21. Jahrgang | Nummer 11 | 21. Mai 2018

Kriegsschauplätze. Eine Ausstellung im Dresdner Militärmuseum

von Arno Widmann

Die nachfolgend besprochene Ausstellung, die dieser Tage mit erheblicher Verspätung eröffnet worden ist, hatte zuvor das Militärhistorische Museum Dresden „in eine irrsinnige Krise gestürzt“, so kürzlich im Magazin Die Zeit. Dort hieß es weiter: Die Ausstellung „war im vergangenen Sommer von dem neuen Museumsdirektor Armin Wagner wenige Wochen vor der geplanten Eröffnung abgesetzt worden, und der Kurator und wissenschaftliche Leiter des Hauses Gorch Pieken wurde kurzerhand nach Berlin versetzt. Die Ausstellung sollte, behaupten manche Beteiligte, sogar ganz ausfallen.“ Sie sei „samt ihrem herausfordernden Theorie-Überbau (Diversity, strukturelle Gewalt, Heteronormativität und so weiter) bei einem Teil der Militärs auf lebhaften Widerstand gestoßen“.

Die Redaktion

Die reale Frau wurde in der europäischen Geschichte immer wieder beiseite gedrängt. Wenn es dagegen um die Symbolisierung von Tugenden ging, dann mussten dafür Frauenbilder herhalten. Minerva zum Beispiel, die Schutzgöttin der klugen Kriegsführung, der Staatsverwaltung und der Wissenschaft, ist weiblich. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nahm als Emblem den Kopf der Minerva. Es ist ihrer Nachfolgerin, der Max-Planck-Gesellschaft, erhalten geblieben. Die der wirklichen Frau gerne abgesprochene Fähigkeit zu künstlerischer und wissenschaftlicher Kreativität machte sie wohl besonders geeignet dafür, sie zu personifizieren.
Welche Volten diese Dialektik schlagen kann, davon ist in der Dresdner Ausstellung ein Beispiel das Gemälde von Justus van Egmont, das Christina von Schweden als Minerva zeigt. Die Tochter von König Gustav Adolf II. von Schweden weigerte sich zu heiraten und „der Acker eines Mannes zu sein“.
Ein noch schlagenderes ist ein Gemälde, das Paul I. Esterházy de Galantha (1635–1713) als Judith zeigt. Die Attentäterin Judith, so steht die Geschichte im apokryphen Buch Judit des Alten Testaments, geht ins Zelt des assyrischen Generals Holofernes, enthauptet ihn mit seinem eigenen Schwert und rettet so – wie einst Moses – das Volk Israel. Esterházy war kaiserlicher Feldmarschall, Palatin, also Stellvertreter des Königs von Ungarn, der zugleich Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war, bekriegte erfolgreich die Türken, war einer der vermögendsten Männer des Habsburgerreichs und Komponist. Seine knapp zwei Stunden dauernde Harmonia Caelestis für Singstimmen und Orchester lieferte nicht nur den Titel für das große Familienepos seines Nachkommens Peter Esterházy (1950–2016), sie ist auch auf Youtube zu hören.
Judith war eine so mächtige Metapher geworden, dass ein Mann, der sich als Held darstellen lassen wollte, Frauenkleider anziehen musste. Sehr interessant auch, dass Esterházy sich nicht als Esther dargestellt hat. Auch sie rettete die Juden. Aber sie tat es als Gemahlin und Beraterin des persischen Königs. Nicht mit Gewalt. Das war offensichtlich deutlich weniger sexy. Auf dem Gemälde eines unbekannten Künstlers – einer unbekannten Künstlerin? – hält Esterházy das Schwert dem Betrachter so entgegen, dass man die Blutflecken daran erkennen kann.
Schon für dieses Bild, das aus der Esterházy Privatstiftung nach Dresden gefunden hat, lohnt sich der Besuch der Ausstellung. Sie erinnert auch daran, dass die Heldenoper von Kastraten lebte. Sie waren die Inkarnation barocker musikalischer Männlichkeit. Wenn Esterházys Judith sänge – und Judith war ein sehr beliebter Opernstoff – sie sänge in weiblichen Höhen.
Die Ausstellung „Gewalt und Geschlecht – Männlicher Krieg – Weiblicher Frieden?“ erinnert an die Frauen, die in Kriegen vergewaltigt wurden und werden. In der Abteilung „Versklavung – Frauen als Beute“, findet der Besucher die Kleidung einer heute in Köln lebenden jesidischen Sexsklavin des „Islamischen Staates“.
Gleich daneben in der Abteilung „Boys Club? Militär als männlicher Raum“ hängen Uniformhemden, auf deren Innenseiten Soldatinnen der US-Armee Erfahrungen mit ihren männlichen Kollegen aufgeschrieben haben. Nach offiziellen Angaben waren 2016 ca. 14.900 Soldatinnen Opfer von sexuellen Übergriffen im US-Militär. Bei solchen Zahlen kommt man auf die Idee, dass der wichtigste Kriegsschauplatz das Militär selbst ist, dass der verheerendste Krieg der der Geschlechter ist – nein, nicht der der Geschlechter, sondern der der Männer gegen die Frauen.
Die Ausstellung nimmt einem den Glauben an die Ideologie, die Männer kämen vom Mars und die Frauen von der Venus. Aber man verliert angesichts der Fülle der Gesichtspunkte auch das Gefühl für die Proportionen. Zwanzig Frauen, die seit 1990 in Europa Verteidigungs- oder Kriegsminister waren, meist Nordeuropäerinnen, werden aufgeführt, aber nirgends steht, wie viele Männer es in der gleichen Zeit waren. Die Ausstellung wendet sich gegen das Vorurteil, Männer könnten Dinge, die Frauen nicht können. Das macht sie gut. Aber um diese Art der Diskriminierung von Frauen geht es nur in Universitätsseminaren. Draußen geht es darum, sie die ganze Arbeit machen zu lassen und dafür noch schlechter zu bezahlen.
Die Ausstellung ist großartig. Man darf nie vergessen: Wir sind nicht ihr eigentlicher Adressat. Das ist die Truppe, die Männer und Frauen der Bundeswehr. Denen zeigt sie, wer alles Soldat war in der Geschichte. Was Soldaten alles getan und was sie viel zu wenig getan haben. Sie hilft ihnen dabei, sich ein Bild von sich zu machen. Sie ist ein Stück Selbst-Bewusstwerdung der Bundeswehr. Die ja nicht weiß, wer sie ist. Wie soll sie auch? Deutschland selbst befindet sich in schmerzhaften Krämpfen. Es weiß nicht, wer es ist und wer es sein möchte. Die Ausstellung ist auch eine Einladung dazu, uns darüber klar zu werden.
Zu den ergreifendsten Stücken der Ausstellung gehört ein Auszug aus dem Besucherbuch des Museums. Ein junger Mann notierte darin am 4.11.2011: „Dieses Museum hat mich an meine Freundin erinnert. Sie will vielleicht später zur Bundeswehr gehen […] Ich hab Angst, ob ich sie dann überhaupt noch wiedererkenne […] Und ob sie überhaupt, dieses Leid, diesen Hass und diesen Schmerz auf sich nehmen will […] Vielleicht will sie aber auch von andern respektiert werden […] Wo alle gleich sind am Anfang, und später aufsteigen, immer weiter und weiter […] Krieg ist der Ernst, den wir für andere durchsetzen müssen […] Egal, was du machst Schatzi, ich akzeptiere deine Entscheidung Jasi. In Liebe dein Ricardo.“
Was ist geworden aus Jasi und aus Ricardo? Haben sie noch mit einander gesprochen? Ist Jasi Friseuse, Unternehmensberaterin geworden oder doch zur Bundeswehr gegangen?
„Gewalt und Geschlecht“ ist sicher eine der sehenswertesten Ausstellungen, die es zurzeit im deutschsprachigen Raum gibt. Sie zeigt keine große Kunst. Sie regt an, hilft einem beim Denken. Sie tut das, in dem sie unsere Empfindungen anspricht. Das ist der Weg der Aufklärung: Über die Sinne in den Verstand und wenn ausnahmsweise einmal alles gut geht, dann geht es wieder vom Verstand in die Sinne. Aber dafür sind dann wir Besucher zuständig.

Berliner Zeitung, 03.05.2018, S. 25.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages.