von Thomas Parschik
„Ihm taten die Vögel leid, besonders die kleinen, zarten, dunklen Meerschwalben, die umherflogen und suchten und fast niemals etwas fanden. Und er dachte: ‚Diese Vögel haben ein schwereres Leben als wir, bis auf die Raubvögel und die schweren Großen. Warum machte man die Vögel so zart und fein wie jene Meerschwalben, wenn die See so grausam sein kann? Ruhe Dich aus, mein kleiner Vogel, und dann geh dein Glück suchen, als wärst du ein Mensch, ein Vogel oder ein Fisch.’“ So schrieb Ernest Hemingway in seiner im Frühjahr 1951 entstandenen Erzählung „Der alte Mann und das Meer“. Das Vorbild des Protagonisten war ein mit dem Autor befreundeter kubanischer Fischer namens Gregorio Fuentes. Fuentes wurde 104 Jahre alt. Er hat das Buch nie gelesen, denn er war Analphabet. Die Novelle umfasst im Original etwa 27.000 Wörter. Sie war ursprünglich als Teil einer Trilogie über das Land, die Luft und das Meer geplant. Im deutschsprachigen Raum wurde das Buch etwa eine Millionen Mal verkauft. Bekannt sind die Verfilmungen mit Spencer Tracy von 1958 und mit Anthony Quinn aus dem Jahr 1989.
Fernando Pérez zählt zu den bedeutendsten Regisseuren Kubas. 1944 in Havanna geboren, begann er seine Karriere mit Dokumentarfilmen. Im Jahre 1990 schuf er mit dem Spielfilm „Hello Hemingway“ eine optisch eindrucksvoll inszenierte Geschichte und zugleich eine Hommage an die Erzählung „Der alten Mann und das Meer“.
Die Handlung ist im Jahre 1956 angesiedelt. Der Film beschreibt den Kampf eines Mädchens aus einfachen Verhältnissen, Larita, das unbedingt Philosophie und Literatur studieren möchte. Larita wohnt in Havanna im Stadtteil San Francisco de Paula, unweit von Ernest Hemingways Villa, bei ihrer Tante und deren Familie, weil das Haus der Mutter zu weit von der Schule entfernt ist. Gemeinsam mit ihrer Nichte badet sie manchmal heimlich in Hemingways Swimmingpool. Sie hat den Schriftsteller nur aus der Ferne gesehen und noch keines seiner Bücher gelesen. Aufgrund der Empfehlung eines Antiquars beginnt sie, „Der alte Mann und das Meer“ zu lesen. In der Schule erzielt sie Bestnoten und nimmt an einem Auswahltest für ein Stipendium in den USA teil. Dabei erlebt sie immer wieder Rückschläge. Einmal verweigert ihr der Schuldiener den Zutritt ins Schulgebäude, weil sie in einen Regenschauer gekommen ist. Um am Unterricht teilnehmen zu können, muss sie das fürs Mittagessen vorgesehene Geld für das Bügeln ihrer Kleidung ausgeben. Unterstützt wird Larita von ihrer Lehrerin Frau Dr. Martínez, die ihr eine Empfehlung ausstellt und sie ermutigt, und von ihrer Großmutter, die ihre geliebten Ohrringe verkauft, um der Enkelin eine Schuluniform schenken zu können. Die Familie ihrer Tante indes drängt sie, zu arbeiten und zum Unterhalt der Familie beizutragen. Laritas Freund Victor trennt sich von ihr, als er erfährt, dass sie für ein Jahr ins Ausland gehen möchte. Nachdem sie alle Prüfungen bestanden hat, scheitert Larita letztlich an Formalitäten. Weil ihre Eltern nicht verheiratet sind und weil sie keine Empfehlungsschreiben angesehener Bürger vorweisen kann, verliert sie den Anspruch auf das Stipendium. Am Ende des Films traut sich Larita, an Hemingways Tür zu klingeln.
Mit der Rolle der Larita hatte die inzwischen berühmte Schauspielerin Laura de la Uz noch vor Abschluss ihres Schauspielstudiums ihr Filmdebüt. Auf dem XII. Festival Internacional del Nuevo Cine Latinoamericano 1990 erhielt sie den Gran Coral als beste Darstellerin. „Hello Hemingway“ erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen. Pérez zeigt in seinem Film, dass Laritas Familie trotz der Armut, in der sie lebt und die sich noch verschlimmert, als der Onkel seine Arbeit verliert, starken familiären Zusammenhalt beweist und große Lebensfreude an den Tag legt. Der Regisseur beschreibt das Fazit seines Filmes so: „Larita lernt, dass man für seinen Traum kämpfen muss – und es ist nicht wichtig, dass man ihn erreicht. Was zählt, ist, dass man gekämpft hat.“
„Hello Hemingway“, Regie: Fernando Pérez, erhältlich auf DVD, 19,00 Euro.
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