von Alfons Markuske
Die Erbauer des Paradors von Segovia, eines modernen Ablegers dieser Hotelspezies und dem Baustil nach aus der mittleren zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, taten einen guten Griff, als sie als Standort den Abhang eines Hügels vis-à-vis der Altstadt wählten. Die liegt, wie schon im Falle Cuencas, der ersten Station unserer Reise, auf einem Felsplateau. Vom Parador hat man so aus jedem Zimmer freie Sicht auf die Skyline von Segovia, die, wie könnte es im historischen katholischen Spanien anders sein, von einer höchst imposanten Kathedrale dominiert wird. Hier handelt es sich um ein spätgotisches Bauwerk mit knapp 90 Meter hohem, runddächigem Turm, das ab 1525 in nur 52 Jahren hingeklotzt wurde. Doch auch die anderen Hingucker der städtischen Silhouette – die gut erhaltene Stadtmauer, der mächtige Alcázar sowie der Aquädukt aus der Römerzeit – springen sofort ins Auge.
Vom Parador bis zur Stadt sollen es nur etwa 40 Fußminuten sein. Wir überprüfen es angesichts der täglich von uns per pedes zu bewältigenden Strecken nicht und finden in der Tiefgarage am Aquädukt zwar ohne weiteres einen, aber keinen besonders preiswerten Parkplatz.
Als wir der Katakombe entsteigen, erfüllt lautes hektisches Zwitschern die Luft: Hekatomben von Schwalben umkreisen die Säulen und zischen durch die Bögen des Aquädukts, um dem zu dieser Jahreszeit bereits geschlüpften und notorisch hungrigen Nachwuchs die Mäuler zu stopfen.
Das Bauwerk selbst, aus dem ersten bis zweiten Jahrhundert, besteht hier, am Zugang zur Altstadt, aus zwei Rundbogenetagen unterschiedlicher Abmessung und der darüber verlaufenden „Wasserleitung“. Lichte Höhe – 28 Meter. Es hat die Stadt rund 1700 Jahre mit Wasser aus dem 18 Kilometer entfernten Rio Frio versorgt. Errichtet haben die Römer den Aquädukt zu allem Überfluss auch noch in der besonders Ressourcen schonenden Trockenbauweise. Da fragt sich der Tourist aus Berlin doch unwillkürlich, was die Versager bei solchen Endlosprojekten wie dem BER oder auch nur der Staatsoper Unter den Linden geritten haben mag, so altbewährte Methoden einfach zu ignorieren …
Kaum haben wir die vielstufigen Treppen am Aquädukt erklommen, um die Altstadt zu betreten, stoßen wir auf einen Kunsthandwerker samt ambulanter Arbeitsstätte und Verkaufsstand – mit Schmuckanhängern aus Münzen, deren Hauptmotive allen störenden Beiwerkes entblößt sind. Wir werfen einen Blick darauf, den der Kaufmann im Handwerker aus seinen Augenwinkeln sofort erfasst und uns mit der Frage an den Haken nimmt: „Where do you come from?“ Auf die Antwort – from Germany – weist er uns bereits in bestem Deutsch auf einen Anhänger in Gestalt einer 1-D-Mark-Münze hin. Im sich entspinnenden Gespräch stellt sich heraus, dass er lange genug in Hamburg gelebt hat, um das Idiom fließend zu beherrschen.
Als wir bekennen, dem anderen Teil der heutigen Bundesrepublik zu entstammen, murmelt er so etwas wie „keine Wessis“ und holt eine DDR-20-Pfennig-Münze aus Messing hervor, an der er bereits gearbeitet hat.
Das geht so: Ein filigraner Handbohrer sorgt zunächst dafür, dass durch ein Loch im Nanoformat ein Metalllaubsägeblatt eingefädelt werden kann, um hernach die Hauptprägung der Münze freizusägen. Die Öse für eine Kette angebracht, und fertig.
Was hier so einfach klingt und flott erscheinen mag, ist in vielen Fällen eine handwerkliche Herausforderung, die Hochachtung abnötigt, ob es sich nun um ein Münzkonterfei von Elisabeth II. oder um das des kubanischen Revolutionsheros Camillo Cienfuegos handelt, der mit Fidel auf der Granma die Sierra Maestra erreichte und dann die kubanische Revolution mit zum Sieg führte. Wir entscheiden uns statt der DDR-Münze für dieses Artefakt – auch wegen der ewigen Losung der kubanischen Barbudos: „Patria o Muerte“ (Vaterland oder Tod). Soviel Bekenntnis zu früheren revolutionären Träumen muss sein dürfen, ohne knapp 30 Jahre nach Selbstauflösung der DDR noch befürchten zu müssen, auf Strafrente gesetzt zu werden.
Als wir nach ausführlicher Begehung der Kathedrale und gründlichem Durchstreifen zahlreicher Gässchen schließlich den Alcázar am anderen Ende der Altstadt erreichen, sind wir bereits zu geschafft, um noch für dessen Innenleben aufnahmefähig zu sein. So entnehmen wir während einer Restkräftesammlungspause im Schatten hoher Bäume vor dem Eingang des Doppelfunktionsbaus, Festung und Königspalast zugleich, der mitgeführten Bildungslektüre zumindest, dass der Baubeginn schon auf das 11. Jahrhundert datiert, dass die Festung später die bevorzugte Wohnstätte der kastilischen Könige war und Isabella die Katholische, der wir bereits auf unserer vorhergehenden Station in Alcalá de Henares begegnet sind, von hier aus am 13. Dezember 1474 zur Plaza Mayor ritt, um sich zur rechtmäßigen Königin proklamieren zu lassen. Und im „Saal der Könige“, einem der sechs Festsäle der Burg, wurden im Laufe der Zeit 34 Goldstatuen spanischer Könige aufgestellt, deren Phalanx Philipp II. schließlich auf 56 erweitern ließ.
Die eigentliche beeindruckende Trutzigkeit und zugleich himmelwärts strebende Eleganz dieses Alcázars erschließt sich uns erst am nächsten Tag, als wir vor der Weiterreise nach Ávila am Fuße des Segovianer Felsmassivs einen Spaziergang um dasselbe unternehmen. Alt-Segovia ist praktisch, wie es im sachsen-anhaltinischen Sprachraum so schön heißt, lediglich ein Mookchen, und der Umlauf über einen lauschigen Weg unter alten Bäumen und großenteils dezent untermalt durch das Plätschern von eines Flüsschens helle ist in kaum mehr als einer Stunde bewältigt.
Wird fortgesetzt.
Schlagwörter: Alcázar, Alfons Markuske, Kathedrale, Parador, Segovia, Spanien