von Dieter Naumann
Am 28. April 1903 berichtete das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt, dass die „Telegraphenstangen durch alle möglichen und unmöglichen Plakate verunziert werden.“ Findige Geschäftsleute hätten auf diese Weise eine „sehr billige und oft recht wirksame Reklame“ betrieben, damit jedoch den Unwillen der „kaiserlichen Oberpostdirection“ erregt. Jetzt sei daher „Anordnung getroffen“, dass jeder, der eine Stange beklebe oder dazu den Auftrag erteile, „bei der Staatsanwaltschaft wegen Sachbeschädigung angeklagt wird“.
So ändern sich die Zeiten: Heute muss mit einer Anzeige wegen Sachbeschädigung rechnen, wer die Plakate – auch die unmöglichen – an Laternenmasten auch nur „ergänzt“.
Doch zurück zu den rügenschen Telegrafenstangen. Zwar waren sie auf Wanderkarten auch als Orientierungshilfen verzeichnet, ihrer eigentlichen Bestimmung nach dienten sie aber natürlich der Telegrafie und dem Fernsprechverkehr.
Die erste Telegrafenstation Rügens war am 11. August 1855 in Putbus eröffnet worden, bis Ende des Jahres 1883 gab es bereits 33 Stationen. Ebenfalls recht früh, 1892, ließ Graf Douglas (Ralswiek) Telegrafenleitungen von Bergen zu seinen Gütern verlegen. In Bergen wurde im April 1892 das Postamtsgebäude eröffnet. Das überdimensionierte Backsteingebäude hatte Stadtsenator Ferdinand Friedrich Christian Freese (1841–1905), von Beruf ursprünglich Maurermeister, in den Jahren 1891/92 auf eigene Kosten erbauen lassen und als Postkontor vermietet. Nachdem die Post jährlich 6000 Mark Miete gezahlt hatte (der Vertrag lief bis zum 30. September 1927 unter Vorkaufsrecht der Post), erwarb sie das Gebäude 1907 für 120.000 Mark von Freese. Für den bald anschwellenden Telegrafen- und Fernsprechverkehr musste das Kaiserliche Postamt Bergen bald Telegrafengehilfinnen einstellen, die sich vor ihrer Einstellung der „Erlernung von Diensten unterziehen und achtbaren Familien des Ortes angehören“ sollten.
Im Mai 1890 konnten von Bergen aus immerhin 34 Orte auf Rügen telefonisch für jeweils 20 Pfennige pro Gespräch bis zu drei Minuten erreicht werden. Weil einer Bekanntmachung des Landratsamtes vom Mai 1900 zufolge „bei den wiederholten Bränden im letzten Jahre sich herausstellte, dass viele Ortschaften, die zur Feuerlöschhülfe verpflichtet sind, nicht mit Hülfsmannschaften und Geräthen erschienen sind, weil sie keine Kenntniß von dem Brande hatten“, richtete man bald in verschiedenen Postämtern und Agenturen „Hülfsstellen“ und Unfallmeldestellen ein, die auch nachts Feuermeldungen entgegennahmen. „Die selbständige Abfassung und Absendung liegt den Beamten […] nicht ob, auch können die Beamten der angerufenen Anstalt damit nicht beauftragt werden, Ort und Umfang des Feuers festzustellen“, beeilte man sich hinzuzufügen.
Schrittweise wurden weitere Bereiche der Insel mit Möglichkeiten zum Fernsprechverkehr ausgerüstet. Da Altenkirchen recht zentral liegt, wurde hier die erste Fernsprechvermittlung der Halbinsel Wittow eingerichtet. So konnte man 1898 zum Beispiel von Altenkirchen nach Vitte auf Hiddensee für 25 Pfennige bis zu drei Minuten telefonieren, dringende Gespräche kosteten das Dreifache, für das Herbeirufen einer Person von entfernteren Orten waren zusätzlich 25 Pfennige zu zahlen. Mit dem Fernsprechnetz auf Wittow verbindet sich eine gern kolportierte amüsante Episode: Da sich die Wittower den Begriff „Telefon“ angeblich anfangs nicht merken konnten, sollen sie in Gasthäusern die Frage nach einem Telefon mit der Handbewegung des Telefonierens und „Häst du ook all so een’n ,Hier Wiek – da Altenkirchen‘?“ gestellt haben.
Verwirrend war eine Meldung des Rügenschen Kreis- und Anzeigeblattes vom 24. April 1913 über die „Kriegsleitung der Strecke Arkona-Altenkirchen“, die durch Stürme stark beschädigt worden war, aber ohnehin nur im Kriegs- oder Manöverfall in Betrieb genommen wurde. „Ebenfalls“, hieß es weiter, „ist die frühere Telegraphenstation Arkona insofern außer Betrieb gesetzt, als die Telegramme von Arkona bis Altenkirchen nicht telegraphisch, sondern telephonisch übermittelt werden, und erst von Altenkirchen telegraphisch weitergegeben werden. Jedoch ist Arkona nach wie vor Telegraphenamt.“ Alles klar?
Über den Telefonanschluss von Groß Zicker berichtete der ehemalige Lehrer Walter in seiner unveröffentlichten Chronik: Der erste Anschluss wurde vor 1914 in der Posthilfsstelle von Groß Zicker eingerichtet, den zweiten ließ Kantor Brandt im gleichen Jahr für sich herstellen. Bis 1936 basierte der Telefonverkehr auf Handvermittlung, sogar ein Ortsgespräch musste vermittelt werden und man konnte nur telefonieren, wenn in Thiessow Dienststunden waren. Als der Wählbetrieb mit dem Fernamt in Bergen eingeführt wurde, war Groß Zicker nun selbstständiger Bezirk und die inzwischen 25 Teilnehmer mussten schon ein Ferngespräch führen, selbst wenn sie nur nach Lobbe (Luftlinie vier Kilometer) telefonieren wollten.
Neben anderen „neumodischen“ Annehmlichkeiten warben Hotels und Pensionen bald mit eigenem „Telephon“. Soweit in Prospekten und Reiseführern Telefonnummern angegeben sind, wird erkennbar, dass viele Vermieter recht schnell, häufig als erste, auf diese Neuerung zugriffen. Nur einige Spediteure waren schneller. Die folgende Auswahl an Fernsprechnummern nennt jeweils die niedrigsten, die ausgewiesen wurden:
Fernsprechnummer 1 hatte in Binz Klünder’s Hotel Seeschloß bereits 1899, der Telefonanschluss durfte im Sommer ab 7, im Winter ab 8 Uhr bis jeweils 21 Uhr auch durch Nicht-Hotelgäste genutzt werden. Telefonnummer 2 gehörte zum Ostsee-Hotel von Christian Malchin. In Göhren wurde im Reiseführer von Grieben von 1910–1911 für „Carl Kröger, amtl. Bahn- und Dampfschiff-Spediteur“ die Nummer 1 ausgewiesen, das „Ostsee-Hotel und Pension I. Ranges“ wurde schon 1904 mit „Telephon No. 2“ genannt. Göhrens ältestes Hotel, das 1879 erbaute Hotel Brandenburg, verwies zwar auf ein Telefon, nannte aber keine Nummer. In Saßnitz war es wieder ein Hotel, nämlich Böttchers Hotel und Strand-Villa, das die Rufnummer 1 erhielt, gefolgt vom Eisenbahn- und Dampfschiffs-Spediteur Paul Leßhafft, der die Fernsprechnummer 2 hatte. Ein Prospekt der Bade-Direktion von Sassnitz wies für 1901 17 Telefone aus. Im Reiseführer von Schuster von 1903–1904 wurde auf das Post-, Telegraphen- und Fernsprechamt im damals noch von Sassnitz getrennten Crampas, Dorfstraße, neben dem Hotel Bellevue, hingewiesen, „geöffnet 7–1 Uhr vorm., 3–8 Uhr nachm.“ In Sellin hatte der Fernsprecher des Kurhauses die Nummer 1, gleich gefolgt vom Wald-Hotel mit Nr. 2. Das Post-, Telegraphen- und Fernsprechamt befand sich in der Selliner Villa Vineta von F. Vogt, vermerkte der Reiseführer von Schuster von 1907–1908. In Thiessow wurde das Kurhaus und Strandhotel mit der Fernsprechnummer 1 ausgestattet, in Putbus war für das Hotel Bellevue von Carl Hintze die „Telephon No. 10“ angegeben (Grieben von 1906–1907). Karl Lindenberg verwies für sein Putbusser Restaurant Zum Adler im Griebenschen Führer von 1912–1913 auf die Telefonnummer 37 a (!). In Bergen hatte das Hotel zum Ratskeller um 1906 die Fernsprechnummer 4, in Breege war das Strand-Hotel unter der Nummer 6 erreichbar.
Hotels und Pensionen in Baabe waren lange Zeit nur über das Amt Sellin erreichbar; so wurde das Strand-Hotel und Pensionat im Reiseführer von Grieben 1926 unter dem Ruf „Amt Sellin 72“ geführt, die Pension Kurhaus war in einem Prospekt mit dem Ruf „Amt Sellin 9“ ausgewiesen. Der neue Besitzer von „Wittmüs Hotel“, Wilhelm Fricke, verwies zwar schon 1904 in einem Inserat auf das „Telephon im Hause“, nannte aber die Nummer nicht. Juliusruh wurde über Altenkirchen vermittelt; Kurhaus und Strand-Hotel erreichte man 1930 unter „Altenkirchen Nr. 6“. Pensionen und Hotels in Lobbe rief man über das Amt Göhren an. Karl Kliesow’s Gasthaus zum Walfisch hatte 1922 den Ruf „Göhren Nr. 31“. – In jedem Falle leichter zu merken als heute die zwölfstellige Nummer des eigenen Mobiltelefons.
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