von Dieter Naumann
1318 wird das Fischer- und Bauerndorf „Byntze“ erstmals urkundlich in einer Steuererhebung der Grafschaft Streu mit fünf Scheffeln (rund 155 Kilogramm) Roggen erwähnt. Der Name wird unterschiedlich gedeutet – als „Siedlung in den Binsen“ oder „nasse Wiese“, aber auch vom slawischen Personennamen „Ben“ oder „Benice“ abgeleitet.
Der Badeort sollte sich im 19. Jahrhundert bald zum größten und meistbesuchtesten auf Rügen entwickeln, „keineswegs nur zum Nutzen des Ortes“, kritisierte um 1910 der wohl kleinste Reiseführer über Rügen, Nr. 1128 aus der Reihe „Miniatur-Bibliothek“ des Leipziger Verlags für Kunst und Wissenschaft Albert Otto Paul. Und: „Wie in allen Orten, die eine so schnelle Entwicklung hinter sich haben, hat sich dort eine leider in den meisten Seebädern vorherrschende Architektur entwickelt, die das Gepräge des unechten, unwahren an der Stirn trägt: äußerer Schein, minderwertiger Inhalt, kurz das, was man mit dem Worte Talmipracht zu belegen pflegt.“ Wer „an solchen Dingen“ wie Konzerten und Theateraufführungen im Kursaal, Tenniswettspielen, Pferderennen und Feuerwerk Geschmack finde, käme in Binz stets auf seine Rechnung.
Kritisch hatte sich auch schon Carl Balthasar Schneider in seinem 1823 erschienenen „Reisegesellschafter durch Rügen“ geäußert: Dem naturfrohen Wanderer sei eine derartige Menschenansammlung wie hier keine reine Freude. „Dazu kommt, dass Badeorte in so großem Maßstabe die ganze Unruhe der Großstadt mit ihrem Luxus und ihrer Vergnügungssucht in die freie Natur und auf das bis dahin noch unberührte Land hinaustragen und so das Übel, das sie ursprünglich bekämpfen wollten, nur an andere Stelle verpflanzen.“
Man mag die frühe Kritik teilen oder nicht, das Jubiläum bietet ausreichend Gelegenheit, sich mit Geschichte und Gegenwart des beliebten Badeortes zu befassen. Eine Ausstellung soll die Entwicklung von Binz anhand von historischen Ansichtskarten belegen, wobei die Bildseiten im Vordergrund stehen dürften. Aber auch die Mitteilungen an die Lieben daheim, die bedauernswerten Arbeitskollegen, an Freunde oder wen auch immer vermitteln interessante Eindrücke von Binz und seinen Gästen.
Da die Vorderseite der Ansichtskarten bis etwa 1906 der Adresse und dem Postwertzeichen vorbehalten war, musste man sich für Mitteilungen mit dem geringen freien Platz auf der Ansichtsseite begnügen, wollte man nicht die Bilddarstellung überschreiben. Eine im August 1894 verschickte Karte mit sepiafarbener Darstellung des „Hôtel Seeschloss“ enthält deshalb auch nur einen „Herzl. Gruß vom herrlichen Eiland der Buchenwälder und Kreide“. Reichlicher Platz bot die im Juli 1896 an den „lieben Otto“ verschickte Karte: „Mehr denn je sind wir dieses Jahr von der Wahl unseres Sommeraufenthaltes entzückt. Bessere Erholung als in dem besagt. Strandleben, größere Erfrischung als durch die wonnigen Seebäder sind wohl kaum denkbar […] Dampferfahrt von Stettin bis Sassnitz (8 St.!) großartig. Wellenschlag in Binz über [unleserlich – D.N.] kräftig. Biergläser dürften größer sein!“ Erholung suchte auch die in der „Villa Monbijou“ abgestiegene Absenderin einer Karte vom August 1895: „Seit vor. Mittwoch sind wir hier, da ich wegen meinen heftigen katarrhalischen Zustande einige Wochen milde Seeluft atmen muß. Es ist hier sehr hübsch und wird mir d. Aufenthalt hoffentl. gut thun.“
„Ich bin noch immer hier, kann mich nicht trennen von dem blauen Meer, sitze in meinem Korb oder liege im Sand, ich habe mich noch nie so wohl gefühlt, bade fleißig und gehe noch lange nicht nach Hause, bin schon 3 Wochen hier […] keine Brise hat mir so gut gefallen.“ Am Rande dieser Karte vom Juli 1897 heißt es überdies: „Ich lebe glücklich, lebe froh, wie der Franz Salomo“ und „Habe auch die Seekrankheit gehabt […] Der Dampfer ging wie eine russische Schaukel.“ Die Karte ist insofern interessant, weil sie die ersten direkt am Strand errichteten, heute nicht mehr existierenden Hotels zeigt, das „Strand-Hôtel“ (eröffnet 1883), und unmittelbar benachbarte„Ostsee-Hôtel“ (1887 ) und das „Hôtel Seeschloss“ (1890.)
Ein ebenfalls nicht mehr existierendes Gebäude, das „Haus Wettin“, zeigt eine im Juli 1900 nach Braunschweig verschickte Karte. „[…] es ist hier sehr schön. Sonnabend oder Sonntag kommen wir schon wieder wenn wir dann zusammen ausgehen kann ich Euch fiel erzählen wir haben die Ostsee dicht vor der Thür, und hinten gleich den Wald. Du kannst es ja hier schon auf der Karte sehen, daß es hier schön ist kannst Du auf dieser Karte schon sehen […]“ Ob die Begeisterung des Absenders für Binz oder die für „Fräulein Auguste G.“ Ursache für die unorthodoxe Schreibweise war?
Weniger begeistert nörgelte Oskar B. im Juli 1900 auf seiner Lithografiekarte mit dem alten, 1890 eingeweihten Kurhaus: „Hier ist es auch ganz schön doch die Nordsee ist schöner.“ Ähnlich der Absender einer Karte mit Poststempel vom August 1906 und den Villen „Halali“ und „Agnes“ auf der Bildseite: „Hier in Binz ist viel Leben und Luxus. Göhren ist gemüthlicher.“
Hin und wieder mussten sich die Urlauber notgedrungen um die heimatlichen Probleme sorgen: „Herzliche Grüße vom Strande der Ostsee! Es geht uns sehr gut. Das Wasser ist erstklassig. Herr Adjunkt wären so liebenswürdig mir meine Abschrift fertig zu machen, die ich wieder versäumt habe. Es tut mir sehr leid. Wann beginnen Ihre Ferien?“ Die Karte vom August 1906 zeigt das 1899 erbaute Hotel „Fürst Blücher“, dessen Besitzer in Anzeigen gern darauf verwies, seinem Hause sei im Jahre 1903 „die besondere Ehre zu teil, Se. Durchlaucht den Fürsten Reuß j. L., im Jahre 1907 Se. Königl. Hoheit den Herzog Albrecht von Württemberg u. die Königl. Prinzen u. Prinzessinnen mit Gefolge und im Jahre 1908 Se. Königl. Hoheit den Prinzen Ludwig von Bayern als Gäste verzeichnen zu dürfen“.
Grüße aus Binz sendet im September 1908 Matrose Christiansen von S. M. S. Lothringen, einem 1904 vom Stapel gelaufenen Linienschiff der Kaiserlichen Marine: „Wir sind hier im Manöver. Sehr schön hier […]“ Marinemanöver vor Rügen stellten stets ein Erlebnis für die Badegäste dar, die vom Strand aus die Übungsschusswechsel und das sonstige Geschehen verfolgten.
Bekanntlich blieb es nicht bei Kriegsspielen. Und wenige Jahrzehnte später, kurz vor der nächst größeren Katastrophe, schrieb ein Rudolf im Juli 1942 aus dem damaligen „Flakerholungsheim Felizitas“ in Binz: „Alles andere ist schon fort. Aber unser Oberfeld hatt sich eine Kleine angelacht und da sollten wir auch noch hier bleiben.“
Mancher überlebte, und die irdischen Sorgen wechselten: „Ich war heute nachmittag am Strand, es war aber sehr windig“, so ein Absender im Juli 1947. „Die Wellen gingen sehr hoch. Herr Schmidt hat mir einen Strandkorb besorgt. Da habe ich mich sehr gefreut. Na hoffentlich wird das Wetter wieder besser. Morgen soll es Fettmarken geben, da kann ich mir Butter holen.“
Das Leben begann sich wieder zu normalisieren.
Wenige Jahren später – 1953 – wurden im Rahmen der „Aktion Rose“ auch in Binz zahlreiche Hotel- und Pensionsbesitzer unter nichtigen Begründungen enteignet und inhaftiert. Viele von ihnen flüchten in die noch junge alte Bundesrepublik …
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