von Bernhard Romeike
Etwa zwei Monate, nachdem US-Präsident Trump am 6. April 2017 befohlen hatte, mehrere Dutzend Tomahawk-Marschflugkörper gegen den syrischen Stützpunkt Al-Schairat abzuschießen, hatte der bekannte investigative Journalist, Seymour Hersh, das Ergebnis seiner Recherchen publiziert (Die Welt, 25.06.2017). Angeblich hatte die syrische Armee das Nervengas Sarin eingesetzt. Es gab in der Tat keine Beweise, nur Bilder in den Medien, die die sogenannten Weißhelme, offiziell eine Hilfsorganisation, die mit den syrischen islamistischen Rebellen und westlichen Geheimdiensten kooperiert, verbreitet hatten. Die CIA hatte damals berichtet, es gäbe keine Beweise für einen Giftgasangriff, doch Trump bestand auf den von ihm gesehenen Fernsehbildern und forderte einen Militärschlag.
Die berühmte, rechtsgrundsätzliche Frage „Cui bono?“ gestellt, musste ergeben: dem Assad-Regime nutzte das gerade nicht, es war militärisch auf der Siegerstraße, warum sollte es die USA und den Westen militärisch auf den Plan rufen? Während es für die Islamisten Sinn hatte, angesichts ihrer sich abzeichnenden Niederlage ein Eingreifen der USA oder des Westens unter Verweis auf Chemiewaffeneinsatz zu provozieren. Hersh schreibt, dass in der entscheidenden Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates die Militärs vier Vorschläge auf den Tisch legten: erstens, nichts zu tun; zweitens ein Angriffspaket, das Präsident Obama bereits 2013 vorgelegt worden war, wonach die wichtigsten syrischen Luftwaffenstützpunkte sowie Kommando- und Kontrollzentralen massiv bombardiert werden; drittens ein „Enthauptungsschlag“ gegen Präsident Assad, seinen Palast und seine Kommandozentralen. Und viertens die im Jargon so bezeichnete „Gorilla-Option“: Amerika droht, trommelt sich auf die Brust, verbreitet Verunsicherung und Entschlossenheit, bombardiert am Ende jedoch eher symbolisch lediglich einen syrischen Luftstützpunkt, nicht ohne zuvor die Russen zu warnen, die wiederum die Syrer warnen. Nach Angaben des russischen Generalstabes wurden damals 59 Marschflugkörper abgeschossen, von denen 23 ihr Ziel erreichten, während der Verbleib der übrigen 36 nicht darzustellen war. Das Pentagon sprach von einem vollen Erfolg. Der Flugplatz war kurz darauf wieder benutzbar.
Jetzt hatten wir es wieder mit einer solchen „Gorilla“-Operation zu tun, nur dass neben dem großen Gorilla in Washington noch zwei kleine aus London und Paris unterwegs waren. Ein Giftgaseinsatz der syrischen Armee in der Stadt Duma war nach der „Cui bono“-Frage wieder völlig abwegig; sie war dort gerade wieder im Vormarsch, die Islamisten bei der Kapitulation und dem Abzug und konnten dagegen einen westlichen Entlastungsangriff gut gebrauchen. Die „Weißhelme“ lieferten wieder die Bilder und die Empörungsmaschine lief an. Am Morgen des 14. April griffen die drei Gorillas drei Ziele an. Diesmal konnten sie der nicht mehr staunenden, sondern darauf wartenden Weltpresse drei zerstörte Gebäude oder Anlagen präsentieren. Allerdings waren beim Bombardement nirgends giftige Gaswolken entwichen. Hatte man wirklich Anlagen für die Herstellung und Lagerung von Chemiewaffen zerstört? Der russische Generalstab informierte wieder, von den abgefeuerten 103 Marschflugkörpern seien durch die syrische Luftabwehr – noch nicht einmal die hochmodernen russischen Abwehrsysteme, sondern die syrischen, die noch aus sowjetischen Zeiten stammen – 71 abgefangen worden, was der Westen prompt dementierte. Aber um die drei Anlagen zu zerstören, hätten vielleicht auch schon drei Raketen ausgereicht.
Süffisant hatte ein russischer Kriegsreporter berichtet, von den britischen Marschflugkörpern hätte kein einziger sein Ziel erreicht. Das wiederum korrespondiert mit dem Gestammel von Premierministerin Theresa May, die unmittelbar nach dem Angriff verlautbart hatte: „Wir können nicht erlauben, dass der Gebrauch chemischer Waffen normal wird: innerhalb Syriens, auf den Straßen Großbritanniens oder irgendwo sonst in unserer Welt“. Hatte Großbritannien Syrien bombardiert wegen des angeblichen Giftgasanschlages auf den ehemaligen Doppelagenten Skripal und seine Tochter in Großbritannien? Die Tochter ist inzwischen auferstanden von den Toten, der Vater offenbar außerhalb Lebensgefahr. Und das, obwohl angeblich eines der am meisten toxischen Gifte eingesetzt worden sei? Es gibt keine belastbaren Beweise für den Giftgaseinsatz in Salisbury. Aber westliche Sanktionen und Diplomatenausweisungen gegen Russland unter Hinweis auf diesen, an denen sich auch Deutschland forsch beteiligt hat. Im Falle Syriens hatte man sich statt auf Sarin – wie 2017 – auf Chlorgas zurückgezogen. Dafür braucht man keine großen Anlagen, das gibt es, wie Fachleute wissen, in jedem Schwimmbad.
Die öffentliche Bekundung, genau zu wissen, dass es in Syrien Giftgaseinsatz gab und dass Assad dafür verantwortlich sei, hatten diesmal Frankreich und Großbritannien übernommen. Ihre Geheimdienste wüssten das genau, könnten die Beweise aber nicht öffentlich machen, wegen der Geheimhaltung. Schon bei der Anzettelung des Krieges gegen den Irak 2003 hatte Großbritannien als der willfährige Helfer des US-Krieges agiert, mit erlogenen „Beweisen“, die im Nachgang als plumper Dilettantismus erkannt wurden. Da hatte der Krieg aber bereits stattgefunden. Die Fans von „Star Wars“ kennen das: die „Handelsföderation“ zettelt einen Konflikt an und erwartet, dass der „Imperator“ dann den vernichtenden Krieg führt. So hatten Frankreich und Großbritannien 1999 Bill Clinton in den Jugoslawien-Krieg bugsiert und 2011 Barack Obama in den Libyen-Krieg.
Dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron kommt der Militäreinsatz gerade recht. Er kann von den zugespitzten Auseinandersetzungen um seine neoliberalen „Reformen“ im Innern ablenken und davon, dass sich Angela Merkel in Sachen Reform der EU bisher keinen Millimeter bewegt hat. Theresa May und ihr Adlatus Boris Johnson haben in Sachen Brexit nach wie vor substantiell nichts erreicht und verheimlichen der eigenen Bevölkerung die auf sie zukommenden Kosten.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas echote seine Kanzlerin: der Angriff auf Syrien sei ein „angemessenes und erforderliches Signal“ gewesen. In der Tat war er völkerrechtswidrig. Das geltende Recht kennt nur zwei Fälle von legitimen militärischen Handlungen, die Selbstverteidigung – Syrien hatte aber weder die USA, noch Großbritannien oder Frankreich angegriffen – oder den Militäreinsatz auf Grundlage eines Beschlusses des UNO-Sicherheitsrates. Den gab es nicht. Maas, der jetzt immer besonders aufrecht vor die Kameras tritt und seinen engen Maßanzug noch einmal glattzieht, versucht geltend zu machen, Russland habe den Sicherheitsrat „seit Monaten blockiert“. Das heißt, er macht eine überrechtliche Selbstermächtigung des Westens geltend. Das aber ist die schiefe Bahn, auf der die Welt bereits in den völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen Jugoslawien gelenkt wurde. Tatsächlich macht sich die deutsche Regierung hier zum Komplicen des Rechtsbruchs.
Und der „Imperator“? Trump will sich von der „Handelsföderation“ offenbar nicht in einen längeren Syrien-Krieg einbinden lassen. Nach dem Militärschlag gegen Syrien hatte er getwittert: „Mission accomplished“. Dieses „Auftrag erfüllt“ sei hochmütig und geschichtsvergessen, weil der unselige Trump-Vorgänger George W. Bush dies im Mai 2003 nach dem Sturz Saddam Husseins in die Welt geblasen hatte, obwohl das eigentliche Desaster in Irak danach erst begann. Deutsche Journalisten werfen Trump vor, jetzt müsste erst recht – militärisch oder politisch – daran gearbeitet werden, eine politische Lösung in Syrien zu schaffen. Mit einer „Zivilgesellschaft“, die der Westen jetzt voller Eifer schaffen sollte, und einer „Übergangsregierung“, die wieder meint: „Assad muss weg“.
Man könnte aber Trump auch anders verstehen. Er hatte es ernst gemeint damit, dass es um die vollständige Zerschlagung der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ geht. Zum Thema „Chemiewaffen“ hat er jetzt erneut gedroht, auf die amerikanische Brust getrommelt, Verunsicherung und Entschlossenheit demonstriert und aller Welt vorgeführt, was er in anderem Zusammenhang „an der Spitze des Rudels“ zu sein genannt hat. Seine Sprecherin Sarah Sanders hat gesagt: „Der US-Einsatz hat sich nicht geändert. Der Präsident hat klargemacht, dass er möchte, dass die US-Streitkräfte schnellstmöglich nach Hause kommen.“ Nachdem seine Berater ihm schon in Bezug auf Afghanistan durch eine beraterische Salamitaktik und die Beschreibung von Schreckensszenarios einen weiteren Verbleib der Truppen dort eingeredet hatten, will er sich nicht noch einmal von den Globalisten einwickeln lassen.
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