von Stephan Wohanka
Wolfgang Brauers Beitrag „Rechtsextremismus psychoanalytisch gesehen“ im Blättchen 18/2017 hat im Blättchen-Forum eine heftige, weit ausgreifende Kontroverse ausgelöst. Es lohnt sich – denke ich – auf selbige zurückzukommen…
… und festzustellen, dass sie ein Paradoxon abbildet: Einerseits ist der kulturell dominierende Habitus links, der Zeitgeist scheint (immer noch) links zu sein, andererseits sind die Zeitenläufe nicht mehr links: Links hat (partei)politisch-praktisch deutlich an Boden verloren; und der Satz „sollte das Linksintellektuelle hinsichtlich echten Wirkungsquantum je wiederzubeleben sein“ weist auf dieses Ausgelaugtsein hin. Kronzeuge wider den Zeitgeist ist Jörg Meuthen, Kovorsitzender der AfD: „Wir wollen weg von diesem links-rot-grün verseuchten 68ziger Deutschland.“ Und realiter hat sich auch die Debatte mehr und mehr nach rechts verschoben; absoluter Kulminationspunkt aus meiner Sicht bisher sind die morbiden Phobien eines Botho Strauß: „Ich möchte lieber in einem aussterbenden Volk leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demografischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt wird, einem vitalen.“ Wenn links „nichts“ (mehr) zu sagen hat – was hat rechts darüber hinaus zu sagen?
Noch ein Wort zu links heute. Dies zerfällt in ein soziales und ein kulturelles Links. Das soziale Links steht für Umverteilung von oben nach unten, für organisierte Interessenvertretung und das Vertrauen in einen Staat, der Verteilungs- und Chancengerechtigkeit durchzusetzen vermag. Das kulturelle steht für Minderheitenrechte, informelle Bewegungen und die Skepsis gegenüber etatistischen Lösungen. Das Staats- und Parteiwesen ist ihm fremd, es sieht vor allem Blick- und Sprachveränderungen; es geht ihm um Diskurs. Dass dieses Links auch für grandiose Fehlleistungen wie den Druck, Zensur auszuüben, Sprachpanscherei wie „Guten Tag, Herr Professorin“ an der Universität Leipzig oder bürgerkriegsähnliche Randale zu organisieren steht, halte ich für erwiesen.
Was hat also rechts zu sagen? Nach meinem Empfinden reibt sich die konservativ-rechte Debatte vor allem am Linkskulturellen, weniger am Linkssozialen. Oft in einer hermetisch-dunklen Kunstsprache, die die Autoren dem Jargon der schnelllebigen, aus ihrer Sicht linkslastigen Mediengesellschaft entgegenstellen. Es geht deftig zur Sache: „Der Kampf um die Vorherrschaft im eigenen Raum ist ein Kampf, keine Diskussion. Wenn eine Seite die Kraft für die Auseinandersetzung nicht aufbringt, verschwindet sie einfach. Oder mit anderen Worten: Wenn wir Deutsche zu zivilisiert für die Notwendigkeiten des Vorbürgerkriegs bleiben, ist die Auseinandersetzung bereits entschieden: ‚Nur Barbaren können sich verteidigen‘, sagt Nietzsche“ und sagt Götz Kubitschek, Vordenker dieses Spektrums rechts-konservativer Denkungsart und zugleich Gründer des Instituts für Staatspolitik (IfS). Zentrales Anliegen des IfS ist „wissenschaftliche Arbeit“, um „eine historische Minorität wenn nicht zu repräsentieren, dann zu stiften“. Denn Geschichte werde letztlich von Eliten gemacht, da nur diese über „Einsicht, wirkliche Einsicht“ verfügten und nur diese „die tatsächlichen Zusammenhänge begreifen“. Das gilt auch für Gegeneliten, die einen Elitenwechsel anstreben: „Es müssen sich, um eine Formel Enzensbergers zu benutzen, ‚historische Minoritäten‘ bilden, die notfalls gegen erdrückende Mehrheiten ihre Position behaupten und [,] wenn der Fall eintritt, handlungsbereit sind“.
Meine Sorge: Obiges in politische Praxis umgesetzt, eröffnete Möglichkeiten politischer Einflussnahme, die erschaudern lassen. Wenn dann noch Bemühungen hinzukommen, die „örtlichen oder auch deutschlandweiten Widerstandsbemühungen miteinander [zu] vernetzen und […] die Struktur einer wirkmächtigen Gegenbewegung“ gegen die „Auflösung unseres Staates“ erinnert das an finsterste Zeiten hierzulande – noch nicht die „Machtübernahme“, aber doch die Straßen- und Saalschlachten der Weimarer Republik. Da passt ins Bild, dass an anderer Stelle eine „not wendende Konter-Revolution“ gefordert wird.
Konter-„Revolution“ also. In ihren Betrachtungen zur Französischen und Amerikanischen Revolution erklärt Hannah Arendt, warum die eine an Robespierre, der Guillotine und erneuter Tyrannei in Gestalt Napoleons scheiterte, während die andere eine der besten Verfassungen weltweit hervorbrachte, mit erheblichen Einfluss auf die europäischen Völker; eine Verfassung, die nota bene auch Trump in seinen Bemühungen, die US-amerikanische Demokratie zu schleifen, behindert. Arendt führt das Scheitern der Französischen Revolution darauf zurück, dass ihre Ideen von den Massen erdrückt wurden, dass so das Volk und nicht die Revolution als Umwälzung der Gesellschaft an erster Stelle stand; der Volkswille wurde zur entscheidenden Macht. Das Gelingen der amerikanischen Revolution läge dagegen darin begründet, dass die Amerikaner eine Idee von Freiheit hatten, da sie sich schon, losgelöst vom Mutterland England, praktisch selbst verwalteten. Es bedurfte noch des Gesetzes in Gestalt der Verfassung, um die Gründung eines neuen politischen Gemeinwesens erfolgreich zu vollziehen.
Mit den beiden Termini „Volk“ und „Gesetz“ ist meines Erachtens die Grundsuppe der Kontroverse zwischen links und rechts benannt: Linkes Denken ist – siehe oben – entweder als sozial determiniertes etatistisch, also gesetzestreu oder als kulturelles antietatistisch, also Gesetze negierend; beide Denkungsarten drehen sich wie Theismus und Atheismus um die „Sphäre des Gesetzes“. Rechtes Denken stellt das „Volk“ in den Fokus, es ist zentriert um – siehe Zitate – Kategorien, die wie „aussterbendes Volk“, „Vorherrschaft im eigenen Raum“, „Minorität“, „Eliten(wechsel)“.
Nun ist es keinesfalls so, dass im rechten Denken das „Gesetz“ nicht vorkäme. Erinnere ich mich an die seinerzeit heißlaufende und internetgetriebene Meinungsmache vom Merkelschen „Gesetzesbruch“, so deucht mich, Carl Schmitts Notstandsrhetorik geistere immer noch durch die Räume. Schmitt postulierte im Übrigen schon zu Zeiten der Weimarer Republik die Existenz eines Rechts, das über der Weimarer Verfassung, die von ihm zum minderwertigen „Verfassungsgesetz“ degradiert wurde, stünde. Die weitere Entwicklung ist bekannt: „Der Führer schützt das Recht“; bei einem Konflikt zwischen „Volk“ und „Gesetz“ bleibt letzteres auf der Strecke. Aktuelles beredtes Beispiel ist das national-konservativ regierte Polen; man weiß dort genau, warum man neben der Kultur das Rechtssystem „reformiert“.
Ich denke, ich gehe kaum fehl in der Annahme, dass die rechte Denkungsart letztlich bemüht ist, eine Renationalisierung voranzutreiben – sowohl des Denkens als auch der Politik. Sie stellt den Begriff eines nationalen und so eines ausgrenzenden Wir in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Die Sprache wird enger und damit auch der Spielraum des Handelns, denn um etwas zu tun, muss man es denken können; „Politics is downstream from culture“, so Andrew Breitbart, Gründer der rechten US-Website gleichen Namens: Kultur geht der Politik voran. Was sich hier formen soll, ist ein neuer und doch so alter Begriff vom Staat, der stark und auf Sicherheit gebaut ist, der eine Schicksalsgemeinschaft anstelle einer offenen, emanzipatorischen Struktur bildet. Das alles darf man denken und sagen, natürlich; nur hat rechts in extrem-konsequenter Ausformung und darauf gründender politischer Praxis schon einmal hierzulande zu einem Inferno geführt, das sich auch kein Dante ausmalen konnte. Das ist mir Richtschnur des Denkens und macht mich vorsichtig gegenüber rechter Denkungsart. Die Folgen der „extrem-konsequenten Ausformung“ linker Denkungsart auf deutschem Boden für heutiges linkes Denken wären ein weiteres Thema…
Schlagwörter: Gesetz, Linksradikalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Stephan Wohanka, Volk