von Dieter Naumann
Von Wasser umgeben, hatte die Insel Rügen lange Zeit Probleme mit der Wasserversorgung. Rügens „Hauptstadt“ Bergen etwa verfügte bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts über keine Wasserleitungen. Wahrscheinlich scheuten die Stadtväter die bei dem ungünstigen Terrain zu erwartenden hohen Kosten. Bergen liegt nämlich auf einem wasserundurchlässigen Geschiebemergelmassiv. Man „versorgte“ sich durch vier Brunnen an den Stadträndern, von denen einer wegen des geringen Zuflusses häufig leer und ein weiterer von der Wasserqualität offenbar mangelhaft war, denn man tränkte von ihm lediglich das Vieh und holte sich „nur Wasser zum Bierbrau“(!). Möglicherweise war das der Grund dafür, dass das von den ersten Brauern nach 1613 gebraute Bier miserabel gewesen sein soll …
Ältester Brunnen war vermutlich der „Balkensood“ in der Wasserstraße, dessen Wasser im 16. Jahrhundert vorrangig „thor Spise“ Verwendung fand – allerdings erst, nachdem eine Pumpe aufgestellt und der Brunnen mit Balken ausgelegt worden war. „Kleder und Vöte“ dort zu waschen war verboten.
Um die Stadt mit Wasser zu versorgen, musste man zwangsläufig auch auswärtige Brunnen nutzen, wozu extra bezahlte Wasserträger („de Waterspurluide“) und Wasserfahrer angestellt waren (1788 werden Timm und Baar genannt). Auch Pferdefuhrwerke wurden eingesetzt. Vor allem während der Trockenperioden war es streng verboten, Wasser zum Viehtränken, Wäschewaschen und zum Brunnenbau zu entnehmen. Geld- und sogar mehrjährige Gefängnisstrafen drohten bei Verstößen. Erhebliche Probleme hatte auch die Feuerwehr, sich bei Bränden mit dem nötigen Wasser zu versorgen.
Johann Jacob Grümbke (1771–1849) berichtet, dass im Siebenjährigen Krieg einige schwedische Ingenieuroffiziere einen Brunnen auf dem Bergener Markt anlegen wollten, „allein der Erdbohrer, dessen sie sich bedient haben, um die Beschaffenheit der Tiefe zu erforschen, ist abgebrochen.“ Belegt sind auch zahlreiche Privat- und Vereinsinitiativen, die allerdings überwiegend erfolglos blieben, ehe 1874 einige Gewerbetreibende private Brunnen bauen durften. Unter ihnen waren Senator August Gootz, der für seine Gerberei einen Brunnen beantragte, und der Maschinenfabrikant Möller, der für die Bergener Dampfbrauerei eine Wasserleitung bauen ließ.
Noch am 19. März 1881 schreibt das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt: „Wasser ist in Bergen ein knapper Artikel und muß von seinen Einwohnern mit Geld erkauft werden. Alle Unternehmungen, die Wasser benötigen, werden hier nie gedeihen.“
Wirkliche Abhilfe sollten erst das 1898 von der Kölner Helios-Elektrizitäts AG an der Putbuser Chaussee errichtete kombinierte Elektrizitäts- und Wasserwerk und der in den Folgejahren vorgenommene Anschluss der einzelnen Straßenzüge an die Wasserversorgung schaffen. Zunächst waren 155 Wohnhäuser und 14 öffentliche Gebäude für einen Wasseranschluss vorgesehen. Den Anstoß gab im Januar 1888 die Gründung einer „Kommission für die Beschaffung einer Wasserleitung“, der Dr. Biel, Senator Freese, Altermann Hellwig, Rentier A. Lange, Apotheker Ladisch, Maschinenbauer Möller und Kreisbaumeister Ohnesorge angehörten. Als im Januar 1899 die Wasserleitung getestet werden sollte, kam es zu einem Zwischenfall, über den das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt berichtete: „Da während der Versuche mit der Wasserleitung je ein Hydrant in der Billroth- und Schulstraße nicht geschlossen waren, wurden die Straßen zum Teil überflutet, was bei dem Frostwetter ein recht gefährliches Glatteis hervorrief.“
Ähnliche Probleme mit dem wertvollen Nass gab es auch in anderen Orten Rügens: In Sassnitz diente bis etwa 1881 der Steinbach der Trinkwasserversorgung, ehe im Marktbereich ein Brunnen gebaut wurde, den später eine Pumpe versorgte. In der Nähe des Brunnens befanden sich einst die öffentlichen Backöfen und die Sturmglocke. Hier traf man sich beim Wäschewaschen im Fluss, beim Wasserholen aus dem Brunnen oder beim Backen. Mit dem Bau der ersten Wasserleitung um 1908 verlor der Brunnen an Bedeutung. Der Steinbach wurde ab 1860 schrittweise verrohrt. Wasserleitung und Kanalisation von Sassnitz wurden erst 1908 mit einem Kostenaufwand von 600.000 Mark installiert und am 5. Juli übergeben. Zur feierlichen Übergabe war sogar der Herr Landrat Freiherr von Maltzahn erschienen. Die „eingehende“ Besichtigung wurde mit einem Festessen in Böttchers Hotel abgeschlossen. Einen Teil der an der Strandpromenade entlang führenden und bis zum Lenzer Bach reichenden Kanalisationsleitung vernichtete die Sturmflut von 1913. Im von der Badedirektion herausgegebenen Prospekt „Ostsee-Freibad Sassnitz…“ von 1927 heißt es, dass bei der „letzten Sturmflut […] auch die neben der Promenade entlang führende Kanalisationsleitung vernichtet (wurde). Von Regierungsseite wurde der ganze Schaden auf 70.000 Mk. Berechnet.“ Bei einer Strandwanderung kann man immer noch Teile der alten Leitung feststellen.
Noch heute ist auf dem Tannenberg in Putbus der 1926 errichtete, achteckige und 17 Meter hohe Wasserturm zu sehen, der einst 85.000 Liter fasste und noch bis 1971 genutzt wurde. Wasserturm und das ebenfalls noch existierende Pumpenhaus im Park von Putbus waren Bestandteile der 1927 eröffneten, von den Francke-Werken Bremen errichteten Wasserleitung. Bis dahin erfolgte die Wasserversorgung durch hauseigene oder einige öffentliche Brunnen, was unangenehme Gerüche und eine zunehmende Typhusgefahr verursacht haben soll und zur Abnahme der Gästezahlen geführt hatte. Dennoch soll der Beschluss über den Bau einer zentralen Wasserversorgung und Kanalisation erst nach hitziger Debatte mit neun gegen sechs Stimmen gefasst worden sein.
Für die Wasserversorgung in Wiek verfügten die Hausbesitzer über eigene Brunnen, die aber nicht nur im Sommer häufig versiegten, sondern deren Wasser auch von minderer Qualität war, weil sie nur wenige Meter tief waren, so dass oft Oberflächenwasser hinzukam. Einige der Brunnen befanden sich sogar in bedenklicher Nähe zu den Dunghaufen. Mit dem Bau des Wieker Kinderheimes (um 1920) sollten sich erste Verbesserungen ergeben, weil erstmals Brunnen mit einer Tiefe von mehr als 50 Metern gebohrt und Wasserleitungen gelegt wurden.
Erst 1964 erhielt Groß Zicker einen Wasseranschluss. In Vorbereitung dazu wurden jeweils 10 Meter lange Stücke verlost und von den Einwohnern in Eigenleistung Gräben geschachtet, in die Handwerker die Rohre legten. Weniger schnell als das Ausschachten soll das Verfüllen der Gräben erfolgt sein.
Ende des 19. Jahrhunderts, spätestens in den 1910er Jahren setzte sich fließendes Wasser in den großen Hotels, Pensionen und Gaststätten durch: Im Reiseführer von Grieben 1910–1911 verwiesen die Besitzer ausdrücklich auf „Badez.“, „Spülklosett im Hause“, „Kanalisation“ und „Wasserleitung“ in ihren Annoncen.
Standard in den meisten Häusern war freilich nach wie vor, dass es pro Etage nur ein Wasserklosett und ein Waschbecken gab. Carl Wallmann erbaute 1909 sein später von Jakob Parchow übernommenes und „Haus Eintracht“ genanntes Logierhaus in Sellin. Es hatte im Erdgeschoss neben Flur und Küche sechs Zimmer, in der ersten Etage weitere acht und im Dachgeschoss sechs Zimmer sowie drei Kammern. Nur im Erdgeschoss und in der ersten Etage befand sich je ein Abort. Ähnlich im Logierhaus „Seeschloss“ von Wilhelm Richert, das 1908 auf dem Selliner Hochufer entstand. Das Haus hatte 34 Zimmer, Stall und Abortgrube. Erst 1912 erfolgte der Anschluss an das Selliner Hauswassernetz. Jetzt wurden auf jeder Etage zwei Klosetts mit Spülkasten und je ein P.P.- Becken mit Spülung installiert.
In den kleineren Häusern waren bis in die frühen DDR-Jahre Waschkommode oder Metallgestell mit Schüssel und Wasserkanne selbstverständliches Inventar auf den Zimmern. Als mein Vater in den 50er Jahren in einer kleinen Binzer Pension um etwas warmes Wasser für seine Nassrasur bat, sicherte ihm dies die Besitzerin nur „gegen ein kleines Entgelt“ zu.
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