von Dieter Naumann
Krüge, das heißt Schenken, siedelten sich an den Wegen an, auf denen die Heringsfänge, das Salz zu ihrer Konservierung, Kreide oder andere Waren transportiert wurden. In Matthäus von Normanns erstmals 1522 erschienenem „Wendisch-Rügianischem Landgebrauch“ heißt es: „Landkrüge sint de Krüge, de in den Dörpern sint […] vnd de vp den dren Landstraten im Lande […] belegen sint […] Gemeine Kröge sint de andern alle, de sonst in Dörfern hin vnd her im Lande sint belegen.“
Hier konnten sich die Kutscher laben, ihre Pferde ausspannen und füttern, auch die wenigen Wanderer fanden Unterschlupf und Verpflegung.
Krüge kennzeichneten ebenfalls die großen Fähren, wie etwa die von Altefähr, bei der 1325 gleich zwei Krüge ausgewiesen wurden. Hier gab es Aufenthalts- und Wartemöglichkeit, hier konnten die Fährformalitäten geklärt werden. Ihre Lage an den Straßen und Fähren hatte zur Folge, dass an oder in den Krügen auch Handel getrieben und Abgaben eingezogen wurden. Nicht selten liegen die urkundlichen Erwähnungen der Krüge nahe an den Ersterwähnungen der jeweiligen Siedlungen oder sind gar identisch mit ihnen.
„Krugrecht“ oder „Kruggerechtigkeit“, das Recht, einen Krug, das heißt „eine Schenke zu halten und Gäste zu setzen“ (Brockhaus 1885), brachte dem jeweiligen Landesherrn zusätzliche Einnahmen. Im „Krugrecht“ waren aber auch die Rechte und Pflichten des Krügers niedergeschrieben. So heißt es bei Normann, der Krüger dürfe nicht klagen, wenn „yemand by nachtschlapender Tydt an sine Döhr […] klopet“, um gegen Geld ein Bier zu bekommen oder zu übernachten, egal ob er Inländer oder Ausländer sei.
Ein befristetes Krugrecht erhielten die Waldgräfen, das waren im 15. bis 17. Jahrhundert Waldauf- und -verkäufer, die, wenn sie die großen Gehölze kauften, im Wald so genannte Loskrüge (Laubkrüge, fliegende Schenken) errichten und hier Bier gegen Geld ausschenken durften, erzählte Alfred Haas (1860 – 1950), Mitglied der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde.
Beileibe nicht allen Krügern ging es wirtschaftlich gut, einige übten, um sich über Wasser halten zu können, neben ihrem Schank- und Beherbergungsgewerbe Nebentätigkeiten aus, wie der Krüger Püsch. Er richtete um 1795 in Middelhagen eine Salzerei ein, in der er jährlich rund 200 Tonnen Hering einsalzte und zum Preis von drei Talern zwölf Silbergroschen je Tonne (das waren im Laufe der Geschichte 400 bis 1200 Fische) verkaufte. Der eine oder andere Krüger beteiligte sich anteilmäßig an den Fischerkommünen, wobei er in der Regel Geld, Geräte oder Schuppen vorschoss, aber nicht selbst fischte. Andere Gastwirte unterhielten eine kleine Landwirtschaft oder einen kleinen Laden, in dem Kolonial- oder andere Waren vertrieben wurden. Wieder andere sind Schiffer gewesen, die kleine Fähren oder kleine Fracht-Schifffahrt betrieben. Während der Krüger mit seinem Kleinschiff unterwegs war, musste die Frau des Krüger-Schiffers den Ausschank und den Laden versorgen.
Vor allem Sonn- und Feiertage, Jahrmärkte, Hochzeiten und Leichenbegängnisse boten willkommene Anlässe, die Krüge zu besuchen und durchaus auch einen über den Durst zu trinken. Die Krüge waren deshalb oftmals als Schauplätze von Keilereien berüchtigt, bei denen sich nicht selten Postillione, Reisende und Rüganer ins Gehege kamen. Für den in Stralsund geborenen pommerschen Chronisten Thomas Kantzow (1505? – 1542) sind die Einwohner Rügens im 16. Jahrhundert „ein sehr zänkisch und mordisch Volk […] Sonderlich geraten sie in den Krügen oder Wirtshäusern leicht aneinander […] Und geschieht in den Krügen so viel Schlagens und andere Injurien, dass oft ein Edelmann, der einen Krug hat, so viel von Buße und Strafgeld ein Jahr daraus gewinnt als sonst von einem halben oder ganzen Dorfe. “
Präpositus Johann Gottlieb Picht hatte in den 1780er Jahren versucht, in den Krügen von Gingst eine Sperrstunde einzuführen, weil die Gäste dort die ganze Nacht saufen und spielen würden. Zu den schlechten Beispielen, die Picht zur Begründung aufführte, gehörte unter anderem Küster Carl Gustav Westgard, den der Totengräber Berend eines morgens um sieben Uhr aus dem Krug abholen musste, weil seine Schüler bereits auf ihn warteten … Der Fürst zu Putbus, Wilhelm Malte, musste 1810 alle Krugwirte anweisen, „ungebührlich langes Sitzen, übermäßiges Gesöffe, gewinnsüchtiges hohes Spiel, auch Verspielen von Uhren, Kleidungsstücken u.s.w. nicht zu dulden“. Ordnung musste schon sein.
Über die Anzahl der Krüge in den einzelnen Epochen der Entwicklung Rügens gibt es in der vorliegenden Literatur kaum Angaben. Laut einer Untersuchung aus dem Jahre 1958 soll es um 1570 auf der Insel insgesamt 61 Krüge gegeben haben.
Der älteste noch heute existierende Krug Rügens soll der „Schifferkrug“ in Kuhle (= „an der äußersten Ecke liegend“, aber auch „Grube“, „Loch“), einem Ortsteil von Dranske, sein, dessen Existenz und Ausschankberechtigung in der Chronik von Wiek seit 1455 bezeugt ist. Der Krug war damals Postgasthof. Im 18./19. Jahrhundert wurde der kleine Kuhler Hafen gebaut, der zusätzliche Kundschaft brachte. Bis zu dreißig Schiffe sollen hier zur Blütezeit der Segelschifffahrt geankert haben. Als Ulrich Tredup, Krugbesitzer bis 2012, gefragt wurde, ob er denn auch zur See gefahren sei, flunkerte er, er sei Heizer auf einem Segelschiff gewesen. Der Krug ist inzwischen durchaus liebevoll restauriert, rekonstruiert und eingerichtet. Der ursprüngliche Charme, eine Mischung aus morbider Gebäudesubstanz und Einrichtung, familiärem Charakter durch das bewirtschaftende Ehepaar Tredup und chaotischem Sammelsurium von Andenken, Dokumenten und anderen Gegenständen aus DDR-Zeit ist freilich dahin.
Als ältestes Gasthaus Rügens firmiert heute der ebenfalls über 500 Jahre alte Landgasthof „Zur Linde“ in Middelhagen, ein ehemaliger mittelalterlicher Dorfkrug der Zisterziensermönche. Einige der Ziegelsteine der „Linde“ (so genannte Klosterformatsteine) wurden zur gleichen Zeit und auf gleiche Weise hergestellt wie die der benachbarten Kirche. Beide Bauwerke dürften ursprünglich also etwa gleich alt gewesen sein; das heutige Gebäude der Gaststätte wurde freilich Anfang des 19. Jahrhunderts errichtet. In alten Zeiten wurde hier auch Hering eingesalzen, der Wirt war zeitweise außerdem Müller – wozu er die Mühle des Klosters und später des Gutsbesitzers pachtete – oder (nach 1847) Betreiber eines Kaufmannsladens für das ganze Dorf, denn allein vom Bierausschank konnte auch er in dem doch etwas abgelegenen Ort nicht leben.
Der 1886 von Müller herausgegebene Reiseführer lobte bei der Beschreibung von Middelhagen „ein schon altes, recht gutes Wirtshaus mit Garten, welches Sonntags nach der Kirchzeit von den Mönchgutern viel besucht wird. Hier bietet sich an solchen Tagen die beste Gelegenheit, die Bewohner in ihren sonntäglichen Nationaltrachten zu sehen.“ Das „recht gute Wirtshaus“ war damals „Tiedemanns Gasthof“. Das middelhagensche Ensemble von Kirche, Friedhof, Schulmuseum (ehemalige Küsterei), Gasthof, etwas verstecktem ehemaligen Pfarrhaus, Hallenhaus und früherem Altenkaten („Breedehaus“), als solche kaum noch erkennbarer alter Schmiede, der Töpferei Wilke und dem etwas entfernten ehemaligen Gutshaus Philippshagen, dazu der ehemalige Klosterteich und bizarr beschnittenen Weiden sind einen Besuch wert.
Von einem Krug an der Bahnstrecke Putbus – Altefähr wird folgende amüsante Episode erzählt: Als 1907 ein höherer Kleinbahnbeamter die Bahnstrecke inspizierte, überkam ihn der Durst und er machte im Dorfkrug Pause. Zu seinem Erstaunen legte ihm die Wirtin eine unerwartet reichhaltige Weinkarte vor, und er bestellte eine Flasche vom „Besten“. Die brachte die Wirtin und stellte daneben einen kleinen Holzkasten mit bunten Papierzetteln: „Ach, min lev Herr, Se möden schon entschuldigen, ick häw min olle Brill verlägt. Se sünd woll sülwst so god un söken sich dat passende Etikett ut de Schachtel rut und kläben sich dat up de Flasch rup!“