von Klaus Hammer
Das Von der Heydt-Museum in Wuppertal hat seine anfangs gar nicht beabsichtigte Serie der Impressionisten – sie begann mit der Schule von Barbizon und führte über Renoir, Monet, Sisley, Pissarro, Bonnard, Gigoux und Rodin zu Degas – nun mit Edouard Manet beendet, jenem „peintre de la vie moderne“, wie ihn Baudelaire bezeichnete, dem bürgerlichen Maler, der dennoch das Bürgertum ständig provozierte, dem Impressionisten, der keiner sein wollte. Es gibt nur 450 Bilder von Manet, der schon mit 51 Jahren gestorben ist. Und „nur“ 40 Gemälde – also gerade mal 10 Prozent seines malerischen Werkes – sind in dem ehrgeizigen Wuppertaler Projekt zusammen gekommen. Hauptwerke wie „Olympia“, „Frühstück im Freien“ oder auch „Die Bar in den Folies Bergère“ fehlen. Ihr fragiler Zustand lässt einen Transport nicht zu, zudem sind sie besonderer Anziehungspunkt für die Besucher des Musée d’Orsay in Paris oder der Courtauld Gallery in London und werden deshalb nicht verliehen. Dennoch kann man von einer repräsentativen Ausstellung sprechen, die viele unbekannte oder bisher unbeachtete Facetten im Werk Manets ausleuchtet: Manet – der Anti-Monarchist, der Demokrat, der Porträtist, Manet und die „Spanienmode“, Manet und die Fotografie, der Maler von Landschaften – von Seestücken –, von Stillleben, aber im Wesentlichen war er doch ein exzellenter Figurenmaler.
Regelmäßig reichte Manet seine Werke zu den jährlich stattfindenden Salon-Ausstellungen ein, nur um dort immer wieder abgewiesen zu werden. Doch beteiligte er sich an keiner der acht Impressionisten-Ausstellungen, obwohl er mit Monet, Degas und Renoir eng befreundet war. „Der Salon ist der Kampfplatz“, sagte er – und nur hier wollte er ausstellen.
Manet malte zwar in den 1870er Jahren auch „en plein air“, aber lieber war er der Maler-Flaneur, der tagsüber, aber auch nachts durch Paris streifte und erst im Atelier die Synthese aus der Fülle der visuellen Eindrücke zog: Auf den Promenadenkonzerten im Tuileriengarten, auf der Pferderennbahn in Longchamp, von den Maskenbällen in der Oper, vom Bahnhof Saint-Lazare, in seinen großen Paris-Panoramen. Hier gelangte er zu außergewöhnlichen Bildfindungen. Aber der Flaneur Manet wurde ebenso zum sensiblen Beobachter psychologisch aufgeladener intimer Beziehungen.
Viele Bilder Manets wurden durch klassische Werke und altbekannte Themen angeregt (Raffael, Tizian, Rubens, Velasquez, Goya und andere), aber sie sind keine Pasticcios oder Nachahmungen, sondern originäre Schöpfungen. Mythologische und historische Figuren hat Manet durch zeitgenössisches Personal ausgetauscht – etwa „Olympia“ (1863), die in Wuppertal nur als Reproduktion gezeigt werden kann, aber eine Radierung steht stellvertretend für sie: Sie ist eine Kurtisane wie aus einem Buch von Alexandre Dumas, keineswegs eine Göttin. Obwohl nackt, lebt sie in der gleichen Welt der Menschen mit Frack und Zylinder, die sich auf den Pariser Boulevards ergehen. Auf einem Divan ruhend, blickt sie den Betrachter direkt an, auch der Blumenstrauß, den eine dunkelhäutige Bedienstete ihr überreicht, nimmt die Beziehung zum Betrachter auf, der durch ihn zum imaginären Freier wird und Olympia gerade seine Offerte macht. Mit realistischer Freizügigkeit hat Manet Figuren, Gegenstände und Wirklichkeitsausschnitte so arrangiert, dass sie sich uns geradezu anbieten, uns, den Betrachtern seiner Bilder.
Eine ungeheure Dynamik der Geschwindigkeit visualisiert dagegen „Die Rennbahn von Longchamp“ (1867): Aus der Tiefe des Raumes rast die Gruppe der Rennpferde direkt auf den Betrachter zu, während die Zuschauermenge in sicherem Abstand den Zieleinlauf der Pferde verfolgt.
Im „Frühstück im Atelier“ (1868) – auch nur in einer Reproduktion zu sehen – nimmt das Stillleben erstaunlich viel Platz ein, in das drei Figuren als Brustbild in Seitenansicht, als Kniestück und als Ganzfigur eingefügt sind. Der Maler hat seine Menschen im „Lebenden Bild“ stilllebenhaft, wie die toten, reglosen Dinge, eingefroren. Wie das stilllebenartige Arrangement zusammenhanglos erscheint, haben auch die Figuren keinerlei Beziehungen zueinander. Ein undurchdringliches Schweigen, ein Verstummtsein liegt über ihnen. Abermals anders „Der Balkon“ (1868/69) – drei Figuren sind herausgetreten aus der nur spärlich beleuchteten Wohnung im Hintergrund ins Offene, sie blicken in verschiedene Richtungen. Aber nur die eine, Berthe Morisot, die Malfreundin, mit ihrer Auftrittskultur, scheint den Betrachter wirklich zu fesseln. Manet hat sie hart an das kaltgrüne Eisengeländer gerückt, auf dem ihr rechter Arm und die Hände mit dem zusammengefalteten Fächer ruhen. Ernst, versonnen blickt sie in eine Ferne. Der Maler betrachtet sie hier in einer achtungsvollen Distanz.
Immer wieder hat Manet Berthe Morisot gemalt, 14 Porträts von ihr im Verlauf von sechs Jahren geschaffen, in der einzelne – immer wieder andere – Charakterzüge hervortreten. Ob verschleiert (1872), wobei der Blick unbestimmt bleibt, ob den Fächer auffaltend (1874), so dass er als Zeichen eines Abschieds als Modell gedeutet werden kann (sie wurde ja dann die Frau seines Bruders), wird hier ein vielfältiges Beziehungsgefüge zwischen Künstlerin und Künstler sichtbar. Wunderbar auch das so sprechende, ausdrucksstarke „Porträt der liegenden Berthe Morisot“ (1873), das aus dem dunklen Hintergrund heraustritt.
„Im Wintergarten“ (1879) stellt ein ungleiches Paar inmitten eines Pflanzenarrangements dar. Sie hat die Künstlichkeit einer Schaufensterpuppe, er, hinter der Gartenbank stehend, neigt sich ihr zögerlich werbend zu, während sie an ihm vorbei ins Leere schaut. Tritt hier ein Mensch aus Fleisch und Blut neben eine Kunstfigur, eine „Eisheilige“? Im gleichen Ambiente hat Manet seine Frau Suzanne gemalt („Madame Manet im Wintergarten“, 1879). Die Sitzende ist jetzt dichter an den Maler herangerückt und die Pflanzen durch Unschärfe weiter abgerückt. Doch gerade sie sind es, die die Porträtierte und die Beziehung des Malers zu ihr genauer charakterisieren.
Mit der Fotografie teilt die Malerei Manets die Fähigkeit, die Mimik und Gestik einer Person momenthaft zu erfassen. Wie zufällig fällt der Blick des Flaneurs Manet in dem Bild „Beim Père Lathuille“ (1879) auf die aufdringlichen Annäherungsversuche eines bohèmehaften Galans an eine elegante Dame in einem Gartenlokal. Er hat den Arm besitzergreifend bereits auf die Rückenlehne ihres Stuhls gelegt, schaut sie mit frechen Augen an, während sie ihm distanziert gegenüber sitzt. Die flüchtigen Bilder der Erscheinungsformen des modernen Lebens haben sich bei Manet als „Spiegel der Erinnerung“ eingeschrieben.
Bei dem Bild „Die Zitrone“ (1880) – die Zitrone ruht vor dunklem Hintergrund auf einem Zinnteller – hat der Betrachter keine Möglichkeit, Teil dieses Bildes zu werden. Manet geht es hier nicht um eine genaue Darstellungsweise. Komposition, Farbgebung und Farbauftrag sind ihm viel wichtiger als der Inhalt des Bildes oder die Bedeutung des Gegenstandes. Deshalb wählt Manet einfache Dinge, eine Zitrone, eine Melone, einen Spargel, einen toten Hasen, eine Distel, um nicht durch das Interesse am Gegenstand von der Malerei abzulenken. Die primäre Seherfahrung ist entscheidend, so lässt Manet auch in dem kleinformatigen „Stillleben mit Spargel“ von 1880 den Spargel wie aus einem Nichts – aus einem bräunlich diffusen Hintergrund – auftauchen. Formen und Farben lösen sich vom Bildgegenstand und gehen eine freie kompositorische Beziehung ein.
Manet war ein Gegner der Monarchie und ein Befürworter der Republik und demokratischer Strukturen. Auf einem ausgestellten Briefbogen von 1880 hat er die Tricolore gezeichnet und die Worte „Vive la République!“ geschrieben. Er schuf allein vier Fassungen von „Die Erschießung des Kaisers Maximilian von Mexiko“ und fertigte auch eine Lithografie an (1868). Dass er dieses verbotene Thema, das zu einem der größten politischen Desaster des Kaiserreichs führte, überhaupt aufgriff, kann man schon als Ausdruck einer republikanischen Opposition deuten. „Die Explosion“ (1871) wiederum erinnert an den mit unendlicher Grausamkeit geführten Krieg der bürgerlichen Regierungstruppen mit den Communarden.
Das letzte großformatige Bild ist „Die Bar in den Folies Bergère“ (1882), dann bestimmen Stillleben und Landschaften in kleineren Formaten seine letzte Lebenszeit. Die Ansicht des Hauses in Rueil, das er 1882 als Erholungsort gemietet hatte, fangen noch einmal die Sonnenstrahlen und das Glück eines letzten Sommers auf seine ganz eigene Weise ein.
Manet, der Künstler der Moderne, der Bürger mit Zivilcourage, der unerschrockene Demokrat – so lernen wir ihn in dieser beeindruckenden Ausstellung kennen.
Edouard Manet, Von der Heydt-Museum Wuppertal, bis 25. Februar 2018; Katalog 25,00 Euro.
Schlagwörter: Edouard Manet, Impressionismus, Klaus Hammer, Moderne, Von der Heydt-Museum Wuppertal