von Heinz W. Konrad
Januar: Das neue Jahr beginnt mit einem Paukenschlag: Soeben freigegebene Dokumente des amerikanischen Geheimdienstes belegen, dass Josef Wissarionowitsch Dshugashwili, auch bekannt als Stalin, ein Agent der CIA war. Bereits in seiner Zeit im Priesterseminar von Tiflis kontaktiert und zur Mitarbeit unter dem Tarnnamen „Steelman“ gewonnen, wurde der Georgier damit beauftragt, sich Stück für Stück an die Spitze der Revolution zu arbeiten und das Land dann durch eine Melange von Massenmord und Entwicklungshemmung in den Status eines für den Kapitalismus ungefährlich schlechten Beispiels zu manövrieren. Wie aus den Unterlagen hervorgeht, wurde Stalin im Laufe seiner erfolgreichen Karriere als CIA-OibE mit geldwerten Wodkaflaschen belohnt.
Die russische Staatsführung sieht sich umgehend genötigt, Stalin nun posthum den Prozess wegen Landesverrats zu machen. Da aber auch in Russland solange die Unschuldsvermutung gilt, bis jemand rechtskräftig verurteilt worden ist, wird der „Vater der Völker“ einstweilen als „mutmaßlicher“ Massenmörder bezeichnet und sein Gesicht bei einschlägigen Abbildungen verpixelt.
Die orthodoxe deutsche Linke reagiert auf die Enthüllungen mit einer Stellungnahme, in der es heißt, man habe schon immer gewusst, dass hinter Stalins Unanständigkeiten die USA stecken würden, was sich nunmehr als neuerlich wahr erwiesen habe.
Februar: Nach monatelangen Sondierungen und Koalitionsverhandlungen hat sich endlich eine handlungsfähige Jamaika-Koalition formiert. Die wiedergewählte Kanzlerin setzt dabei auf einige neue Gesichter, die das längst sedierte politische Leben von Kabinett und Parlament reanimieren sollen. Überrascht sind politische Beobachter vor allem von der Besetzung der Posten des Außenministers mit Quizling Eckart von Hirschhausen und des Umweltministers mit dem bisherigen EWE-Vorstand Michael Heidkamp. Das Bildungsministerium wiederum ist wie erwartet an ProSiebenSat1-Chef Thomas Ebeling gegangen. Alle Mitglieder des neuen Kabinetts schworen per nunmehr laizistisch abgefasstem Amtseid, Deutschland gut zu regieren, so wahr ihnen noch zu helfen ist.
März: Der Berliner Senat erregt Aufsehen mit einer kreativen Maßnahme zur Behebung des personellen Notstandes bei der hauptstädtischen Polizei, in deren Reihen beklagenswert viele Stellen für den aktiven Dienst zur Verbrechensbekämpfung auf der Straße unbesetzt sind. Abgeleitet aus der bereits praktizierten gemeinnützigen Arbeit als Ersatz für eine Haftstrafe sollen nun 2000 der geeignetsten Häftlinge aus den Berliner Justizvollzugsanstalten in einem Schnellkurs zu Polizisten ausgebildet werden. Der Vorzug, so die Senatskanzlei des Innern, liege auf der Hand, denn zum einen würden die Planstellen der Polizei aufgefüllt (und zwar mit Experten in Sachen Verbrechen), zum zweiten würden die überfüllten Haftanstalten entlastet, und drittens leisteten die bisherigen Häftlinge dann gesellschaftliche nutzbringende Arbeit, die bei ihnen nicht zuletzt auch die negativen Folgen einer Haft vermeiden helfe.
April: Das Bundesverfassungsgericht verhandelt den mit einem Hinweis auf die gerade erst in Moskau begonnene Neubewertung Stalins versehenen Antrag von Anwalt Horst Mahler, dass nicht nur bei heutigen Straftaten solange nur von mutmaßlichen Taten und Tätern die öffentliche Rede sein darf, bis diese rechtskräftig für ihre dann gerichtlich erwiesenen Vergehen oder Verbrechen verurteilt worden seien. Wie in Russland auf Stalin bezogen, habe die Unschuldsvermutung bis zu einer Verurteilung nun auch für Personen der deutschen Vergangenheit zu gelten, die nie in einem rechtsstaatlichen Prozess bestraft worden sind. Adolf Hitler oder Heinrich Himmler etwa müssten demzufolge bei ihrer öffentlichen Erwähnung korrekter Weise als „mutmaßliche Massenmörder“ bezeichnet werden. Ihre Gesichter sind bis auf weiteres in fotografischen oder filmischen Darstellungen unkenntlich zu machen. – Für die Verhandlung des Antrages hat das BVG zunächst 60 Prozessjahre angesetzt.
Mai: Nach einem Machtwort Gregor Gysis beendet die Linkspartei ihren Führungs- und damit Richtungsstreit dadurch, dass sie den SPD-Kollegen Karl Lauterbach als neutralen und hinreichend leidenschaftslosen Schlichter einsetzt, dessen fulminante Absichtserklärung vor der Runde der linken Hegemonen bei Redaktionsschluss aller Printmedien noch andauert. Gysi unterbricht mit seinem neuerlichen Engagement zur Beilegung der Führungskrise eigens die Abfassung des zweiten Bandes seiner Autobiografie, die – anders als Band I – diesmal ausschließlich von ihm selbst handeln soll.
Juni: Ein weiteres Mal ist Deutschland laut einer Untersuchung des Marktforschungsinstitutes GfK als weltweit „Beliebtestes Land“ ermittelt worden. Das ergibt eine Umfrage zum Image von 50 für diesen Ehrentitel infrage kommenden Ländern. Die Auszeichnung kann indes noch nicht offiziell vergeben werden, da sowohl das Weiße Haus als auch der Kreml beanstanden, dass nach Kenntnissen ihrer Geheimdienste 84.000.000 der 84,02 Millionen Klicks für Deutschland Rechnern des Bundeskanzleramtes zuzuordnen sind, was eine Akzeptanz des Ergebnisses inakzeptabel mache.
Juli: Nachdem Vizekanzlerin Göring-Eckert wegen der überraschenden Geburt ihrer Drillinge ihr Amt aufgeben muss, wird Helene Fischer dank einer eilends einberufenen Volksabstimmung mit 102,3 Prozent Zustimmung der deutschen Bevölkerung ins Kabinett berufen und übernimmt zusätzlich zu Göring-Eckerts Posten auch den des Autogrammbeauftragten der Regierung.
August: Die oberste gerichtliche Behörde Russlands hat nach jahrelanger Prüfung durch hochrangige Juristen und Historiker Beweise für Verfahrensfehler bei der Abfassung jenes Kaufvertrages gefunden, durch den Alaska 1867 für poplige 7,2 Millionen Dollar an die USA ging. Es sei völkerrechtlich wie kaufmännisch völlig unstrittig, dass der Vertrag ungültig und Alaska umgehend an Russland zurückzugeben sei. Moskau besteht auf umgehender Abtretung im Zustand des seinerzeitigen Verkaufes. Im Verweigerungsfall durch Washington werde man nicht verhindern können, dass russische Soldaten in Alaska Urlaub machen, heißt es in einem Memorandum aus dem Kreml.
Nach jahrelangem Rechtsstreit vor dem Internationalen Gerichtshof hat an der vorpommerschen Ostseeküste die von Deutschland geforderte Rückführung des ins Baltikum geflüchteten Sandes der ostdeutschen Inseln Usedom und Rügen begonnen. Unter Berücksichtigung der mangelhaften technischen Ausrüstung Estlands, Lettlands und Litauens hat sich das geschädigte Deutschland zu dem Zugeständnis bereit erklärt, dass die Balten die eingeklagten Tonnen Sandes mittels einer Eimerkette nach Usedom transportieren und westlich von Swinemünde zur Herkunftsprüfung an die deutschen Behörden übergeben. Um die Zustimmung Polens nicht zu gefährden, hat das Kanzleramt in einer Sprachregelung für die deutschen Medien empfohlen, auf den Begriff Eimerketten-Korridor strikt zu verzichten.
September: Wider Erwarten halten sich die erstmals ins deutsche Parlament gewählten Abgeordneten der AfD-Fraktion politisch völlig unauffällig und verzichten auf arteigene Provokationen. Ebenso wie ihre Kollegen der anderen Parteien sehen sie mehrheitlich von einer Teilnahme an Plenarsitzungen ab und gehen mit ihren Zwischenrufen oder Gelächtern nicht nennenswert über das im Hohen Haus bereits übliche Rüpelniveau hinaus. In Teilen des Wahlvolks der AfD wird angesichts der sich häufenden rechtslastigen Ausfälle und Anschläge gegen Flüchtlinge, deren Urheber sich auf die AfD-Ideologie berufen, immer öfter geraunt: Wenn Alexander Gauland das wüsste …
Oktober: Das LesBITransInterA*-Referat der Berliner FU veröffentlicht ein Memorandum, das sich anschickt, nicht nur das Verrichten studentischer Notdürfte zu revolutionieren: Die üblichen Toilettentüren der Alma Mater werden mit neuen Schildern versehen und fungieren nun als Zugänge zu „all gender welcome toilets“. Mit der bisherigen Festlegung auf Männer-, Damen- oder Behindertentoiletten werde, wie auf einer internationalen Pressekonferenz verkündet wird, nun gebrochen und so „strukturelle Diskriminierung und Gewalt“ beendet.
Zugleich verlangen die Studenten der Berliner Humboldt-Universität, das Karl-Marx-Zitat in der Lobby dem queeren Zeitgeist folgendermaßen anzupassen: „Die Toiletten haben die Bedürftigen bisher nur verschieden sortiert, es kömmt aber darauf an, sie zu vergendern.“
Unbeantwortet blieb bislang der Aufruf Helge Schneiders, analog zu dieser Initiative auch das Katzeklo zu entdiskriminieren.
November: Während einer eigens einberufenen Festsitzung verleiht der Aaachener Karnevalsverein (AKV) den traditionellen „Orden wider den tierischen Ernst“ erstmals ex aequo. Er geht einstimmig an Kim Jong Un und Donald John Trump, welche die wichtigsten Kriterien für diese Auszeichnung vorbildhaft erfüllen, indem sie Individualität, Beliebtheit und Mutterwitz in sich vereinen, vor allem aber Humor im Amt bewiesen haben. Beide Sprengköpfe dankten sichtlich bewegt für diese Ehrung und versicherten glaubwürdig, dem Geist des Ordens auf immerdar gerecht bleiben zu wollen. Donald Trump verpflichtete sich zugleich, als „bescheidene Gegenleistung“ für diesen Ritterschlag die Aachener Printen-Industrie mit einer milliardenschweren Investition zu stabilisieren. Einzige Bedingung sei dabei, dass die beliebten Lebkuchen ihr schokobraunes Äußeres durch die Farbe seines Haarschopfes ersetzen müssten.
In Berlin wiederum vergibt der hauptstädtische Karnevalsverein den „Hei-Jo“-Preis und ehrt diesmal damit den Paragrafen 1 der Straßenverordnung für die an Humorigkeit nicht zu überbietende Forderung: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“
Dezember: Die Studenten der Berliner Alice-Salomon-Fachhochschule beenden die Auseinandersetzung mit dem Gomringer-Gedicht an der Uni-Fassade mit einem durch den Europäischen Gerichtshof herbeigeführten Kompromiss: Die Lehranstalt wird in „Eugen-Gomringer-Hochschule“ umbenannt und ihr Gebäude mit dem Schriftzug eines Zitates von Alice Salomon versehen.
Schlagwörter: Heinz W. Konrad, Horrorskop