20. Jahrgang | Nummer 18 | 28. August 2017

Julius Elias und die Berliner Kunstwelt

von Hartmut Pätzke

Im Käthe-Kollwitz-Museum in Berlin wird des 150. Geburtstags der größten deutschen Künstlerin des 20. Jahrhunderts, Käthe Kollwitz (1867–1945), gedacht. In außerordentlicher Weise stand ihr Julius Elias (1861–1927) nahe. Er entdeckte sie im Jahre 1893, war ihr Förderer und ihr Freund.
Elias’ Name ist besonders eng mit Berlins Weltstadtkultur vom Ausgang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts bis zur zweiten Hälfte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts verbunden. Berlin, seit 1871 deutsche Reichshauptstadt, erlangte rasch europäische Bedeutung. Zu Weltruhm gelangten Gerhart Hauptmann und Käthe Kollwitz, Max Liebermann und Lovis Corinth, Henrik Ibsen und Björnstjerne Björnson, deren Werke Julius Elias nachhaltig durchzusetzen half. Elias sah sich selbst vor allem als „Entdecker“.
Max Osborn charakterisierte den Kunstkritiker so: „Aus der früher üblichen registrierenden und gegenständlich-erzählenden Manier (hat er sie – H.P.) zu einer selbständigen literarischen Übung von eigenen Möglichkeiten der schriftstellerischen Form empor erhoben, wobei der Einfluß französischer Vorbilder unverkennbar war! Elias war namentlich ein wissensreicher Kenner der älteren deutschen Sezessionssphäre, dazu ein Sammler von trefflichem Instinkt und Mittelpunkt eines angeregten literarisch-künstlerischen Gesellschaftskreises.“
In München begegnete Elias sowohl Henrik Ibsen, der schon seit 1876 in Deutschland lebte, als auch Max Liebermann das erste Mal. „Rosmersholm“ von Ibsen wurde in der Übersetzung von Elias am 6. April 1887 in München erstmals aufgeführt. Felix Philippi berichtete 1912: „Das ganze literarische und künstlerische München hatte sich an diesem Abend eingefunden, der sich für den schließlich in einer wundervollen Ansprache dankenden Dichter zu einem Triumph gestaltete.“
Seine Inaugural-Dissertation zu dem Epigrammatiker und Diplomaten Christian Wernicke (1661–1725) schloss Elias 1888 an der Königlichen Ludwig-Maximilians-Universität bei Michael Bernays mit einem ausgezeichneten Prädikat ab.
1890 bezog er gemeinsam mit seiner Frau Julie das ererbte Haus in der Matthäikirchstraße 4 in Berlin. Julie sorgte maßgeblich für die Geselligkeit im Hause. Elias bewegte sich seither zwischen Berlin und Paris.
Sowohl Edvard Munch, von dem er ein Bild erwarb – 1893 eine „Ballszene“ – als auch August Strindberg verkehrten in seinem Haus. Ein Treffpunkt von Literaten und Künstlern war „Das schwarze Ferkel“ in der Dorotheenstraße. „Russen und Skandinavier neben Berliner Stürmern und Drängern“ waren dort zu Gast (Hermann Uhde-Bernays, 1947). Seit den achtziger Jahren hatte Elias auch enge Beziehungen zu Henri de Toulouse-Lautrec und zu Camille Pissarro. Ab 1893 organisierte er gemeinsam mit dem Kunsthändler Durand-Ruel Ausstellungen der französischen Impressionisten im Hotel Kaiserhof in Berlin.
Bei S. Fischer erschien die zehnbändige Werkausgabe Ibsens, die Elias gemeinsam mit Paul Schlenther und Georg Brandes herausgab, ihr folgte eine vierbändige Nachlassausgabe und eine immer wieder aufgelegte fünfbändige Volksausgabe.
Zu Björnson erschien eine fünfbändige Ausgabe. Besonders verbunden war Elias dem norwegischen Sozialdemokraten Halvdan Koht, in den dreißiger Jahren Außenminister Norwegens, der Ausgaben sowohl der Werke Ibsens als auch Björnsons unterstützte und 1936 dafür sorgte, dass Julie Elias und ihr Sohn Dr. Ludwig Elias, Rechtsanwalt, nach Norwegen emigrieren konnten. Julie Elias starb 1945 in Oslo an einer Krebserkrankung, ihr Sohn wurde in Auschwitz ermordet.
Bis in die zwanziger Jahre hinein nahm Elias auch Anteil am Werk Gerhart Hauptmanns. Im Jahre 1900 hatte Elias beträchtlichen Anteil an der Übersiedlung Lovis Corinths, von dem er das erste Bild gekauft hatte, von München nach Berlin, 1901 folgte Max Slevogt. Über den so früh verstorbenen Walter Leistikow (1865–1908) schrieb er 1908 den Text für den Katalog des Nachlasses bei Paul Cassirer. Wilhelm Trübner (1851–1917), dem er schon in München begegnet war, begleitete er in dessen letzten Lebensjahren auf Reisen.
Doch die stärkste Verbindung hatte Elias zu Max Liebermann (1847–1935), dessen Leben und Werk er allein vier Bücher widmete. 1911 malte ihn Liebermann. Das schloss ein gutes Verhältnis zu Lesser Ury nicht aus.
Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war Elias ein auch finanziell unabhängiger Mann, der es sich leisten konnte, die Jahresberichte für neuere deutsche Literaturgeschichte, die die Jahre von 1890 bis 1914 unter seiner Hauptverantwortung umfassen, zu finanzieren. In seinen Erinnerungen schreibt Fritz Homeyer: „An den Jahresberichten arbeitete die Elite der jüngeren Berliner Germanisten mit, doch sie bekamen weder Honorar noch Besprechungs-Exemplare, sondern mussten sich das nötige Material privat oder aus öffentlichen Bibliotheken beschaffen. Der einzige Lohn außer der Zusammenarbeit mit einem sehr illustren Kreis hervorragender Gelehrter war ein opulentes Abendessen zum Jahresende im Hause Elias.“
Elias war Schriftsteller, Kritiker, Übersetzer, Verleger, Sammler und Mäzen, ein schöpferischer Mensch auf allen Gebieten – ein Geburtshelfer des Neuen. Als Julius Elias 1921 in den 1919 gegründeten Propyläen-Verlag eintrat, brachte er vor allem seine Begeisterung für die Kunst und seine intime Kenntnis der zeitgenössischen Kunst mit. Er wirkte als Berater, dann Cheflektor, schließlich als Direktor des Bühnenvertriebs im Arkadia-Verlag, der zum Ullstein-Verlag gehörte.
Seinen nachhaltigsten Erfolg konnte Elias feiern, als er dafür sorgte, dass „Der fröhliche Weinberg“ von Carl Zuckmayer auf die Bühne gelangte und dem Autor der Kleist-Preis verliehen wurde. In seinen Erinnerungen „Als wär’s ein Stück von mir“ hat Carl Zuckmayer Julius Elias in ganz außerordentlicher Weise gewürdigt: „Diesen Mann zu beschreiben, ist fast unmöglich, weil es niemand glauben würde. Denn es gibt wohl heute keine solche Erscheinung mehr. Ich wenigstens habe nie wieder jemanden getroffen, in dessen Person sich diese Fülle von Temperament, Geist, Wissen, Kultur mit dieser bedingungslosen Hilfsbereitschaft, dieser feurigen Leidenschaft zum Entdecken, Stützen, Vorwärtsbringen junger Talente, dieser vollkommenen Selbstlosigkeit, Gläubigkeit, Begeisterungsfähigkeit verband. Klein, plattfüßig, mit einem chaplinesken Gang, dichtem schwarz-graumeliertem Haar, Schnurrbart, Augenbrauen und stets vor Eifer und Enthusiasmus blitzenden Augen, schoß er wie eine Rakete auf einen zu, wenn man sein Büro betrat, und wem er nur die Hand gab, der mußte an sich selber glauben, ob er wollte oder nicht.“ Elias trug aufgrund geschickter Vermittlung entscheidend zum Durchbruch Zuckmayers als Dramatiker bei.
Zuckmayer wird sowohl bei der Trauerfeier für Julius Elias sprechen als diesem auch postum den „Schinderhannes“ widmen: „Dem Gedenken an Julius Elias“. Seinen letzten Beitrag schrieb Julius Elias zum 80. Geburtstag Max Liebermanns für Die Neue Rundschau 1927, dem 38. Jahrgang der freien Bühne, an deren Gründung er schon beteiligt war. Julius Elias starb vor 90 Jahren am 2. Juli 1927.