von Margit van Ham
Washington D.C. – zwei Tage vor dem Memorial Day. Wir reihen uns in eine lange Schlange von Wartenden vor dem National Museum of African American History & Culture ein, dem neuesten der von der Smithsonian Institution betriebenen Museen zwischen Capitol, Washington Monument und Lincoln Memorial. Freunde in Lincoln haben uns das Museum sehr ans Herz gelegt, aber zugleich gewarnt, dass es wenig Chancen gebe, hinein zu kommen.
Das Museum, im September 2016 eröffnet, ist überlaufen – es gibt daher eine, wenn auch kostenlose, Ticketpflicht. Schon bald kommt eine Kontrolleurin, die nach Tickets fragt. Die haben wir leider nicht. „Waren Sie bei den Armed Forces“, fragt sie meinen Mann. Es gibt eine Vorzugsbehandlung für Veteranen. Auch nein. Sie überlegt und spricht dann unseren Vordermann an, einen Biker mit der typischen Lederjacke mit Nieten, Aufschriften vom Bikerclub auf dem Rücken und „Cold War Veteran“, Mitte 50, graues Haar und Vollbart. Er hat als Armeeveteran mehrere Tickets und gibt uns zwei ab.
Natürlich kommt man dabei ins Gespräch. Er komme aus Pittsburgh, nehme seit 15 Jahren an der Bikerparade zu Ehren der Gefallenen und Verwundeten der amerikanischen Kriege teil. Sie finde am Sonntag vor dem Memorial Day statt, starte am Pentagon, führe direkt am Arlington Friedhof sowie der National Mall vorbei. Er schwärmt von den weit über 100.000 Teilnehmern solcher Paraden und dass die Kameraden aus den ganzen Staaten kämen. Jetzt wird uns auch klar, warum wir auf dem Weg nach Washington so oft auf Bikergruppen getroffen waren. Er sei in Vietnam gewesen, habe viele Kameraden verloren. „Und alles vermutlich für nichts …“, setzt er hinzu; er komme wegen der Kameraden, nicht wegen der Politik. In dem Museum würden wir viel Schlimmes über Amerikaner zu sehen bekommen …“
Irgendwie ist das auch Amerika – ein weißer Vietnamkriegsveteran mit Pathos und amerikanischem Patriotismus, der mit seiner schwarzen Freundin Schlange steht vor einem Museum, das sich der bitteren Geschichte der Afroamerikaner, wie es hier politisch korrekt heißt, widmet. Vor der Tür warten in der Mehrzahl schwarze US-Bürger, rund ein Viertel der Besucher sind „Weiße“.
Die Entstehung des Museums selbst widerspiegelt eine lange Geschichte des Negierens der afroamerikanischen Geschichte und des mangelnden Respekts für ihren Beitrag zur Entwicklung der USA. Und einen mühsamen Kampf. 1915, fünfzig Jahre nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, fragten sich schwarze Armeeveteranen, was ihnen der Kampf gegen die Sklaverei, für Freiheit und Demokratie angesichts der Rassendiskriminierung, verschärft durch „Segregation“-Gesetze (Apartheid in unserem heutigen Verständnis), der zahlreichen Lynchmorde durch den Ku-Klux-Klan und der Verweigerung des Wahlrechts gebracht habe. Ein Komitee wurde gegründet, um den Beitrag der afroamerikanischen Soldaten würdig mit einem „National Negro Memorial“ in Washington D.C. zu ehren. 1929 überzeugte man den Kongress von dieser Idee und brachte die Planung auf den Weg. Aber schon bald wurde im Schatten der großen Wirtschaftskrise die Planungsgruppe von Präsident Franklin D. Roosevelt aufgelöst.
Erst in den fünfziger und sechziger Jahren gab es angesichts der Bürgerrechtsbewegung ein neues Interesse an afroamerikanischer Kultur und Geschichte. Museen entstanden auf lokaler Ebene in Cleveland, Chicago, Detroit und Boston, gedacht für afroamerikanisches Publikum. In den späten Sechzigern begannen erneut Bemühungen für ein nationales Museum, das sich nun sowohl an Weiße als auch Schwarze richten sollte.
Der Autor James Baldwin setzte sich 1968 vor dem Kongress dafür ein: „Wenn wir eine multirassische Gesellschaft aufbauen wollen, die unsere einzige Chance ist , dann muss man akzeptieren, dass ich eine Menge von dir gelernt habe und eine Menge davon ist bitter, aber Du musst auch eine Menge von mir lernen und eine Menge davon wird bitter sein. Diese Bitterkeit ist unsere einzige Hoffnung. Nur so können wir sie hinter uns lassen […] Das ist unsere gemeinsame Geschichte. Meine Geschichte ist auch deine.“ Das erhoffte Gesetz kam nicht zustande. Aber Privatleute gründeten ohne staatliche Gelder 1988 ein nationales Museum an der ältesten privaten schwarzen Universität Wilberforce in Ohio.
Neue Anstrengungen für ein nationales Museum in Washington D.C. begannen dann Mitte der achtziger Jahre, aber erst 2001 wurde schließlich ein Gesetz zur Bildung einer Präsidentenkommission für den Bau des Museums verabschiedet. Und 2003 erschien der Bericht der Kommission unter dem sehr passenden Titel „Die Zeit ist gekommen“. 2006 wurde der zentrale Ort für das Museum bestimmt, nahe dem Washington Monument. 2012 schließlich begann der Bau, und am 24. September 2016, über 100 Jahre nach den ersten Initiativen, erfolgte schließlich die feierliche Eröffnung durch Präsident Obama. Ein langer Weg.
Das Museum führt in drei Untergeschossen zunächst durch die bittere Geschichte des Sklavenhandels und der Sklaverei, den Widerstand gegen diese und gegen Rassentrennung, die Bürgerrechtsbewegung, Black Power, um dann in den Obergeschossen auf das Leben in der Gemeinschaft, das zugleich Schutz und Trost bedeutete, und auf kulturelle und sportliche Erfolge einzugehen. Ja, Stolz zu demonstrieren.
In anschaulich-amerikanischer Weise findet man so – neben klug einordnenden Informationen – sowohl das Amulett einer Sklavin, Dokumente des Leids wie das Plakat „100 Dollar Belohnung für entlaufenen Neger-Mann namens Dick“ als auch Fotos und Werke berühmter Schwarzer, ihre Kostüme und Gitarren, und sogar den Cadillac von Chuck Berry. Verheißungen des amerikanischen Traumes, den die schwarzen Amerikaner wohl ebenso verinnerlicht haben wie die Weißen.
„Sklaverei und Freiheit“ überschreibt den Zeitraum von 1400 bis 1877. Die USA waren im Kontext des Sklavenhandels und der Sklaverei entstanden – und des Freiheitsgedankens. Es fällt schwer, angesichts der Dokumentation des Grauens beides zusammen zu bringen. Der Verkauf versklavter Menschen und ihre Arbeit bildete die Grundlage für den ökonomischen Erfolg der USA (und den Westeuropas – nicht zu vergessen). 1860 produzierten vier Millionen Sklaven mehr als 60 Prozent des Inlandsproduktes der USA.
Immer wieder gab es Hoffnung, durch Beteiligung an den Kämpfen für (oder gegen) die Unabhängigkeit der USA, beim Bürgerkrieg und später in den Weltkriegen die eigene Lage zu verbessern. Aber die Sklaverei wurde lediglich durch „Black Codes“ und später die „Jim Crow Laws“, Gesetze zur Rassentrennung, abgelöst. Es wurde diktiert, wie und wo Schwarze zu leben hatten, wo sie zur Schule gehen, wo sie Wasser trinken, wo sie den Bus benutzen dürfen. Diese Gesetze galten bis 1964.
Der Widerstand gegen die Demütigung und die Anpassung an Gefahr hatte viele Formen. Eigene Kirchen, die Gründung eigener Schulen oder Kampagnen wie „Donʼt buy where you canʼt work“, mit der Ladenbesitzer in schwarzen Gegenden gezwungen wurden, Afroamerikaner einzustellen. Fotos erinnern an Tommie Smith und John Carlos mit erhobenen Fäusten bei der olympischen Siegerehrung in Mexiko, Paul Robeson ist zu sehen, Rosa Parks. James Baldwin, Malcolm X, Martin Luther King Jr. Und das erste schwarze Mädchen, das in eine weiße Schule geht …
Ich sehe eine alte Frau weinen vor diesen Bildern, Männer, die ihre Tränen unterdrücken. Es gibt kleine Filme, in denen Menschen ihre ganz persönliche Geschichte erzählen. Auch einen Film, wie der Rassismus von weißer Seite den Rassismus auf schwarzer Seite beflügelt. Wie schwer es Martin Luther King Jr. in den eigenen Reihen hatte, angesichts von ausufernder rassistischer weißer Gewalt an Gewaltlosigkeit festzuhalten.
Das National Museum of African American History & Culture ist schwer erkämpft worden, und es gelingt ihm vor allem, Mut zu machen. Zu zeigen, dass beständiger Kampf doch schließlich Erfolg bringt. Obama als leuchtendes Beispiel. Die soziale Lage hat sich nicht grundsätzlich verbessert, muss man hinzufügen. Noch immer stellen Afroamerikaner das Gros der Armut, ein weißer Haushalt verfügt im Durchschnitt über ein mehr als 14-faches Einkommen als ein schwarzer Haushalt. Dennoch – das Museum ist ein Leuchtturm der Achtung, die den schwarzen US-Bürgern zusteht, und man spürt bei den Besuchern diese Sehnsucht nach Anerkennung und Respekt. Die neue Bewegung „Black Lives Matter“ zeigt allerdings auch, dass selbst die Zeit der Gewalt gegen Schwarze nicht vorbei ist.
Am nächsten Tag erleben wir „Rolling Thunder“, die große Biker-Parade der Armeeveteranen für ihre gefallenen und verwundeten Kameraden. Darunter afroamerikanische Veteranen, teils mit, teils ohne US-Flagge.
Schlagwörter: Ku-Klux-Klan, Margit van Ham, National Museum of African American History & Culture, Rassendiskriminierung, Sklaverei, USA, Veteran, Washington