von Ulrich Busch
382 Journalisten aus 67 Staaten waren daran beteiligt. Mehr als 13 Millionen Datensätze der Offshore-Anwaltsfirma Appleby wurden ausgewertet. Was dabei zutage gefördert wurde, machte Schlagzeilen: ein weltweites Netz und komplexes System professioneller Steuervermeidung und Steuerflucht. Appleby ist auf den Bermudas, den Britischen Jungferninseln, den Kaiman Inseln, auf Guernsey, der Isle of Man, Jersey, Mauritius, den Seychellen, Hong Kong und Shanghai vertreten. Ähnliche Praktiken finden sich aber auch bei entsprechenden Agenturen in den Niederlanden, in Luxemburg und in der Schweiz. Trotz einiger Bemühungen in den zurückliegenden Jahren, die Steuerflucht einzudämmen und den Steuerbetrug zu verringern, haben diese offenbar weiter zugenommen, wurden ihre Methoden verfeinert und sind diese immer professioneller geworden. Mehr als 600 Milliarden Euro transferieren Konzerne und reiche Privatanleger jährlich in Steueroasen. Rund 60 Milliarden Euro gehen dadurch allein dem deutschen Fiskus jedes Jahr verloren, fehlen in den Sozialkassen, für Investitionen, für Infrastrukturmaßnahmen, für die Energiewende. Und die Schere zwischen Arm und Reich geht zusätzlich noch ein Stück weiter auf.
Die Menschen sind angesichts des veröffentlichten Materials empört. Politiker rufen nach Konsequenzen. Beides ist echt. Aber wird es auch etwas bewirken? Oder wird hier nicht vielmehr Recht mit Moralität verwechselt? Wird durch die Offenlegung einiger Millionen Daten die Parallelwelt der Steueroasen, Schwarzgelddepots und Geldwäschezentralen tatsächlich in ihren Grundfesten „erschüttert“, wie der Grünen-Politiker Sven Giegold meint? – Ich glaube das nicht! So beeindruckend es auch ist, einen Einblick in die „Schattenwelt“ zu erhalten, in der sich Konzerne und Superreiche ihren Verpflichtungen gegenüber dem Gemeinwohl entziehen, es verändert sich dadurch noch nichts. Will man eine Veränderung erreichen, so nützt es wenig, sich moralisch zu empören. Wirksamer wäre es, juristisch dagegen vorzugehen und die Staaten aufzufordern, einzuschreiten. Dies aber setzt voraus, dass hier tatsächlich justiziable Vergehen vorliegen und die Empörung sich auf Tatsachen stützt, die juristisch relevant sind. Damit stehen wir vor dem eigentlichen Problem: Die Paradise Papers enthüllen zwar umfassend die professionelle Praxis globaler Steuervermeidung, der überwiegende Teil der dabei praktizierten Methoden jedoch ist völlig legal. Dafür haben die Konzerne und ihre Anwälte schon gesorgt.
Natürlich kann man wie die LINKE fordern, dass die „Finanzkriminalität“ stärker bekämpft und das „Steuerdumping“ sowie die „Steuerflucht“ wirksamer verhindert werden, aber wie setzt man dies praktisch durch? Zunächst bräuchte man dafür andere Steuergesetze, möglichst für die ganze Europäische Union oder sogar weltweit. Alles andere ist illusorisch, so auch die Forderungen nach einer Quellensteuer von 50 Prozent auf Finanzflüsse wie konzerninterne Gebühren, Zinsen und so weiter oder die Einführung einer allgemeinen Vermögenssteuer, wie die LINKE sie jetzt fordert. Es ist auch leicht, mit dem Finger auf Großbritannien zu zeigen, das mit seinen Überseegebieten eindeutig die Landkarte der Steueroasen dominiert. Aber wer zeigt Großbritannien deshalb an? Und bei wem? Im Rahmen der EU blockiert die britische Regierung seit Jahrzehnten den Kampf gegen Steuervermeidung und Geldwäsche. Jetzt könnte der Brexit dafür genutzt werden, die britischen Steueroasen auszutrocknen. Aber sind die anderen Staaten wirklich daran interessiert? Oder ist alles nur Rhetorik, welcher keine entsprechende Gesetzgebung folgt. Die Staaten vertreten jeweils die wirtschaftlichen Interessen ihrer Unternehmen und Vermögenden. Sie werden daher nichts tun, was diesen schadet. Freilich kollidiert dies mit den eigenen fiskalischen Interessen, weshalb es mitunter zu faulen Kompromissen kommt. Ich sehe aber keine politische Kraft, die dem halbherzigen Vorgehen der EU-Finanzminister und der Europäischen Kommission hier Dampf machen würde. Wahrscheinlicher ist deshalb, dass überhaupt nichts passiert, was über die bisherigen Bemühungen hinausgeht, und dass die vorgelegten Daten rasch wieder in Vergessenheit geraten werden.
Was bleibt dann von der moralischen Empörung? Man wird sich aus den Papers ein paar öffentliche Personen herauspicken, einige zweitrangige Politiker, Spitzensportler und Unterhaltungskünstler, und sie an den Pranger stellen. Dies mag im Einzelfall Erfolg haben, stört das Gesamtsystem aber wenig. Es sind Bauernopfer, mehr nicht. Die nächsten Steuersünder werden geschickter vorgehen oder ihre Anwaltsfirma wechseln. Mehr ändert sich dadurch nicht. Die Hauptsteuertrickser sind ohnehin Großunternehmen und internationale Konzerne wie Apple, Facebook, Microsoft, Ebay, Twitter, Yahoo, Nike, Walmart, Siemens, Allianz, Deutsche Post, Deutsche Bank, Bayer, Sixt… Sie werden von der Politik geschont.
So wehrten sich unmittelbar nach den Enthüllungen gleich mehrere EU-Staaten gegen schärfere Bestimmungen für die Offenlegung der tatsächlichen Eigentümer von Trusts und Stiftungen. Und in Deutschland verhindert das Bundesfinanzministerium die Einrichtung öffentlicher Register für Firmeneigner. Zudem hat die Bundesregierung bislang kein zentrales Grundstücksregister angelegt, so dass gar nicht auf entsprechende Daten als Basis für eine Steuererhebung zurückgegriffen werden kann. Dieser Mangel an Transparenz bietet ideale Voraussetzungen für Steuertrickserei und ist, ebenso wie Bargeld, ein günstiger Nährboden für Geldwäsche. In das Bild einer eher symbolhaften Politik passen auch die Aufforderungen der Bundesregierung, die Daten aus den Panama und Paradise Papers an den Staat und die Strafverfolgungsbehörden weiterzureichen. Anstatt selbst aktiv zu werden und die Gesetzeslücken und Steuerschlupflöcher zu schließen, fordert man die Medien auf, sich zum verlängerten Arm der Justiz zu machen und gegen den Quellenschutz zu verstoßen.
Alles in allem wird deutlich, dass die Veröffentlichung der Auswertungsergebnisse der Paradise Papers Teil einer großen Moralisierungskampagne ist, nicht aber der Auftakt zu einer Strafverfolgung von Steuervergehen oder gar der Beginn von größerer sozialer Gerechtigkeit. Anders als bei den Panama Papers, wo es in vielen Fällen um Geldwäsche und kriminellen Steuerbetrug ging, handelt es sich hier in aller Regel um Fälle einer ganz legalen Steuergestaltung. Die 1898 gegründete und auf Offshore-Unternehmen spezialisierte Kanzlei Appleby legt auf einen seriösen Ruf großen Wert. Doch das macht die Paradise Papers in gewissem Sinne erst wirklich brisant. Dokumentieren sie doch gewissermaßen die legale Basis für unmoralisches Verhalten und illegale Geschäfte. Zugleich belegen sie, wie breit Steuervermeidung und damit soziale Verantwortungslosigkeit inzwischen akzeptiert sind. Das betrifft vor allem Unternehmen, aber auch Politiker und Prominente, die von der Steuerumgehung profitieren.
Darüber hinaus wirft es aber auch ein bezeichnendes Licht auf die Gesellschaft, die diese Politiker wählt und die Superreichen, Spitzensportler, Entertainer bewundert, statt sie zu ächten. Unsere Gesellschaft ist offenbar derart von der neoliberalen Ideologie durchdrungen, dass für sie der Staat ein „rotes Tuch“ ist und Steuervermeidung oder -hinterziehung eher akzeptiert werden als Steuererhebung und Steuerpflicht. Vor diesem Hintergrund werden Superreiche, selbst wenn sie sich ihrer Steuerpflicht entziehen, mit Ehrfurcht oder Neid bedacht, nicht aber mit Wut und Verachtung.
Schlagwörter: Appleby, EU, Paradise Papers, Steuergesetzgebung, Steueroasen, Steuervermeidung, Ulrich Busch