21. Jahrgang | Nummer 12 | 4. Juni 2018

Diplomatie à la Trump

von Hubert Thielicke

Seit Januar vorigen Jahres hat es die Welt mit einem US-Präsidenten zu tun, der mit einer Politik der Stärke die Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen der USA durchdrücken will, eben „America First“. Verbündete und Partner haben sich unterzuordnen. Wer aus der Reihe tanzt, muss mit Sanktionen rechnen, nachdem man bisher in mehr oder weniger trauter westlicher Einheit solche Maßnahmen vor allem gegen Russland verhängte. Handelskriege liegen in der Luft; von Trumps Vorgängern, insbesondere Barack Obama, eingegangene internationale Verpflichtungen werden kurzerhand gebrochen. Hatten anfangs noch Außenminister Tillerson und Sicherheitsberater McMaster den missionarischen Eifer des Präsidenten gebremst, so scheinen ihre Nachfolger Pompeo beziehungsweise Bolton diesen noch zu übertreffen.
Ein „Deal“ mit Nordkorea soll Trumps Vorzeigeerfolg werden. Zwar hatten schon seine Vorgänger versucht, ob mit Zuckerbrot oder Peitsche, Nordkorea zu denuklearisieren, kurzzeitige Fortschritte endeten allerdings immer wieder in der Sackgasse, mal von der einen Seite, mal von der anderen verursacht. Nordkorea trat 2003 aus dem Kernwaffensperrvertrag aus, führte Nukleartests durch und erklärte sich zur Atommacht. Der UN-Sicherheitsrat reagierte mit immer härteren Sanktionen, die auch China und Russland mittragen. Noch im vergangenen Jahr herrschte ein verbaler Schlagabtausch: Nordkorea drohte mit Atomraketenangriffen gegen die USA, während sich Trump brüstete, er hätte den größeren Atomknopf und könne Nordkorea total zerstören. Der Krieg der Worte konnte zu Missverständnissen führen, gar zum militärischen Konflikt eskalieren.
Wie kam es nun zur Wende? Eine wichtige Rolle spielt Moon Jae-in, Präsident Südkoreas seit 2017, der wie seine liberalen Vorgänger auf Entspannung mit Nordkorea setzt. Am 6. Juli vorigen Jahres kündigte er in seiner Berliner Rede eine Friedensinitiative für die koreanische Halbinsel an. Kim Yong-un nahm den Ball auf; seit der Teilnahme hochrangiger nordkoreanischer Politiker an der Eröffnung der Olympischen Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang entwickelte sich ein Dialog zwischen beiden Seiten, in den schließlich auch die USA einstiegen – bisher fanden zwei Treffen zwischen Kim Yong-un und Moon Jae-in statt, US-Außenminister Mike Pompeo besuchte zweimal Pjöngjang, um ein Gipfeltreffen zwischen Donald Trump und Kim Yong-un vorzubereiten. Die rasche Abfolge der Ereignisse mag wundern, aber beide Seiten haben triftige Gründe. Nordkorea möchte aus der internationalen Isolation heraus, auch rasch die Sanktionen loswerden, die seine auf Wirtschaftswachstum gerichteten Reformen behindern. Zudem gilt sein Atom- und Raketenprogramm als weitgehend abgeschlossen. Trump braucht vor den im November anstehenden mid-term elections dringend einen außenpolitischen Erfolg; schon lässt seine Umgebung streuen, dass er dann ja auch den Friedensnobelpreis verdient hätte.
Jähe Wendungen sind allerdings nicht ausgeschlossen. Mitten in der Gipfeleuphorie kam ein Paukenschlag aus Washington: In einem bemerkenswert höflich formulierten Brief vom 24. Mai sagte Präsident Trump das Treffen wegen „Zorn und offener Feindschaft“ in jüngsten nordkoreanischen Erklärungen ab, nicht ohne auf das „massive und gewaltige“ nukleare Potenzial der USA zu verweisen.
Was war passiert? Der Streit entzündete sich am „libyschen Modell“. In den USA wird das offiziell interpretiert als „Austausch nukleare Abrüstung gegen Sicherheitsgarantien und wirtschaftliche Zusammenarbeit“. 2003 hatte Libyen auf sein ABC-Waffenprogramm verzichtet, wofür die USA Sicherheitsgarantien versprachen. Nordkorea versteht unter einem solchen „Modell“ jedoch in erster Linie, dass es 2011 in Libyen zum Regimewechsel mithilfe des Westens kam, was nicht möglich gewesen wäre, wenn Libyen Massenvernichtungswaffen gehabt hätte, wie es damals in einer Meldung der nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA hieß. Als Vizepräsident Mike Pence am 21. Mai davon sprach, dass Kim Yong-un so enden könnte wie Gaddafi, wenn er keinen Deal mit den USA mache, drohte Nordkorea, dass der Gipfel platzen könne. Daraufhin schrieb Trump besagten Brief, um sich nicht mit einem gescheiterten Treffen zu blamieren. Kim reagierte besonnen – man sei nach wie vor zum Treffen bereit, worauf Trump zurückruderte. Allerdings äußerte Kim seinem südkoreanischen Kollegen gegenüber, dass er Zweifel an der Glaubwürdigkeit der USA habe. Die Gipfelvorbereitungen scheinen zu laufen. Als eine Art symbolische Vorleistung zerstörte Nordkorea sein Atomtestgelände.
Einfache Lösungen à la Trump wird es nicht geben. Dazu sind die Probleme auf der Halbinsel zu groß. Nordkorea geht es vor allem um die Militärpräsenz der USA, für die, wie auch Südkorea und Japan, die Denuklearisierung im Vordergrund steht. Dazu bestehen unterschiedliche Vorstellungen: Während die USA die „unumkehrbare, nachprüfbare und vollständige“ nukleare Abrüstung Nordkoreas verlangen, und das möglichst rasch, scheint jenes bisher wohl nur „interessiert zu sein an einem mehrstufigen Prozess, in dem die atomare Abrüstung ein vages und langfristiges Ziel ist und das Regime für jeden Fortschritt belohnt wird“, wie die Washington Post schrieb. Immerhin sind die Atomwaffen für Kim Yong-un eine Art Lebensversicherung – siehe Gaddafi.
Voraussetzung für einen Erfolg sind ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen Nordkorea und den USA wie auch die Berücksichtigung der Interessen Chinas und Russlands. Wenn es zu ernsthaften Verhandlungen kommt, wird man mit „einfachen“ Fragen beginnen müssen wie einer Hotline zwischen Washington und Pjöngjang und vertrauensbildenden Maßnahmen, auch im Hinblick auf die Militärmanöver beider Seiten. Die Frage eines Friedensvertrages stellt sich ebenfalls, immerhin besteht seit Ende des Koreakrieges 1953 nur ein Waffenstillstand.
Noch scheint im Hinblick auf die koreanische Halbinsel alles offen zu sein, akut jedoch ist die Lage beim Nuklear-Abkommen mit dem Iran. Bereits im Wahlkampf hatte Donald Trump den 2015 von den USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland mit Iran vereinbarten Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (Joint Comprehensive Plan of Action – JCPOA) als „schlechtesten Deal“ der USA abgelehnt. Der Plan sieht für die Zeit bis 2025/2030 starke Einschränkungen des iranischen Nuklearprogramms vor, insbesondere bei der Urananreicherung. Die vereinbarten strikten Kontrollen der iranischen Nuklearindustrie gehen über die im Rahmen des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT) vereinbarten Inspektionen hinaus, dem Iran von Anfang an angehört. Insgesamt ist der JCPOA ein Kompromiss, der jedoch der Stärkung des Nichtverbreitungsregimes dient und für Iran den Vorteil bietet, dass die vom UN-Sicherheitsrat verhängten internationalen Sanktionen aufgehoben werden, wie auch die einseitigen westlicher Staaten. Die für die Überwachung zuständige Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) bestätigte, dass sich Iran an die Vereinbarungen hält.
Am 8. Mai dann das lange Befürchtete: Präsident Trump verkündete, dass sich die USA aus dem Abkommen zurückziehen und mit wirtschaftlichen Strafmaßnahmen „auf dem höchsten Niveau“ gegen Teheran vorgehen werden. Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron konnten ihn davon nicht abhalten. Im Grunde geht es den USA um die Ausschaltung eines Rivalen im Nahen und Mittleren Osten, der auch den US-Partnern Saudi-Arabien und Israel ein Dorn im Auge ist. Versteht sich, dass dabei vom Atomwaffenarsenal Israels, aber auch den regionalen Ambitionen Saudi-Arabiens keine Rede ist.
Am 21. Mai ließ Außenminister Pompeo in seiner Rede vor der Heritage Foundation die Katze aus dem Sack. Nach den bekannten Argumenten gegen den JCPOA erläuterte er, die Vereinbarung solle nicht neu verhandelt werden, vielmehr sei ein „neuer Deal“ erforderlich. Dafür nannte Pompeo „12 sehr grundlegende Anforderungen“ – von Maßnahmen, die weit über den JCPOA hinaus gehen, über die Einstellung des Raketenprogramms Irans bis hin zur Beendigung seiner Aktivitäten im Nahen Osten. Mehr oder weniger unverblümt ließ Pompeo erkennen, dass es den USA um einen regime change geht. Allerdings könnten sie damit das Gegenteil erreichen, denn auch liberale Iraner halten Pompeos Forderungen für maßlos. Diese „kommen jetzt nicht umhin zu denken, dass Irans Hardliner wohl recht haben: Man kann den USA einfach nicht trauen“, wie Katajun Amirpur im Spiegel schrieb. Das Ultimatum gilt jedoch nicht nur Teheran, die USA drohen ebenfalls ihren europäischen Verbündeten. Wer verbotene Geschäfte mit Iran tätige, würde zur Verantwortung gezogen, so Pompeo. Auch Trumps neue Top-Diplomaten lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. So forderte Richard Grenell, neuer US-Botschafter in Deutschland, bereits an seinem ersten Tag in Berlin, deutsche Firmen, die im Iran tätig sind, sollten ihre Geschäfte sofort herunterfahren.
Neben China und Russland zeigten sich bisher Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die gesamte EU gewillt, am JCPOA festzuhalten und ihre Unternehmen im Iran-Geschäft zu schützen.
Allerdings ist wohl die EU-Linie nicht ganz so fest. Jedenfalls erklärte die polnische Regierung kürzlich, sie sei bereit, als „informeller Vermittler“ zwischen Brüssel und Washington aufzutreten. Während Kanzlerin Merkel sich nur zögerlich für das Abkommen zu engagieren scheint, tritt Frankreichs Präsident Macron resoluter auf. Gemeinsam mit Wladimir Putin sprach er sich bei seinem jüngsten Russland-Besuch für die Erhaltung des Abkommens aus. Gespräche über das Raketenprogramm Irans, die Situation in der Region und die nuklearen Aktivitäten nach Auslaufen des JCPOA könnten das ergänzen, vorausgesetzt Iran stimme zu. Teheran ist bereit, das Abkommen auch ohne die USA fortzusetzen, wenn die wirtschaftlichen Vorteile erhalten bleiben. Gleichzeitig stärkt das Land seine Stellung durch den Ausbau der Kontakte in Richtung Osten: Es hat nicht nur seit 2005 Beobachterstatus bei der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, sondern baut den Handel mit China aus und schloss am 17. Mai ein Abkommen mit der Eurasischen Wirtschaftsunion über erste Schritte zu einer gemeinsamen Freihandelszone. Zu befürchten ist, dass die Trump-Administration die Lage in der Region weiter verschärft und insbesondere das Nichtverbreitungsregime gefährdet. Die Aussichten für den NPT, dessen Unterzeichnung sich 2018 zum 50. Male jährt, und für die 2020 anstehende nächste Überprüfungskonferenz sind nicht gut.