von Klaus Hammer
Seinen 84. Geburtstag am 12. Februar hat er nicht mehr erleben können. Knapp 14 Tage zuvor ist er gestorben: Hans Vent, einer der bedeutendsten Vertreter der so genannten „Berliner Schule“, die als künstlerische Gruppierung so eigentlich nie existiert hat.
Auf die Frage, was sich denn in den letzten Jahren in seinem Schaffen verändert habe, hat er lapidar geantwortet: „Ja, was soll ich sagen, man macht eben immer seine Sache weiter. Was sich ändert, ist das Zeitempfinden, das Malerei ja immer ausdrückt… Ich habe für mich eine Ausdrucksform gefunden, die sich nicht im eigentlichen Sinne weiterentwickelt oder irgendwohin geht.“ Was war denn die „Sache“ des Berliner Malers und Grafikers Hans Vent, dem die Galerie Parterre zuletzt zu seinem 80. Geburtstag eine Jubiläumsausstellung ausgerichtet hatte?
Seine Gemälde und (farbigen) Papierarbeiten der letzten Jahrzehnte geben Strandfiguren, Figuren im Stadtraum, Akte, Rufer, Läufer, Paare, Gruppierungen, Köpfe, einzeln oder miteinander verspannt, wieder. Neben einem dünnen Farbauftrag, der das Papier durchscheinen lässt, stehen pastose und krustige Partien auf der Leinwand. Konturen werden plötzlich unterbrochen oder verschwinden unmerklich in Flächengrund. Mit der Verdichtung der Farbe geht eine Abstraktion der Pinselschläge zu symbolhaft-suggestiven Kürzeln einher. Von Schleiern umhüllt, dann wieder wie in Stein geschlagen die Köpfe, in ein konstruktives Gerüst gepresst oder auch innere Unruhe, pulsierendes Leben vermittelnd. Zwischen-Zustände des Lebens. Die Pinselbewegungen werden horizontal wie vertikal gesetzt, brechen ab und setzen von Neuem an. Es ist unentschieden, welcher Impuls sich schließlich durchsetzen wird.
Man schaut in die elementaren Körperstrukturen, die Gesichter hinein wie in eine Landschaft – es geht hier um Physiognomisches, Gestisches, nicht um Porträthaftes. Geborgenheit, Vertrauen, Verletzbarkeit, Einsamkeit und auch Angst sprechen aus ihnen. Pinselstriche wie blutrote Striemen verweisen auf ein Golgatha des gepeinigten Menschen. Manchmal liegt ein Munchscher Schatten auf ihnen, so dass sie wie eine Todesvision erscheinen, Memento-mori- oder Vanitas-Charakter annehmen. Aber es gibt dann durchaus auch wieder Skurriles, Groteskes, das an Daumier oder Ensor denken lässt. Durch die prismatische Auflösung des Bildes in ein konsequentes Flächenmuster wird jeglicher räumlich-illusionistische Zusammenhang vermieden. Gewiss kann man mit den Akten anderer Künstler leichter leben, doch die Ventschen Akte öffnen mit kühnem Wagemut und kompromissloser Ehrlichkeit neue Wege für die Kunst: „Das Aufbrechen der Form, das ich immer wieder versuche“, so Vent, „ist ein Bild für die Brechung der Realität in uns“. Das sind seine Leiber und Köpfe – aus Farbe und Form gefügte dramatische Konfliktzeichen. Sie besitzen eine solche Ausdrucksstärke, die sie als feste Koordination von Emotion, Verstand, Hand, Auge und Gedächtnis ausweisen.
Vent, der in den 1950er Jahren an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee studiert und hier seit 1975 einen Lehrauftrag für Malerei inne hatte – 1990 wurde er Mitglied der Akademie der Künste –, brach in seinen jüngeren Arbeiten die Flächen stärker zum Relief auf. Er richtete die Abfolge der Flecken und Flächen nach verschiedenen Richtungen aus, die mit dem, was sie bezeichnen sollen, in keinerlei Verbindungen zu stehen scheinen. In der Auftragsrichtung sprang er von rechts nach links, von links nach rechts, in die Horizontale, Diagonale und Vertikale um. Konnte man schon hier von einem gegenstandsfernen Rhythmus sprechen, der den Aufbau des Bildes prägt, so verstärkte sich diese Rhythmik im Bau der Figuren. Hatte man sich erst einmal daran gewöhnt, den Blick nicht an der Integrität der Körperformen und an der Richtigkeit der Anatomie zu orientieren, sondern an der inhärenten Rhythmik des Körpers, dann erschloss sich die Darstellung auf eine lebendige und adäquate Weise. Auch Vents „Malerplastik“, wie er sie nannte, hält Figürliches in der Schwebe zwischen Auflösung und Erstarrung, doch werfen Durchbrüche und Kanten – wie in den Bildern – dunkle Schattenflecken auf den Körper, so dass dieser in zuckender Pulsivität erscheint.
Wie in der Fotografie, wie im Film sind in seinen zweidimensionalen Arbeiten die Bewegungs- und Sehphasen aufgefächert, die Oberfläche des Körpers durch Lichtreflexe und Spiegelungen zersplittert, Formen und Farben spektralisiert. Starke Kontraste, harte Konturen und dann wieder Wischungen und Undeutlichkeiten stellen eine Herausforderung an den Betrachter dar. Wir vergegenwärtigen uns nicht mehr einen realen oder idealen Körper – innerhalb der Tradition –, sondern haben die Figuren innerhalb eines Prozesses aus bedeutungslosen Farb-Form-Elementen erst zu „realisieren“. Da der Bildprozess nicht abgeschlossen ist, wird auch der Bildinhalt zum Gegenstand einer unendlichen Wiederholung. Was diese Körper- und Kopflandschaften auch sein mögen – Hoffnungspartikel oder Motivfragmente einer verklingenden Menschlichkeit –, der Maler Vent machte eben unbeirrbar „immer seine Sache weiter“. Wenn ihm nun auch die Malutensilien aus der Hand genommen worden sind, seine Arbeiten bleiben und begleiten uns weiter – sie setzen „seine Sache“ fort.
Schlagwörter: Berliner Schule, Hans Vent, Klaus Hammer, Malerei