von Dieter Naumann
Diskussionen über das Für und Wider tatsächlicher oder vermeintlicher tierischer Plagegeister (Wölfe, Bären, Wildschweine) sind keine Erfindung der Gegenwart, wie die folgenden Beispiele zeigen.
Für die rügenschen Fischer war der Seehund (plattdeutsch Saalhund, kurz „de Sahl“ oder „de Sähl“, bis ins 20. Jahrhundert auch abfällig „de Hund“ genannt) eine solche Plage, denn die Tiere zerstörten und plünderten häufig die Fangeinrichtungen. Das „Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt“ vom 5. November 1899 berichtete, dieses „Raubgesindel“ reiße die „Häringe“ von den Netzen. An der dänischen Küste, wo es die gleichen Probleme gäbe, hätten die Behörden deshalb „Büchsen zu einem ganz billigen Preise an die Fischereibevölkerung vertheilt“, außerdem gäbe es seit 1890 Prämien für erlegte Seehunde. Im Zeitraum zwischen 1890 und Ende 1898 wurden somit 11.424 Seehunde erlegt und dafür 34.272 Kronen Schießprämie ausgezahlt. „Dies bei unseren Behörden anzuregen, soll auch der Zweck vorstehender Zeilen sein“, schließt das Blatt.
Der Hass der Fischer auf die Reusenräuber ging so weit, dass man auf Mönchgut den Kleinkindern Messer in die Wiegen legte, damit sie sich künftig erfolgreich gegen die Seehunde wehren konnten. Andere Quellen sprechen von einem Holzkeil aus einem Fischerboot, der in die Wiege gelegt wurde, damit der Seehund das Kind nicht beim ersten Fischfang fangen konnte.
Die Tiere wurden unbarmherzig verfolgt, vor der Jagd sang man gemeinsam das erstmals 1823 aufgeschriebene Fischerlied „Hal mi den Saalhund“, wobei angeblich auch getanzt worden sein soll.
Inzwischen erholen sich die Bestände, die Tiere kehren zurück, Seehundbeobachtungstouren gehören zu beliebten touristischen Aktivitäten.
Einen ähnlichen Plagegeist hatten sich die Bauern ausgeguckt – den Wolf. Zwar hatte Thomas Kantzow um 1540 berichtet, dass es keine Wölfe mehr auf Rügen gegeben habe, das sollte sich jedoch bald wieder ändern. Vor allem als Folge der zahlreichen Kriege zwischen Dänemark und seinen Verbündeten und den Schweden kam es auf Rügen zu einer regelrechten Wolfsplage. Die Pächterin eines Stralsunder Besitzes auf Mönchgut berichtete 1685, der Wolf habe ihnen drei Pferde und alle Fohlen, einem anderen Bauern auch drei Pferde tot gebissen und weitere schwer gerissen. Auch in Nipmerow erzählte man, dass Pferde und Großvieh gerissen wurden. Oberjägermeister Borck sah sich deshalb veranlasst, ab 1695 offizielle Wolfs-Treibjagden einzuführen, zu denen anfangs jede Hausstelle einen Treiber, später jede Hufe (ein Flächenmaß) einen bestimmten Geldbetrag zu leisten hatte.
Die schwedischen Landvermesser, die 1694/95 für die Steuerverwaltung des Königreiches Schweden (seit Anfang des 17. Jahrhunderts eine der leistungsfähigsten in ganz Europa) den schwedischen Besitz auch auf Rügen kartografisch erfassten („Schwedische Landesmatrikel“), stellten im Zusammenhang mit der Waldbeweidung fest, dass es in Hagen nicht möglich sei, Schafe, Ziegen und anderes Kleinvieh zu halten, weil es sofort von den Stubnitz-Wölfen geholt würde. Alfred Haas wird in diesem Zusammenhang in der Rügenliteratur mit der Feststellung zitiert, dass es „deshalb… für den einzelnen, selbst wenn er bewaffnet war, nicht ungefährlich (war), in die Stubnitz hinauszugehen“.
Ende 1695 wurde die letzte große Wolfsjagd auf Rügen durchgeführt, aber bis ins 18. Jahrhundert zahlte man Prämien für erlegte Tiere. Wölfe, die sich danach noch bei strengen Wintern über das Eis nach Rügen wagten, wurden gnadenlos abgeschossen.
Harmlos dagegen war der „Wolf“, den Alfred Haas in seiner 1920 in Stettin bei Arthur Schuster erschienen „Rügenschen Volkskunde“ als Brauch in der Landwirtschaft schilderte: Wer das letzte Getreide abgemäht oder die letzte Garbe (den so genannten Roggenwolf) gebunden hatte, wurde „der Wolf“ genannt. Er biss der Hausfrau oder der Wirtschafterin symbolisch in den Arm und erhielt dafür zum Mittag ein größeres Stück Fleisch.
Wilhelm Steffen berichtet in seiner „Kulturgeschichte von Rügen bis 1815“, 1963 als Heft 5 in der Reihe „Forschungen zur Pommerschen Geschichte“ bei Böhlau erschienen, über eine besondere rügensche Wolfsjagd, die letztlich um 1700 in einem 104 Strophen umfassenden Scherzgedicht verarbeitet wurde:
Ausgangspunkt war die Nachricht, dass ein Wolf im Land sei, was den Landvogt veranlasste, von der Kanzel verkünden zu lassen, alle sollten mit Spaten und Forken erscheinen, um das Tier zu erlegen. Es muss eine bizarre Truppe gewesen sein, die sich da folgsam auf die Jagd machte. Der gesamte Adel soll erschienen sein. Adam von Jasmund trat mit Panzerhandschuhen auf, eine anderer mit einem „Pork-Degen“, einer mit Pistole, mehrere mit Windhunden. Es fand sich aber auch ein Adliger mit einer Kiepe voll Würsten und einem Schweinemagen, ein weiterer hatte „Kluten“ (Klöße) in seiner Kiepe, einer kam mit einem Pfund Speck und Weißbrot. Ein Angehöriger derer von Gagern wollte à la mode französisch gekleidet mit gestutztem Bart auf die Jagd gehen, einer erschien sogar mit einem Evangelienbuch, wohl um das Untier zu bannen. Auch Bürger und Bauern machten mit und durchstreiften das ganze Land. Endlich, bei Kowall („Schmiededorf“) im Süden Rügens, konnte der Wolf gestellt und erlegt werden. „Dohn kregen se lange Näsen“ – der vermeintliche Wolf war nämlich der Hund des Pastors.
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