von Wolfgang Hochwald
In unserer schnelllebigen Zeit ist es schon etwas Besonderes, wenn eine Band 15 Jahre besteht. Und wenn sie auf einer Musik aufbaut, die ihrerseits bereits mehr als 80 Jahre alt ist. 1934 gründeten Django Reinhardt (Gitarre) und Stéphane Grappelli (Geige) das „Quintette du Hot Club de France“ und schufen damit, beeinflusst durch den amerikanischen Jazz und traditionelle Sinti-Musik, einen völlig neuen Jazzstil.
Der „Hot Club d’Allemagne“ ist nicht nur vom Namen her eine Hommage an diese Musik. Auch die Besetzung des „Hot Club“ (Gipsy Swing war die erste Jazz-Musik ohne Bläser und Schlagzeug) orientiert sich an den Vorbildern. So besteht die Band aus den beiden Gründungsmitgliedern Karl-Heinz (Kalle) Vogel an der Gitarre und Thomas Prokein an der fünfsaitigen Geige sowie Gunter Pasler am Kontrabass und Franziskus Sparsbrod an der Gitarre. Sein 15-jähriges Jubiläum feierte der „ Hot Club“ Mitte September mit zwei Konzerten im stimmungsvollen Leipziger „Krystallpalast Varieté“ und lud dazu als Gast den 21-jährigen französischen Ausnahmegitarristen Antoine Boyer ein.
Vor den Konzerten sprach ich mit Thomas Prokein.
Herr Prokein, Sie haben einmal gesagt: „Wenn wir nur als Museumsband spielen würden, wäre es langweilig.“ Wie schaffen Sie es, keine Reinhardt/Grappelli-Coverband zu sein?
Thomas Prokein: Wir orientieren uns am historischen Vorbild, das ist klar. Die Atmosphäre, die Art der Phrasierungen sind natürlich enorm wichtig. Aber ich habe zum Beispiel nur selten versucht, die Grappelli Soli wirklich exakt eins zu eins nachzuspielen. Besonders Kalle studiert die Django-Originalaufnahmen extrem intensiv. Django hat für seine Zeit absolut modern und innovativ gespielt. Seine alten Stücke scheinen ja nur einfach strukturiert. Faktisch gibt es oft ungeahnte Wendungen, unerwartete Phrasen. Unsere musikalischen Überraschungen müssen trotzdem nicht zwangsläufig dieselben sein wie im Original. Das macht das Musizieren sehr anspruchsvoll. Und unsere eigenen Stücke sind natürlich nochmal etwas Besonderes. Im Konzert spielen wir zu etwa einem Drittel Stücke von Reinhardt/Grappelli, ein Drittel sind eigene Stücke und ein Drittel Klassiker von anderen Komponisten.
Bei Ihren Aufritten sind die Improvisationen besonders wichtig, nicht wahr?
Prokein: Wir wollen die alten Stücke nicht einfach nach- oder zweimal gleich spielen. Durch die vielen Improvisationsteile lösen wir uns von den manchmal eingängigen Melodien. Das haben Grappelli und Reinhardt nicht anders gemacht. Es kann beim Improvisieren und im Zusammenspiel immer etwas Neues, Einmaliges entstehen und das ist für uns und wahrscheinlich auch für das Publikum das Spannende.
Welche Bedeutung hat Grappelli denn für Sie?
Prokein: Es sind vor allem seine klangliche Eleganz, sein perfektes Swing Timing und die Leichtigkeit seines Spiels, die mich begeistern. Und das konnte er auch mit 87 Jahren noch auf die Bühne bringen. Mich hat aber natürlich auch die nächste Generation besonders beeinflusst, Geiger wie Jean-Luc Ponty oder Didier Lockwood.
Gibt es einen Song, den Sie gerne spielen würden, aber als Band nicht spielen können, d.h. der Ihnen einfach nicht gelingt?
Prokein: Kalle hat ein Stück geschrieben mit dem Titel „Djantango“, das ist ausgesprochen komplex. An diesem arbeiten wir schon länger, ebenso an einer Django Komposition in eigenem Arrangement, „Rhythm Future“. Aber unspielbar ist das für uns trotzdem nicht, wir machen das schon passend. Es braucht nur ein bisschen Zeit. Beide Titel sollen auf unsere nächste CD, die wir im kommenden Jahr aufnehmen wollen.
Sie spielen ja auch Konzerte bei Firmenveranstaltungen. Das stelle ich mir schwieriger vor als ein normales Konzert.
Prokein: Klar, dass unsere Musik da erst mal einen funktionalen Charakter hat. Und wir wissen ja auch nicht, womit sich die Zuhörer den ganzen Tag beschäftigt haben und ob sie nicht noch von völlig anderen Themen eingenommen sind. Aber oft „kriegen“ wir die Zuhörer trotzdem. Und wenn uns mal nur drei oder vier Leute folgen, dann ist das auch ok. Wir haben normalerweise auch so genügend musikalischen Spaß miteinander.
Ändert sich die Setlist von Auftritt zu Auftritt oder ist sie eher immer gleich?
Prokein: Es ist schon ein großes Repertoire, aus dem wir schöpfen. Wir haben mal zwei Wochen lang Kurkonzerte auf Borkum gespielt, drei Sets pro Tag á einer Stunde. Und dabei haben wir uns kein einziges Mal wiederholt.
Was war der größte Flop bei einem Aufritt oder der lustigste Fehler in einem Konzert?
Prokein: In finanzieller Hinsicht gab es sicher gelegentlich Flops, vor allem bei langen Anreisen. Aber das ist Gott sei Dank nicht die Regel. Unsere Musik hat immer ihre Wirkung beim Publikum, egal wie dieses zusammengesetzt ist. Lustig wird es, wenn es Missverständnisse auf der Bühne gibt, zum Beispiel über die Reihenfolge der Songs und zwei Leute ein unterschiedliches Stück beginnen.
Gab es einen besonders bewegenden Moment in einem Konzert?
Prokein: Das sehe ich noch genau vor mir, obwohl es schon länger her ist. Wir haben damals hier in Leipzig in einem kleinen Laden gespielt und ich konnte durch das Fenster sehen, dass da lange Zeit ein alter Herr mit einer Einkaufstüte stand und durch die offene Tür versonnen zuhörte. Schließlich ist er reingekommen, hat sich ein Bier geholt und uns nach dem Konzert auch eins ausgegeben. Das sei die Musik seiner Jugend gewesen, hat er uns gesagt und dann mit seiner Frau jahrelang unsere Konzerte besucht. Aber nach dem Tod seiner Frau ist er nicht mehr gekommen.
Wissen Sie, was aus ihm geworden ist?
Prokein: Ich hab ihn zuletzt mal im Eiscafé im Hauptbahnhof gesehen mit einer anderen Frau. Er braucht uns anscheinend jetzt nicht mehr.
Was erwarten Sie von den beiden Jubiläumskonzerten?
Prokein: Vor allem erst mal zwei schöne Abende mit vielen netten Leuten. Und dann haben wir ja mit Antoine Boyer, einem 21-jährigen Gitarrengenie, einen besonderen Gast. Der kann erst am Sonntagabend anreisen, so dass wir nur den Montag zum Proben haben. Das wird spannend.
Der alte Herr hätte jedenfalls viel Freude an den Jubiläumskonzerten gehabt. Auf der Basis des fulminanten Rhythmus von Gunter Pasler und Franziskus Sparsbrod brillierten Kalle Vogel und Thomas Prokein mit ihren Improvisationen. Vogel durch Soli, mit denen er Geschwindigkeitsrekorde aufstellen könnte, ohne dabei aber an Genauigkeit zu verlieren und Prokein durch seine gefühlvollen Improvisationen, die besonders in den Balladen den Zuhörer berührten. Vor allem die Eigenkompositionen, die allesamt aus der Feder von Kalle Vogel stammen, begeisterten das Publikum im Krystallpalast, zumal diese Stücke zum Teil die Brücke zu anderen Musikrichtungen wie Flamenco oder Latin Jazz schlagen. Der „Hot Club“ stellte unter Beweis, was die Musiker in dem sehr sympathischen Film auf ihrer Homepage betonen, dass bei den Auftritten neben der Virtuosität vor allem die Melodie und Schönheit der Musik im Vordergrund stehen solle. Und der Konzertbesucher spürt zu jeder Zeit, dass die Musik des „Hot Club“ sichtlich von Herzen kommt.
Nach der Pause wurde der „Hot Club“ dann durch Antoine Boyer verstärkt. Boyer hat bereits weltweit auf allen großen Gypsy-Jazz-Festivals gespielt und ist, auch als klassischer Gitarrist, Preisträger mehrerer internationaler Wettbewerbe. Charmant erzählte er, dass er wegen der Liebe das letzte Jahr in Leipzig verbracht habe, inzwischen aber wieder in Paris lebe. Der „Hot Club“ ließ dem Gitarren-Genie den Raum, den es verdient hat und schuf damit ein unvergessliches musikalisches Erlebnis. Boyer zeigte per Lächeln und Kopfnicken an, wer als nächstes soliert und in der Eigenkomposition „Arabesque“, wie er klassisches Gitarrenspiel (mit den Fingerspitzen) und den traditionellen Gipsy Anschlag, der mit dem Plektrum erfolgt, in Einklang bringt. Zur Zugabe kam dann mit Klaus Jacob ein langjähriges ehemaliges Mitglied des „Hot Club“ auf die Bühne. Mit nun vier Gitarren plus Bass und Geige brillierte die Band einmal mehr im Zusammenspiel, gab jedem Mitglied Raum für ausgeprägte Soli und bewies endgültig, welch wunderbare Musik das Zusammenspiel von Virtuosität und Herzensangelegenheit ergibt.
Ein besonderer Wunsch für die Zukunft – so Thomas Prokein in unserem Gespräch – sei es, einmal beim großen Django Reinhardt Festival in Samois-sur-Seine aufzutreten. Es ist dem „Hot Club“ und den Besuchern dieses Festivals zu wünschen, dass dieser Traum recht bald in Erfüllung geht.
Schlagwörter: Antoine Boyer, Hot Club d’Allemagne, Jazz, Thomas Prokein, Wolfgang Hochwald