20. Jahrgang | Nummer 19 | 11. September 2017

Antworten

Fabian Reinbold, Autor bei Spiegel Online – „Angst vor Manipulationen der Bundestagswahl: Was plant Moskau?“, haben Sie einen Ihrer Beiträge überschrieben. Die wichtigsten verbalen Untermauerungen des Verdachts, Moskau könne die bevorstehenden Wahlen beeinflussen, die Sie darin verwenden, lauten: … es wird spekuliert … aller Voraussicht nach … es sei fraglich … nicht sehr wahrscheinlich … Zweifel säen könnten … bis Gewissheit herrscht … selbst wenn sich dieses Szenario nicht bewahrheiten sollte … die Vermutung war immer … es kann nicht ausgeschlossen werden …
Was an Aussagen bleibt, die nicht solcherart eingerahmt sind, liest sich zuallermeist im Konjunktiv: wären, könnten, würden et cetera. Mit dieser Leistung sind Sie ein exzellenter Anwärter für einen Journalistenpreis.

Wladimir Putin, Stalin-Versteher? – „Eine übermäßige Dämonisierung Stalins ist ein Mittel, um die Sowjetunion und Russland anzugreifen“, haben Sie in die Kamera des US-amerikanischen Regisseurs Oliver Stone gesagt. Ein Körnchen Wahrheit soll diesem Satz nicht abgesprochen werden. Einschlägigen Angriffen könnten Sie indes entgegentreten, wenn Sie sich selbst die Charakterisierung Stalins als Hauptverantwortlicher für Massenmorde zu Eigen machten, statt sie abzulehnen. Dieser Mangel an Distanz sagt nämlich möglicherweise mehr über Ihr als Demokratie verstandenes Obwalten aus als Ihnen lieb sein sollte.

ADAC, Chancenreicher – Wenn Sie als Sachwalter der deutschen Autofahrer sich noch fix entschließen könnten, als Partei aufzutreten – Ihre Aussichten dürften gewaltig sein. Und Sie sollten sich beeilen, denn spätestens nach vier weiteren Jahren könnte Ihnen der ADFC zuvorkommen und die Radfahrer zur führenden politischen Kraft werden lassen, was wiederum einen Bürgerkrieg heraufbeschwören könnte. Sollten Sie Sorgen haben, man würde den ADAC nicht für die Wahlliste zulassen, dann schauen Sie nur, wer heutzutage alles so kandidieren darf. Die Partei der Vernunft beispielsweise hat 550 Mitglieder, die MLPD 1800, die Bibeltreuen Christen haben 3500 … Selbst die SPD als knapp mitgliederstärkste Partei hierzulande bringt gerade mal 436.000 Parteibuchbesitzer auf die Waage – was ist das gegen Ihre 19 Millionen Mitglieder!

Katrin Göring-Eckardt, Grüne Groß-Wahlkämpferin – Ihr Slogan „Kinderarmut kann man kleinreden. Oder groß bekämpfen.“ mag gut gemeint sein, aber „groß bekämpfen“ beleidigt unser Sprachgefühl. Man könnte beispielsweise etwas „mit Macht bekämpfen“, und da Sie als Anhängerin einer schwarz-grünen Koalition gelten – sogar die Vizekanzlerschaft wurde Ihnen schon zugetraut -, stünde Ihnen im Erfolgsfall zumindest die Regierungsmacht zur Verfügung. Ob Sie sich in einem solchen Bündnis noch als Großkämpferin beweisen könnten, bleibt allerdings zu bezweifeln.

Eugen Gomringer, Schweizer Lyriker – Sie haben die Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin-Hellersdorf mit dem Text eines Gedichts geziert. „alleen / alleen und blumen / blumen / blumen und frauen / alleen / alleen und frauen / alleen und blumen und frauen und / ein bewunderer“ besagt auf Deutsch, was in spanischer Sprache dort weithin zu lesen ist, besser: zu lesen gewesen sein wird. Gegen diese Ihre Hommage an Alleen, Blumen und Frauen haben sich zwar weder Alleen noch Blumen gewehrt, doch protestierende Studierendenvertreter verlangen eine Neugestaltung der Fassade, weil Ihr Gedicht eine „klassische patriarchale Kunsttradition“ reproduziere, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen seien. Zwar beschreibe „Gomringer in seinem Gedicht keineswegs Übergriffe oder sexualisierte Kommentare, und doch erinnert es unangenehm daran, dass wir uns als Frauen* nicht in die Öffentlichkeit begeben können, ohne für unser körperliches ,Frau*-Sein‘ bewundert zu werden. Eine Bewunderung, die häufig unangenehm ist, die zu Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führt“. So jung wie Ihre Kritiker (vermutlich vor allem Kritikerinnen) sein mögen, so haben sie es doch in Sachen Fundamentalismus schon weit gebracht. Hoffentlich finden sie im Leben mal jemanden, der sie bewundert, natürlich nicht-patriarchalisch.
PS: Das Blättchen sieht einer Klage wegen frauenfeindlicher Frauenverehrung gefasst entgegen.

Gal Gadot, „Wonder Woman“-Darstellerin und ehemalige „Miss Israel“ – Von Ihnen ging folgende Äußerung durch die hiesigen Medien: „Jede Frau, jeder Mann, einfach alle sollten Feministen sein. Weil alle, die keine Feministen sind, Sexisten sind.“
Es ist also wahr, was Gerüchte seit längerem raunen: Man muss nicht blond, sondern einfach nur blöd sein, um gequirlten Unsinn abzusondern.
Was natürlich im Umkehrschluss auch nicht bedeutet, dass alle, die das nicht tun, gleich hochbegabt wären … Es genügt schon, bloß bis zu der eher anspruchslosen Erkenntnis vorzudringen, dass die Bekämpfung von Diskriminierung durch Diskriminierung vor allem eines zur Folge hat – Diskriminierung. Die Früheren hatten dafür eine sehr bildhafte Metapher: Teufel mit Beelzebub austreiben …

Barbara Thalheim, „der weibliche Konstantin Wecker des Ostens“ – Wollen Sie wirklich immer noch in den alten Bundesländern reüssieren? Welchen anderen Grund gäbe es für Ihre Agentur, Sie mit solcher Umschreibung hochzujazzen? Bei Ihrer Fangemeinde im Osten bedürfte es solcher Apostrophierung jedenfalls nicht.
Seltsam auch, dass Sie der Berliner Zeitung ein zweieinhalbstündiges Interview gaben und gleich zu Beginn festlegten: „Über Stasi reden wir nicht, der Vorgang ist viel zu komplex und ewig her.“ Sie taten es aber doch und erklärten sich ziemlich ausführlich, um der Interviewerin Birgit Walter anschließend, nachdem sie sich für die Offenheit bedankt hatte, zu erwidern: „Es würde Leute eher vom Konzertbesuch abhalten.“ Das war offenbar auch der Grund dafür, dass Sie am selben Tag eine Publikation des Interviews komplett verweigerten.
Den Fortgang der Sache schildert Birgit Walter folgendermaßen: „Als klar wird, dass stattdessen ein anderer Text erscheint, ruft der Agenturchef von Kulturinitiative verärgert an. Er wolle Karten verkaufen, ich hätte ein Promotion-Interview ‚missbraucht‘, um über jubiläumsfremde Themen zu sprechen. Fremde Themen? […] So nehmen die Künstlerin und ihre Agentur also die Presse wahr. Als Verkaufsportal für Konzerte. Niemand muss sich ins Rampenlicht stellen und dazu Zeitungen einladen. Das geht auch anders. Wenn sich ein Künstler doch entschließt, ist es nicht verkehrt, Kritik zu ertragen oder auch nur Interviewfragen.“
Dem haben wir nichts hinzuzufügen, erinnern uns aber daran, dass Sie vor 20 Jahren mit Ihrem Programm „Abgesang“ (sehr erfolgreich) tourten, weil Sie dem nunmehr gesamtdeutschen Kulturvermarktungsbetrieb entsagen wollten. Zu den Gründen hatten Sie – ebenfalls in der Berliner Zeitung – unter anderem erklärt: „Heute gibt es Dinge, die mich mehr (als früher in der DDR – die Redaktion) stören. Zum Beispiel Kulturhäuser, bei denen gastronomische Betreuung wichtiger ist als Kultur – aus rein finanziellen Gründen. Ich singe dann die Zeile ‚Warum zieht alles mich so an, was man für Geld nicht kriegen kann?‘ vor Leuten, die ihre Scampis verzehren. Geld ist eben das Regulativ des Lebens geworden.“ Und: „Im Osten hast du ein böses Lied gemacht, und das halbe Politbüro saß auf dem Sofa und nahm übel. Heute kannst du alles singen, und es wird beliebig. Das ist wie Schattenboxen.“
Der Rückzug vom Rückzug ist natürlich Ihr gutes Recht. Schade nur, dass die moralische Instanz, als die Sie uns aus DDR-Zeiten lebhaft in Erinnerung sind, dabei wohl – um eine sehr heutige Wendung zu gebrauchen – ein Stück weit auf der Strecke geblieben ist …