von Erhard Crome
In meinem Buch über Donald Trump, das vor einem Jahr erschien, hatte ich betont, dass die Koreafrage der Lackmustest dafür ist, ob dieser Präsident zu einer neuen Außenpolitik bereit ist. Am 12. Juni hat er sich in Singapur mit dem Staatschef der Demokratischen Volksrepublik Korea, Kim Jong-un, getroffen. Beide haben eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnet, die einerseits die Verpflichtung Nordkoreas zu einer „vollständigen Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel“ enthält, andererseits die Zusage der USA zum „Aufbau einer dauerhaften und stabilen Friedensregelung“. Damit kann nach dem Waffenstillstand von 1953 endlich ein Friedensvertrag den letzten verbliebenen offenen Konflikt des Kalten Krieges beenden. Die USA haben weitgehende Sicherheitsgarantien versprochen, einschließlich der Einstellung der Militärmanöver in Südkorea.
Damit hat Trump mit der Tradition der US-amerikanischen Außenpolitik gebrochen, mit Nordkorea nicht direkt zu sprechen und Verhandlungen an sich gleichsam als Gnade der USA zu betrachten. Die Globalisten zu beiden Seiten des Atlantiks verschreien das. Trump habe Kim aufgewertet, auf die internationale Bühne gehoben. Außerdem habe er gegenüber Nordkorea nicht „die Menschenrechte“ eingefordert.
Zunächst sei an das Kleine Einmaleins der Außenpolitik erinnert, Erstens: Wenn man verhandelt, muss man dem Gegenüber von Gleich zu Gleich begegnen. Am Verhandlungstisch sind beide Seiten gleichrangig und gleichberechtigt. Das hatte schon die BRD der sechziger und siebziger Jahre im Verhältnis zur DDR erkennen müssen, auch wenn sie stets auf Nicht-Völkerrechtlichkeit der Beziehungen zu bestehen versuchte. Zweitens: Wenn man eine atomare Abrüstung erreichen will, kann man nicht zugleich die innere Ordnung des Gegenübers infrage stellen.
Friedliche Koexistenz – und darum geht es im Kern – lässt unterschiedliche Werteordnungen beiseite und konzentriert sich auf das Wesentliche, den Frieden. Stalin hat Churchill bei der Bildung der Anti-Hitler-Koalition auch nicht aufgefordert, die Kolonien freizugeben, bevor er mit Großbritannien ein Bündnis schließt, und umgekehrt hat Churchill nicht von Stalin gefordert, sich für die Ermordung des Zaren zu entschuldigen und die Gulags aufzulösen. In diesem Sinne ist Friedenspolitik gerade nicht „werteorientiert“ im Sinne der Durchsetzung der eigenen gesellschaftspolitischen „Werte“, sondern werteorientiert im Sinne des höheren Wertes „Weltfrieden“.
Im deutschen Medienwesen wurde Trump weiter lauthals beschimpft, weil er sich überhaupt mit Kim traf – im Sinne von „Mit Diktatoren redet man nicht“ – und weil die Systemfrage in Bezug auf Nordkorea nicht gestellt wurde. So fragte die Berliner Zeitung suggestiv: „Frieden mit dem Diktator?“ Die Diplomatie habe verloren, weil es nur die Gemeinsame Erklärung als Absichtserklärung gäbe, die noch nicht substantiiert ist. Als hätten nicht das ganze Konstrukt der neuen westdeutsch-sowjetischen Beziehungen 1970 und die vertrauensbildenden Maßnahmen jener Zeit zunächst aus Absichtserklärungen bestanden, die anschließend untersetzt wurden. Auch die Zeitung neues deutschland meinte erklären zu müssen, Kim sei „der Sieger“ der Verhandlungen. Weil Korea einem Friedensvertrag näher kommt, um den Nordkorea seit 1953 kämpft? Und Trump habe „leichtfertig“ die gemeinsamen Militärmanöver mit Südkorea aufgegeben. Ist auch dieses Blatt, in dem eben diese Manöver einst jahrelang angeprangert wurden, jetzt Verfechter US-amerikanischer Militärpolitik?
Eigenartigerweise hat die konservative Die Welt mehr Gespür für das Wesen der Sache. Sie titelte mit „Szenen einer unerhörten Verlobung“, fragte, ob es nicht in der Tat ein „echter Durchbruch“ war, und druckte die Gemeinsame Erklärung im Wortlaut ab.
Die Verstimmung der Regierenden in Deutschland und ihrer Zuträger hängt auch damit zusammen, dass Trump nach Singapur direkt von dem sogenannten G7-Gipfel in Kanada geflogen war. Der hatte nichts gebracht, Trump beharrte weiter auf seinen Zöllen nicht nur gegenüber China, sondern auch für Importe aus der EU und Kanada. Von unterwegs hatte er die Zustimmung der USA zur Abschlusserklärung des Gipfels per Tweet zurückgezogen. Die Süddeutsche Zeitung meinte: „Trump zerstört die G7“. Als sei deren Relevanz nicht bereits durch die Verschiebung der weltwirtschaftlichen Gewichte nach Asien geschrumpft. Praktisch zeitgleich tagte in Qingdao (China) der Gipfel der Schanghai-Organisation, zu der neben China und Russland auch Indien, Pakistan, Kasachstan und weitere Staaten Zentralasiens gehören und in der Iran Beobachterstatus hat. Sie verkörpert 40 Prozent der Weltbevölkerung. Trump hatte auf dem G7-Gipfel gemeint, 25 Prozent der Debatten dort seien um Russland gegangen, dann solle man doch Russland einfach wieder mit einbeziehen. Das wiederum lehnte die deutsche Bundeskanzlerin vehement ab. Erst müsse Russland in der Ukraine-Frage klein beigegeben haben.
Die Süddeutsche fragte noch suggestiv, ob Merkel jetzt „Unfreiwillige Anführerin des Westens“ sei. Unfreiwillig? Der Außenminister echote, „die Europa-Fahne“ müsse jetzt „das neue Banner der freien Welt“ werden. „Die Antwort darauf muss auch aus Deutschland kommen.“ Am deutschen Wesen soll wieder die Welt genesen. So viel Selbstüberhebung war lange nicht. Es erinnert an 1914.
Schlagwörter: Donald Trump, Erhard Crome, G7, Kim Jong Un, Korea