von Manfred Orlick
Neulich brachte das MDR-Fernsehen einen Bericht über ein außergewöhnliches „Friedhofsgelände“: Auf einer riesigen Fläche abseits in einem Waldgrundstück lagerten Tausende ausrangierte Telefonzellen. Aus der Luft ein buntes Mosaik aus Gelb und Magenta. Im Zeitalter von Smartphone, Facebook & Co. braucht kaum noch jemand die altehrwürdigen Kommunikationshilfen, die für heutige Teenager irgendwie steinzeitliche Relikte zu sein scheinen. Von den einst 100.000 Telefonzellen zwischen Küste und Alpen gibt es nur noch knapp 30.000. Und es werden jeden Tag weniger, denn die Telekom baut alle Telefonzellen ab, die unter einem Monatsumsatz von 50 Euro liegen. Und dann ab auf die grüne Ruhestätte. Und anschließend? Die Telekom bietet zwar das Stück für wenige hundert Euro an. Doch als Gartenlaube oder gar als Garage ist so ein nostalgisches Ding kaum geeignet. Und so hält sich die Nachfrage in argen Grenzen.
In einigen Städten tauchten allerdings in letzter Zeit einige alte Telefonhäuschen wieder auf. Jedoch mit einer Zweckentfremdung – als Bücherzelle. Mit ein paar schmalen Regalen und einem Starterpaket von gebrauchten Büchern ausgestattet, sollen sie zur Leselust anregen. Jeder ist herzlich eingeladen, kann in alten Schmökern blättern und sich kostenlos bedienen. Natürlich ist Büchernachschub willkommen, sonst funktioniert die Idee ja nicht. Manche Zeitgenossen sind allerdings keine Leseratten, sondern neigen eher zu Vandalismus.
Nun wurde auf dem Hallensischen Marktplatz ebenfalls solch eine Bücherzelle aufgestellt. Allerdings kein stinknormales Telekom-Häuschen, sondern eine originale Londoner in knalligem Rot. Das 800 Kilogramm schwere Büchertauschdomizil wird bisher von den Hallensern auch rege angenommen, wobei viele anscheinend ihre alten DDR-Bücherbestände ausmisten. Erst neulich hatte dort jemand Lenins ausgewählte Werke in sechs Bänden „entsorgt“. Über einen neuen Besitzer gibt es keine Angaben.
Während in den Bücher-Telefonzellen die Mitnahme von Büchern erwünscht ist, wird das in öffentlichen Bibliotheken jedoch als Diebstahl geahndet. Als ich vor geraumer Zeit an einer Führung durch die neue Universitätsbibliothek am Campus Steintor teilnahm, fragte am Ende ein Besucher, wie es mit der Diebstahlsicherung der frei zugänglichen Bibliothek aussehe. Die Mitarbeiterin verwies auf die elektronischen Sicherungsmaßnahmen. Ansonsten könnten sie nach den wenigen Monaten des Bibliotheksbetriebes noch keine Angaben machen. Vor Jahren hätte einmal eine große Universitätsbibliothek eine umfassende Inventur durchgeführt und Fehlbestände nach Fachbereichen aufgelistet. Dabei kam Erstaunliches ans Tageslicht: Die größten Kleptomanen waren demzufolge Jurastudenten. Ob sie dabei schon für ihr späteres Berufsleben unter dem Motto „Du darfst dich nicht erwischen lassen?“ üben wollten, wurde leider nicht untersucht. Doch bitte keine Moralpredigt, denn an zweiter Stelle der Langfinger rangierten die Theologiestudenten. Wahrscheinlich vertrauen sie auf die Richtigkeit des alten Witzes vom Apfeldieb Fritzchen „Der liebe Gott sieht alles …, aber er verrät mich nicht.“
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