen über die als notwendig erachteten Inspektionen vor Ort veranlassten die nordkoreanische Regierung, sich einseitig aus den Sechs-Parteien-Gesprächen zu verabschieden.
Und was bedeutet all dies für die unmittelbare Zukunft?
Die jahrzehntelangen Verhandlungen mit der nordkoreanischen Regierung haben gezeigt, dass Pjöngjang mit seinem wiederholten Ausstieg aus den Verhandlungen, mit militärischen und sicherheitspolitischen Provokationen, mit gelegentlichem Entgegenkommen, gar mit Bereitschaft zur Unterzeichnung von Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen ein äußerst schwieriger und nicht leicht berechenbarer Verhandlungspartner ist. Doch nicht nur Nordkoreas Politik war wenig berechenbar, auch die Politik der USA war bedeutsamen Schwankungen unterworfen. Die stark ideologisch geprägten Beurteilungen der nordkoreanischen Politik in Washington waren immer geprägt von Misstrauen gegenüber den drei Kim-Regierungen. Signale der Entspannung gingen meist mit Drohungen einher. Und nicht nur Nordkorea nahm es mit der Vertragstreue nicht so genau.
Was ist nun das Treffen von Singapur wert? Historisch war es insofern, als erstmals ein US-Präsident mit einem nordkoreanischen Machthaber zusammenkam. Geschickt und überraschend zugleich hatte Kim Jong-un seine Strategie der sicherheitspolitischen Provokationen der letzten Jahre zu einer Charmeoffensive in Richtung Südkorea und USA verändert und damit eine durchaus sicherheitspolitisch gefährliche Situation in Südostasien entschärft. Trumps spontane Bereitschaft zum Treffen, dann seine Absage und später die abermalige Zusage, zeigen, wie unvorbereitet, ja konfus die US-Regierung in diese Gespräche gegangen ist. Das Kim-Regime wurde zweifellos international aufgewertet: Der Sieger, um es in Trumpschen Denkmustern auszudrücken, ist Kim Jong-un.
Folgende generelle Schlussfolgerung lassen sich ziehen:
Erstens – Euphorie über die Annäherung ist keinesfalls angebracht. Selbst der Abschluss detaillierter Abkommen bedeutet nicht, dass diese auch Realität werden, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Und der Weg zu einem erneuten Abkommen ist noch weit.
Zweitens – Nordkorea wird kaum auf sein Atomprogramm verzichten, es sei denn, Kim Jong-un wird seitens der USA glaubhaft versichert und verbindlich zugesagt, auf einen Regimewechsel zu verzichten. Doch auch solche Zusagen bedeuten der US-Regierung inzwischen wenig, wie die einseitige Kündigung des Irandeals durch die USA zeigt. Das heißt: Die nordkoreanische Regierung wird von Trump kaum Vertragstreue erwarten.
Drittens – nach den Erfahrungen mit von außen forciertem Regimewechsel im Irak und Libyen betrachtet Kim Jong-un das Atomprogramm als Lebensversicherung für sein Regime. Man muss dem Machthaber schon viel bieten, um ihn zu Zugeständnissen bei der Denuklearisierung zu veranlassen.
Viertens – trotz der vertrackten Lage sollte die Chance auf Entspannung wahrgenommen werden, denn zu Verhandlungen gibt es nur eine Alternative, eine schlechte und nicht akzeptable: militärische Auseinandersetzungen, möglicherweise mit Atomwaffen.
Schlagwörter: Atomprogramm, Herbert Wulf, Kim Jong Un, Nordkorea, Singapur, Trump