von Alfons Markuske, zz. Ávila
Paradores de Turismo de España ist eine staatliche, 1928 gegründete Hotelkette mit einem besonderen „Alleinstellungsmerkmal“: Die meisten Häuser befinden sich in historischen Gemäuern, meist an historisch bedeutsamen Plätzen – wie etwa im nordspanischen Leon. Dort beherbergt der Convento de San Marcos, ein prachtvoller Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert, heute einen Parador, und dort machten wir vor einigen Jahren während eines Aufenthalts aus ganz anderem Anlass erstmals Bekanntschaft mit dieser spanischen Spezialität. Daraus entwickelte sich die Idee, Regionen des Landes unter Einbeziehung dieser Hotels zu „entdecken“. In diesem Jahr nun war es soweit. Während der konkreten Vorbereitungen erfuhren wir, dass es auch ziemlich junge Paradores gibt. Und wir lernten, dass zur Vorgeschichte des Paradors in Leon gehört, dass die Francofaschisten dort von 1936 bis 1940 ein Konzentrationslager unterhielten, in dem politische Gegner ermordet wurden.
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Ende Mai, Anfang Juni hat Zentralspanien – nördlich von Madrid – dem Betrachter, so dieser sich an frischer Natur zu erfreuen vermag, einiges zu bieten: sattes Grün allenthalben, in Blüte stehende Bougainvilleen und Tamarisken, auf den Mittelstreifen der Autobahnen und Fernverkehrsstraßen knallgelber Ginster ohne Ende und auf den Wiesen, Feldern sowie Hügeln daneben ein buntes Potpourri von Storchschnabel, Glockenblumen, Margariten sowie anderen wilden Blumen und vor allem Klatschmohn von tiefster Röte, der sich immer wieder zu ganzen Teppichen verdichtet. Vielleicht noch nicht gleich ein Fest fürs Leben, aber eines fürs Auge auf jeden Fall.
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Unsere Tour nahm ihren Anfang in Cuenca, in der Region Kastilien-La Mancha, auf halber Strecke zwischen Madrid und Valencia gelegen. Die Mauren hatten dort Anfang des achten Jahrhunderts eine erste Feste errichtet – der strategischen Lage wegen: auf einem in knapp 1000 Metern Höhe gelegenen, schroff abfallenden Felsplateau über den Schluchten der Flüsse Júcar und Huécar. Dort thront heute die Altstadt mit pittoresken Gässchen und zahlreichen architektonischen Zeugnissen der Geschichte.
An einem Sonntagnachmittag fanden wir uns auf der Plaza Mayor, Kaffee in einem Straßenrestaurant schlürfend – den Blick auf die gewaltige gotische Fassade der Kathedrale gerichtet und im Rücken die mittelalterlichen Casas Municipales, auf deren Dach die Skulptur eines Affen mit einer schief sitzenden Krone hockt. Ob der Schöpfer damit bereits vor Jahrhunderten Herrschern ans Herz legen wollte, sich nicht zu demselben zu machen? Wer weiß. Genützt hätte es jedenfalls wenig.
Die Errichtung der Kathedrale begann 1196, nachdem König Alfonso VIII. im Zuge der Reconquista die Stadt und die Umgebung von den Mauren zurückerobert hatte. Damals dominierte auf der iberischen Halbinsel noch der romanische Baustil. Aber das „Projekt“ in Cuenca soll von Alfonsos Gattin inspiriert worden sein, von Eleanor Plantagenet, einer Tochter der Eleonore von Aquitanien und Schwester von Richard Löwenherz, also aus einer Gegend, wo die Gotik bereits heftig im Schwange war. Und die Personalie, by the way, enthüllt, dass die Welt, was das dynastische Personal anbetraf, schon damals ein Dorf war.
Beim Schlendern durch die Altstadt immer wieder Überraschungen: Da rekeln sich Katzen in der Sonne, da hängt in einem überbauten Hausdurchgang ein Christus am Kreuz, der durch ein derart massives schmiedeeisernes Gitter geschützt ist, dass die Vermutung nahe liegt, dass hier wohl nicht nur einmal unchristliche Hände am Werk waren. Irgendwann stehen wir vor dem Gebäude der Inquisition, das die französischen Eroberer Anfang des 19. Jahrhunderts so liederlich in die Luft gesprengt hatten, dass heute ein regionales Archiv dort sein Domizil haben kann – hinter einer Fassade, die so hübsch und harmlos wirkt, als sei dahinter nie ein Wässerchen getrübt worden. An anderer Stelle öffnet sich in den Überresten einer Kirche unvermutet eine Nische, und es erwartet uns – sitzend und in Lebensgröße – der Dichter und Drehbuchautor Federico Muelas, ein Sohn der Stadt, zwar schon 1974 verstorben, aber an dieser Stelle in Bronze doch recht lebendig …
Unser Quartier, der Parador de Cuenca, liegt auf der anderen Seite der Schlucht des Huécar – nur zu erreichen in luftiger Höhe und über eine filigrane Eisenbrücke aus dem späten 19. Jahrhundert, die bei allzu forschem Schritte schon mal kurzzeitig ins Schwingen gerät. Wir sahen Überquerer, die ihrem Gottvertrauen mit festem Griff um die Handläufe nachhalfen.
Von dieser Brücke aus hat man den besten Blick auf eine der faszinierendsten Attraktionen des Ortes, die „hängenden Häuser“ aus dem 14. Jahrhundert, deren Ursprünge noch auf die Mauren zurückgehen sollen, Die hängen zwar nicht wirklich, sind aber so unmittelbar auf dem Felsabsturz des Plateaus errichtet, dass ihre Holzbalkone, Schwalbennestern nicht unähnlich, dann doch in der Luft über der Schlucht schweben.
Der Parador ist ein sehr typischer Vertreter seiner Art – entstanden in einem trutzigen Kloster aus dem 16. Jahrhundert, in dem noch bis 1975 ein Theologieseminar betrieben wurde, bevor die Gebäude wegen Baufälligkeit beräumt werden mussten. Dem Verfall wurde 1991 mit dem Beginn des Umbaus im Inneren ein Ende gesetzt. Eingeweiht wurde das Hotel 1993. An der Fassade wurden keine Veränderungen vorgenommen, wodurch es unserem Zimmer infolge nur eines – und eines sehr schmalen – Eckfensters etwas an Tageslicht mangelte. Das wurde durch Ambiente und Ausstattung jedoch mehr als wettgemacht.
Die Einnahme der Mahlzeiten erfolgt im klösterlichen Speisesaal, dessen Funktion ebenso beibehalten wurde wie die dortige herrliche (restaurierte) hölzerne Kassettendecke. Auch die steinerne Kanzel an einer der Seitenwände des Saales ist noch vorhanden. Von dort aus wurden die frommen Brüder während ihrer Mahlzeiten mit lautem Verlesen der Bibel beschallt, auf dass es ihnen auch an Durchgeistigtem zur Verdauung nicht mangelte. Auf dieses Nahrungsergänzungsmittel allerdings wird heute verzichtet.
Wird fortgesetzt.
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