20. Jahrgang | Nummer 23 | 6. November 2017

Über Schmitt

von Stephan Wohanka

Wer schenkt sich Machiavellis Werke zur Hochzeit? Der Staatsrechtler, politische Ideengeber, Edelnazi und heimliche Berater der jungen Bundesrepublik Carl Schmitt tat dies. Man müsse über Schmitt auch mal anders reden als über den „Kronjuristen des Dritten Reiches“, lautete eine Empfehlung im Forum des Blättchens. Wohlan.
Es muss hier nicht breit ausgeführt werden: Schmitts Wirkung erreicht eine schier grenzenlose Zahl von Schülern, Adepten und Bewunderern; sein „intellektueller Einfluss“ ist immens. Seine radikalen Theorien über Freund und Feind, Legalität und Legitimität, den Begriff des Politischen wurden in alle wichtigen Weltsprachen übersetzt und von erzkatholischen und nationalistischen Konservativen gleichermaßen intensiv buchstabiert wie auch von kommunistischen Revolutionären hierzulande und der Dritten Welt. Um die Verwunderung über Letzteres aufzulösen: Das auf der berühmten SDS-Delegiertentagung 1967 vorgetragene sogenannte Organisationsreferat konnte nach Auffassung von Kennern der Materie nur gehalten werden, weil Hans-Jürgen Krahl, neben Rudi Dutschke Autor desselben, Schmitts Theorie des Partisanen aus dessen Werk „Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen“ (1963) rezipiert hatte. Der Maoist Joachim Schickel bescheinigte Schmitt, „einzig erreichbarer Autor“ zu sein, „der sich kompetent zum Thema (zur Partisanentheorie – St. W.) geäußert hat“.
Schmitts produktive Zeit fiel in eine Ära, in der sich die Moderne voll entfaltete – so weit, dass sie mit ihren eigenen Mitteln eine gigantische Selbstzerstörung zu betreiben begann. Namentlich die Säkularisierung als (weitere) Loslösung von den institutionalisierten Religionen, die fortdauernde Industrialisierung in Gestalt des Fordismus und mit ihr der Glaube an die „,Perfektibilität‘ durch beständigen Fortschritt“ (Bernhard Schäfers), aber auch Emanzipation (der Populismus ist ein Reflex auf immer noch nicht verstandene Emanzipationsprozesse) und Individualismus steuerten auf – vorläufige – Höhepunkte zu und auch darüber hinaus. Schmitt gehörte zum enttäuschten Bürgertum der zwanziger  Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
„Meinen Aufsatz über das Politische halte ich für meine beste Arbeit“, sagte er. Die Kernthese der Schrift lautet: „Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.“ Feind? Woher nimmt sich dieser Manichäismus, der das Politische als Schauplatz eines Kampfes, ja Krieges sieht oder aber, eine andere Lesart, der „dürftige Formalismus des ,Freund-Feind‘-Verhältnisses“ (Theodor Heuss)? Schmitt schreibt: „Das Politische hat nämlich seine eigenen Kriterien, die gegenüber den verschiedenen, relativ selbstständigen Sachgebieten menschlichen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, Ästhetischen, Ökonomischen in eigenartiger Weise wirksam werden. […] Nehmen wir an, dass auf dem Gebiet des Moralischen die letzten Unterscheidungen Gut und Böse sind; im Ästhetischen Schön und Hässlich; im Ökonomischen Nützlich und Schädlich oder … Rentabel und Nicht-Rentabel.“ Schmitt presst also die unendliche Vielfalt der Wechselbeziehungen und -wirkungen wesentlicher „Sachgebiete menschlichen Denkens und Handelns“ in einen „dürftigen Formalismus“, sprich simple Entgegensetzung. Die greift nicht nur in der Politik, aber dort besonders, zu kurz: Im öffentlichen Leben gilt es – will man es verstehen und vor allem gestalten -, immer zwei Fragen zu stellen. Die eine analysiert, nimmt Fakten auf, misst, arbeitet mit quantitativen Analysen. Sie lautet: Was ist das? Die andere erfasst die symbolische Ebene, bezieht Kontexte ein, erforscht Zwischenräume, bestimmt Verstehens- und Verhaltensweise. Sie fragt: Was bedeutet das? (Nota bene meint Präsident Emmanuel Macron, „dass das moderne politische Leben den Sinn für das Symbolische wiederfinden muss“.) Sinnvolles, Sinnstiftendes kann – meine ich – nur herauskommen, wenn die Resultate beider Fragen in einem spannungsreichen Dialog erörtert werden. Der quantitative und der qualitative Ansatz verweisen aufeinander und erst deren Integration führt zu wünschenswerten Ergebnissen. Darüber hinaus wird die unendliche Vielgestaltigkeit des öffentlichen Lebens von Werten getragen (und trägt selber welche), die ihrem Wesen nach transzendent sind, also kaum in ein Freund-Feind-Schema einzupassen sind. Und wenn politische Wertkonflikte von „gegnerischen Identitäten beherrscht“ (Jürgen Habermas) werden, so sind sie quasi rational unlösbar und es bleibt nur das Diktat, der Zwang, der „Krieg“; ganz im Sinne Schmitts. Dass schon Zeitgenossen dies so verstanden, macht ein Brief Ernst Jüngers an Schmitt überdeutlich: „Ich schätze das Wort zu sehr, um nicht die vollkommene Sicherheit, Kaltblütigkeit und Bösartigkeit Ihres Hiebes zu würdigen, der durch alle Paraden geht. Der Rang eines Geistes wird heute durch sein Verhältnis zur Rüstung bestimmt. Ihnen ist eine besondere kriegstechnische Erfindung gelungen: eine Mine, die lautlos explodiert.“
Dass der Begriff des Politischen für Schmitt zentral ist, macht er auch als führender Staatsrechtler der Weimarer Republik klar. Seine 1928 publizierte „Verfassungslehre“ sorgt für Aufsehen. Er interessiert sich darin für die Frage, wie sich der Staat als „politische Einheit eines Volkes“ konstituiere. Die Leistung eines Staates als „maßgebender politischer Einheit“ liegt für ihn darin, dass dieser innerhalb seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeiführt und dadurch eine Situation schafft, in der das Recht Gültigkeit besitzt. Der Staat sei dabei aber grundsätzlich dem „Politischen“ nachgeordnet: „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus.“ Der Staatsbegriff könne demnach nicht länger die fundamentale Kategorie bilden, denn er leiste nicht mehr, was er leisten soll, nämlich die politische Einheit zu bezeichnen. So stülpt Schmitt seine polemische Logik auch dem Staat über. Überträgt man dies auf konkrete politische Situationen, auf unmittelbar staatliches Handeln, wird sein Denken moralisch anstößig. Es gibt darin überhaupt keine Synthese, keine Versöhnung von Freund und Feind. Was wiederum ganz im Sinne Schmitts ist, denn er schreibt: „Jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethische oder andere Gegensatz verwandelt sich in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren.“ Also alle politischen Probleme sind so zuzuspitzen, dass sie zu, wie oben schon gesagt, „quasi rational unlösbaren“ werden.
Schmitts Werk wird natürlich auch anders gelesen – als „Etablierung demokratischer Grundprinzipien“ (Klaus-Peter Hufer). So sagt die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, sich auf Schmitt stützend, dass es in der Politik „immer um kollektive Formen der Identifikation“ und um „unüberbrückbare Antagonismen“ gehe und nicht, wie liberale Denker (etwa Ulrich Beck und Anthony Giddens) meinen, um einen Aushandlungsprozess zwischen Individuen über „Lebensführung“. Die „Feinderklärung“ Schmitts brauche es auch in der Demokratie, denn die Aufgabe demokratischer Institutionen sei es, den Konflikt in eine Form zu bringen, die es erlaube, ihn auf friedliche Weise auszutragen. Auf „friedliche Weise“? Dazu ist alles gesagt. Bedenkenswert ist diese Sicht insofern, als dass das Fehlen echter Opposition, wie wir es hierzulande erlebt haben, bei vielen Menschen Unbehagen und mehr auslöste und so auch zu den September-Wahlergebnissen beigetragen hat. Dazu wäre an anderer Stelle mehr zu sagen.
Schmitt – das sind Aperçus, Geistesblitze einerseits, Krisenlagen der Demokratie und historische Vorgänge erhellend und andererseits Sackgassen eines Denkens, das schweigt zu moralischen Abgründen und zutiefst misstrauisch gegenüber Liberalismus und Konsens ist. Schmitt war in der Lage, Begriffe zu prägen; seine rechten Adepten sind es auch (wieder). Dass es rechtsradikale Intellektuelle gibt, wissen noch nicht alle.