von Bernhard Romeike
Wer sich auf Willy Brandt und Egon Bahr bezieht und über Außenpolitik redet, muss die deutsche Verantwortung für den Frieden in Europa in den Blick nehmen. Der sozialdemokratische Willy-Brandt-Kreis hatte am 12. Juni 2017 gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zum zweiten „Egon-Bahr-Symposium“ eingeladen. Das Thema lautete: „Die Zukunft des europäischen Friedens und Deutschlands Verantwortung“. Im Kern ging es um das Verhältnis zu Russland.
Mit der Erinnerung an das Bonmot von Bahr: „Amerika ist unverzichtbar, Russland ist unverrückbar“, hatte Matthias Platzeck, früherer Ministerpräsident Brandenburgs und jetzt Vorsitzender des Deutsch-Russischen-Forums, die entscheidende Herausforderung deutscher Außenpolitik benannt. Am Beginn seiner Ausführungen nahm er die übliche Kritik an seiner Position sogleich vorweg: Ihm werde oft vorgeworfen, er übe zu wenig Kritik an Russland. Daran sei jedoch in diesem Lande wahrlich kein Mangel, deshalb müsse er sich daran nicht auch noch beteiligen. Die alten antirussischen Stereotype aus der deutschen Geschichte sind in Politik und Medien Deutschlands wieder präsent. Aber auch die Betonung von Gemeinsamkeiten der Länder der Europäischen Union gegen Russland hilft dieser nicht aus ihrer Sinnkrise. Und Obama hat mit seinem Satz von Russland als „Regionalmacht“ dem Westen einen Bärendienst erwiesen. Russland kehrt nach den Verwerfungen der Jelzin-Jahre gerade als starker Nationalstaat auf die Bühne der Weltpolitik zurück.
Der Westen hatte den Kalten Krieg gewonnen und sah sich in einer Position moralischer Überlegenheit, so weiter Platzeck. Russland erwartete nach der Zustimmung zur deutschen Vereinigung und dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland ohne Vorbedingungen jedoch eine Begegnung auf Augenhöhe. Immerhin hatte es den Deutschen nach den deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg Versöhnung angeboten. Der Westen dagegen redet über mangelnde Pressefreiheit und Menschenrechte in Russland. Das Angebot zu guter Zusammenarbeit, das Präsident Putin Deutschland 2001 gemacht hatte, wurde ausgeschlagen. Insofern haben wir es heute mit einem wechselseitigen Gefühl der Enttäuschung zu tun. Mit dem Konflikt in der Ostukraine und um die Krim haben sich die Beziehungen weiter verschärft. Diese Konflikte werden von beiden Seiten völlig unterschiedlich dargestellt: Schuld ist immer der andere. Die „wertegeleitete Außenpolitik“ des Westens, von der heute so viel die Rede ist, zielt darauf ab, dass Russland sich und seine Politik ändern müsse, und dann könne es Zusammenarbeit geben. Brandt und Bahr dagegen haben in den härtesten Zeiten des Kalten Krieges ihre Entspannungspolitik entwickelt. „Wandel durch Annäherung“ meinte gerade nicht, erst muss sich die andere Seite wandeln, und dann kann es Annäherung geben. Dann wäre es nie etwas geworden.
Die anschließende Podiumsdiskussion hatte den großen Vorteil, dass die sozialdemokratischen Politiker nicht unter sich waren. Andrej Kortunow aus Moskau betonte, dass Russland und die EU einander brauchen. Nur wenige Nationalisten in Moskau freuen sich über die Schwierigkeiten in der EU und in deren Verhältnis zu den USA unter Donald Trump, die meisten Menschen in Russland, nicht nur die Regierung wollen gute Beziehungen.
Horst Teltschik, der für Helmut Kohl im Kanzleramt gearbeitet hatte und dort vor allem auch für die Beziehungen zu Moskau verantwortlich war, ging seinerseits auf die Schwierigkeiten Deutschlands im Verhältnis zu den USA ein. Nachdem Helmut Schmidt als Bundeskanzler abgewählt war, hatte der ihn empfangen, um ihm seine Einschätzungen zu wichtigen Punkten der internationalen Politik zu geben. Schmidt hielt sowohl Jimmy Carter als auch Ronald Reagan als US-Präsidenten für unfähig. Insofern sei die Situation mit Trump heute nicht völlig neu. Entscheidend ist, dass die Bundesregierung wissen muss, was sie will, und dies dann auch gegenüber der US-Regierung vertreten. Im Verhältnis zu Russland, das nach wie vor die zweite Atommacht in der Welt ist, muss die Frage der Sicherheit weiter erste Priorität haben. Und hier ist das größte Problem eines, über das derzeit niemand offen sprechen will: der Ausbruch eines unbeabsichtigten militärischen Konflikts, sei es infolge eines Computerfehlers, sei es durch Fehlentscheidungen von Militärs. In Bezug auf die Ukraine betonte Teltschik, dass sich in der EU seit Anfang der 1990er Jahre im Grunde niemand um das Land gekümmert hat, es kein Konzept und keine Politik gab. Erst nach dem Maidan waren plötzlich alle aufgeschreckt. Es wird aber keine Umsetzung des Minsk-Abkommens geben, wenn der Westen immer nur über Russland redet und nicht die Ukraine zwingt, sich entsprechend zu bewegen.
Der einzige aktive SPD-Parteipolitiker in der Runde, Ralf Stegner, betonte, dass die Große Koalition kein Dauerzustand sein könne. Die Demokratie lebe von den Differenzen zwischen den großen Parteien. Antje Vollmer, einst profilierte Politikerin der Grünen und viele Jahre Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, monierte zunächst, die Sozialdemokraten betonten ihre historischen Leistungen zu wenig. Dass die Bürgerrechtler das sowjetische Imperium zerstört hätten, sei nur die Hälfte der Wahrheit. Es waren Michail Gorbatschow, Glasnost und Perestroika, die ein Blutbad verhindert haben, und das, weil es positive Signale der Entspannung aus dem Westen gegeben hatte, die vor allem von Sozialdemokraten initiiert waren. Angela Merkel halte heute das Erbe der Bürgerrechtler hoch, obwohl sie da damals gar nicht dazugehört hatte. Deshalb betont sie gegenüber Russland immer wieder die Menschenrechte. Tatsächlich definiert Merkel die „europäischen Werte“ und den europäischen Zusammenhalt antirussisch. Das Antirussische ist für sie Teil des europäischen Zusammenhalts. Das sei jedoch eine völlig falsche Strategie. Deutschland als großes Land in der Mitte Europas muss heute eine ausgleichende Rolle für Gesamteuropa spielen. Dass Sanktionen nichts bewirken, stand im Grunde von Anfang an fest. Die stärken auf beiden Seiten immer die Falschen.
Es hat seit 2000 viele Versäumnisse in der deutschen Außenpolitik gegenüber Russland gegeben, unterstrich Vollmer, für einige sind Sozialdemokraten und Grüne verantwortlich. Mit Blick auf die Bundestagswahl kritisierte sie, es seien offenbar alle der Meinung, mit Außenpolitik könne man ohnehin keine Wahlen gewinnen und man sollte außenpolitische Themen deshalb aus dem Wahlkampf heraushalten. Die Wahlen seien, ehrlich gesagt, für die Sozialdemokraten ohnehin verloren. Deshalb sollten sie aufhören, Angst zu haben, nicht weiter der Linie von Hillary Clinton folgen und eine im Grunde oppositionelle Positionierung erarbeiten für eine alternative Außenpolitik. Das bedeutet, Abrüstung in dem Mittelpunkt zu stellen und gegen weitere Aufrüstung einzutreten.
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