von F.-B. Habel
Keine Theatergattung steht so eng zwischen Kunst und Politik wie das Kabarett. Leicht kann man zerquetscht werden. Ein Blick zurück kann da manche Geschichtsstunde ersetzen, zumal wenn es sich um das Kabarett in der DDR handelt. Hier wurde viel versprochen und dann abgeblockt. Eine Hierarchie von Gremien kontrollierte die Themen, und wie sie auf die Bühne kamen. Übrig blieben oft „harmlose Späßchen über die Schwierigkeit, einen Ferienplatz an der Ostsee zu ergattern, schale Witzchen über die weibliche Lust, sich die Haare pflegen zu lassen und hilflose Agitprop-Pointen über die als überflüssig empfundene Forderung aufmüpfiger Geister, Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden.“
So schrieb es der renommierte Kabarett-Historiker Volker Kühn, der sich als „Wessi“ kaum in der Lage sah, darüber umfassend zu berichten, weil er eben kein Teil dessen war. „Deshalb wünschte ich dem Kabarett drüben von jeher einen verlässlichen Chronisten, einen, der aufnotiert, was war und warum. Einen, der Distanz genug hat, um von außen zu beobachten und nah genug dran war, um interne Vorgänge zu beschreiben.“ Das schrieb der 2015 verstorbene Fachmann im Vorwort des Buches „Beim Barte des Proleten“, das sich mit der Geschichte des ersten DDR-Kabaretts im festen Haus, der Distel, auseinandersetzt. Mit dem Autor Jürgen Klammer ist der Mann gefunden, den Kühn sich wünschte. Sein Buch ist informativ und unterhaltend, schildert die Geschichte der Distel von Beginn an Programm für Programm, und vor allem die Probleme von außen, die immer wieder in die Stücke eingriffen und manchen humorvollen Autor zum Weinen brachten. Er bietet reiches Bildmaterial, darunter viele ganzseitig wiedergegebene farbige Plakate und zahlreiche Karikaturen, unter anderen von Sandberg und Kretzschmar, die die Kurzbiografien der wesentlichen Distel-Künstler begleiten.
Die Distel tat gut daran, sich der Mitarbeit Klammers zu vergewissern. In der zweimonatigen Reihe „Kabarettgeschichte(n)“, die jetzt im Zeichen des 65. Distel-Jubiläums im nächsten Herbst steht, schildert Jürgen Klammer locker und informativ die Dienstjahre der einzelnen Direktoren, lädt sich auch immer Gäste ein, die über die jeweilige Ära authentisch berichten können. Weil von den Anfängen 1953 nicht mehr viele Zeitzeugen erzählen können, kam zu der dem Gründungsdirektor Erich Brehm gewidmeten Veranstaltung der langjährige Distel-Direktor Otto Stark. Der muntere 95jährige kam erst nach der Brehm-Ära 1960 ans Haus, kannte ihn allerdings noch. Schließlich hatte Stark in Dresden die Herkuleskeule gegründet, die auch in Brehms Distel gastierte. Stark ließ es sich nicht nehmen, eins seiner damaligen Soli zum Besten zu geben. Im März kommt er wieder, um zu seiner eigenen Ära Rede und Antwort zu stehen.
Mit diesem Gast deutete sich an, dass es in der Reihe der „Kabarettgeschichte(n)“ nicht allein um die Distel geht, denn viele andere Kabaretts spielen da hinein. Mit ihnen beschäftigte sich Christopher Dietrich weit umfangreicher in seiner Dissertationsschrift „Kontrollierte Freiräume“, für die er auch mit Jürgen Klammer zusammenarbeitete. In seiner im wissenschaft verlag be.bra erschienenen Studie widmet er sich dem ganzen Spektrum des politisch-satirischen Kabaretts der DDR, in der es nur zwölf Berufsensembles, aber ein Mehrfaches an Amateurgruppen gab. Dietrich hat in Archiven gesucht und Zeitzeugen befragt, stellt den oft reglementierten Alltag in den Kabaretts ebenso vor, wie die hanebüchenen Ausnahmen, wenn sich staatliche Stellen in die Enge getrieben fühlten. Akten des Ministeriums für Staatssicherheit wertete der Autor aus und gibt sie in Beispielen auch als Faksimile wieder. Eine ausführliche Untersuchung ist hier der Distel gewidmet, aber auch auf die Leipziger Pfeffermühle, die Magdeburger Kugelblitze, die schon zitierte Dresdner Herkuleskeule und das Kabarett am Obelisk aus Potsdam wird breit eingegangen. Nicht auf Radio-Satire (etwa im Rundfunkkabarett Die Scheibenwischer), wohl aber auf Kabarett im Fernsehen wird hier eingegangen, wobei sich letzteres in der DDR seit Mitte der siebziger Jahre als regelrecht kabarettresistent erwies. Wie bei diesem Umfang nicht anders zu erwarten, haben sich bei Dietrich auch kleine Fehler eingeschlichen, etwa, wenn er das Berliner Lehrerkabarett Die Lachberater in manchem Aspekt mit der am gleichen Haus etablierten und literarisch orientierten Sprechergruppe (wirklich kein origineller Name!) verwechselte. Das ist lässlich. Beide Bücher enden übrigens nicht bei Ende der DDR, sie sondieren die Lage der jüngeren Jahre ebenso kritisch.
Jetzt steht der nächste Distel-Nachmittag mit „Kabarettgeschichte(n)“ unmittelbar bevor. Es geht um die Direktionszeit von Hans Krause, in der für sechs Programme Herbert Köfer (96) auf der Distel-Bühne stand. Davon wird der heute älteste regelmäßig aktive Schauspieler der Welt Jürgen Klammers Fragen gewohnt pointiert beantworten.
Kabarettgeschichte(n): Hans Krause – Zweiter DISTEL-Direktor, Studio der Distel, 26.11.2017, 16 Uhr.
Jürgen Klammer: Beim Barte des Proleten, selbstironieverlag 2013, 272 Seiten, Bestellungen per E-Mail an info@selbstironieverlag.de.
Christopher Dietrich: Kontrollierte Freiräume – Das Kabarett in der DDR zwischen MfS und SED, be.bra wissenschaft verlag 2016, 736 Seiten, 36,00 Euro.
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