von Bernhard Romeike
Der G20-Gipfel von Hamburg ist Geschichte. Die Frage ist nur: Welche? Bundeskanzlerin Angela Merkel lobt ihr Bemühen um Ergebnisse für das Weltklima, den Welthandel, die Frauen, Afrika und den Kampf gegen den Hunger. Für UNO-Generalsekretär António Guterres sind die Ergebnisse eine wichtige Bestandsaufnahme, sie legten Fundamente für künftige Maßnahmen. US-Präsident Donald Trump präsentiert seinen 33,5 Millionen Twitter-Fans ein Video, auf dem er anderen Staats- und Regierungschefs die Hände schüttelt oder staatsmännisch von ihnen umringt ist. Das meint: Für ihn war der Gipfel ein Erfolg. Selbst David Axelrod, erbitterter Trump-Gegner und einflussreicher Stratege der US-Demokraten, räumt ein, Hamburg sei „ein Triumph für seine Basis“ gewesen.
Die spanische Zeitung El Pais sieht in G20 vor allem Chancen: „Wir können unsere komplexe Welt mit ihren enormen Herausforderungen nur durch Multilateralismus einigermaßen ordnen.“ Die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita dagegen bewertet G20 als „Image-Katastrophe“ für Deutschland in mehrerer Hinsicht: angesichts des ersten Treffens zwischen Trump und Putin schien Merkels Agenda nur noch zweitrangig. Das „Treffen zwischen Merkel und Putin im Beisein Macrons offenbarte die Ohnmacht Westeuropas in den Angelegenheiten zur Zukunft der Ukraine“. Hinzu „kommen die Bilder brennender Hamburger Straßen, die um die Welt gingen, die schweren Kämpfe zwischen Globalisierungsgegnern und der Polizei und die Transparente mit der Aufschrift ‘Willkommen in der Hölle’. Diese Szenen erzeugen eher das Bild einer nahenden Apokalypse, als das einer neuen Führerschaft Deutschlands in der EU.“
Der Spiegel-Autor Christian Stöcker meinte, solche Gipfel würden nichts bringen, der „schwarze Block“ habe mit Politik nichts, mit Krawall-Tourismus dagegen viel zu tun. Die Polizei habe jedoch rechtsstaatliche Grundsätze nur unzureichend durchgesetzt. Das machte er vor allem daran fest, dass „marodierende Banden“ durch die Stadt zogen, Schaufenster einschlugen und Autos in Brand setzten. „Währenddessen genossen Staatschefs wie Donald Trump und Wladimir Putin ein Konzert in der Elbphilharmonie, die die meisten Hamburger noch nie von innen gesehen haben, und anschließend ein gepflegtes Abendessen.“ Die Polizei habe die rechtsstaatlichen Grundsätze „als optional behandelt, just zu dem Zeitpunkt, als Diktatoren und Autokraten in der Stadt hofiert wurden“.
Solche Argumentationsschleifen zeigen vor allem, dass ein gelernter „Kognitionspsychologe“, der als Experte für „digitale Kommunikation“ gilt und im Zweitberuf an einer Hamburger Fachhochschule lehrt, nicht unbedingt etwas von Außenpolitik verstehen muss. Sollten die deutschen Polizeikräfte Trump und Putin dem marodierenden Mob überlassen, die deutschen Autos schützen und sich darauf verlassen, amerikanische und russische Spezialkräfte würden ihre Präsidenten schon raushauen? Deutschland als souveräner Staat muss natürlich darauf achten, seine Staatsgäste selbst zu schützen. Die genießen übrigens seit der Antike ein spezifisches Gastrecht und den besonderen Schutz des Gastgebers. Die Wendung mit den „Diktatoren und Autokraten“ will diese Nichtachtung des internationalen Rechts noch einmal verstärken, als würden nur Staats- und Regierungschefs als berechtigte Verhandlungspartner gelten, die dem Bild des politisch korrekten deutschen Gutmenschen entsprechen. Das ist absurder Unsinn.
Sinn einer Außenpolitik im Dienste des Friedens ist es, gerade auch mit denen zu reden, die andere politische Systeme vertreten und deren außenpolitische Ziele nicht mit den eigenen übereinstimmen. Das hieß früher „Politik der friedlichen Koexistenz“. Aber die wurde inzwischen mit Eifer vergessen gemacht. Seit der Westen sich nach dem Ende des Kalten Krieges zum Sieger der Geschichte erklärt hat und die Deutschen sich als demokratisch umerzogen und verwestlicht betrachten, meinen nicht wenige Leute in diesem Lande wieder, „am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. Die Vogelscheuche des deutschen Dünkels ist wieder da, nur mit anderem ideologischen Stroh ausgestopft als am Beginn des 20. Jahrhunderts.
Laut wird über die schwarzgekleideten Marodeure geredet. Linke Politiker und Journalisten fühlten sich wieder bemüßigt zu erklären, G20 seien ein illegitimes Gremium. Einige setzten hinzu: weil sie nicht die UNO sind. Auch dies ist wieder außenpolitischer Kokolores. Aus der staatlichen Souveränität folgt, alle Staats- und Regierungschefs können sich zu jeder Zeit und zu jedem Thema, das sie bestimmen, bilateral, trilateral, in Gruppen oder weltweit zu Verhandlungen zusammenfinden. Das können sie im Rahmen einer Weltorganisation wie der UNO tun, im Rahmen von Regionalorganisationen wie der OSZE oder der Afrikanischen Union, von Bündnisorganisationen wie NATO oder EU, oder in Formaten, die nicht einer gesatzten Ordnung unterliegen, sondern speziell vereinbart werden. Insofern ist G20 legitim durch die Legitimität, die die teilnehmenden Staaten dem Treffen geben.
Das linke Argument von der Illegitimität setzt wieder einmal auf das Vergessen. Es gibt zur Genüge „linke“ Argumentationen, auch die UNO sei nicht legitimiert, weil da lauter Diktatoren sitzen. Und kapitalistische Mächte. In diesem Sinne wäre dann nur eine Weltversammlung legitim, die die Erben des Genossen Lenin, des Genossen Trotzki oder des Genossen Stalin einberufen. Da die sich aber schon gegenseitig die Legitimität absprechen, kommt es zu jener großen Weltversammlung nie. Es bleiben die UNO als real existierende Weltorganisation und die verschiedenen anderen Foren.
Ein anderes, in der linken Szene gern benutztes Argument lautet, die Polizei habe die schwarzen Blockisten „provoziert“. Das unterstellt, dass es nicht ein staatliches Gewaltmonopol gibt, das Recht und Gesetz untersteht, sondern unterschiedliche Gewalthaber auf Augenhöhe, von denen die Polizei einer ist und der Block der selbsternannten „Autonomen“ ein anderer. Oder es unterstellt, der Block sei ein wildes Tier – wie der Bulle auf der Wiese, dem man kein rotes Tuch hinhalten darf, damit er nicht in wutschnaubende Raserei verfällt. Beide Argumente sind unpolitisch und versuchen, der Frage nach der Legitimität der Gewalt aus dem Wege zu gehen. Ein Auto anzuzünden, mit dem die Krankenschwester zur Arbeit fährt oder der Busfahrer zur Frühschicht, hat mit Antikapitalismus nichts zu tun. Die Plünderung einer Drogerie ist schlichtweg Raub, nichts sonst. Genau betrachtet ist das Terror: Gewalt gegen die Zivilbevölkerung zum Zwecke der Destabilisierung der Gesellschaft.
Die Bundeskanzlerin hatte die friedlichen Protest-Demonstrationen in Hamburg ausdrücklich begrüßt. Das gehöre in einer freiheitlichen Demokratie dazu. Sie meinte: im Unterschied zu „Autokratien“ wie China oder Russland. Von Saudi-Arabien, das demnächst ein G20-Treffen ausrichten wird, sprach sie wieder einmal nicht. Aber vielleicht gehörten zu dem „schwarzen Block“ auch Nazis, die genau diese Intention Merkels durchkreuzen wollten? Man weiß doch inzwischen, dass die Neonazis der „Autonomen Nationalisten“ aussehen, wie die „linken“ Autonomen, sich so kleiden und auch so organisieren. Woher wissen die linken Abwiegler aus Hamburg und anderswo eigentlich, dass sie da über „linke“ Autonome beschwichtigend die Hand halten?
Schlagwörter: Bernhard Romeike, Friedliche Koexistenz, G20, Gewaltmonopol, Hamburg, UNO