von Dieter Naumann
Bereits 1897 hatte die „Helios Actien Gesellschaft für elektrisches Licht und Telegrafenbau“ aus Köln-Ehrenfeld in Bergen nicht nur ein Angebot zur Förderung von täglich 200 Kubikmetern Wasser (50 Liter pro Tag und Kopf bei 4.000 Einwohnern) abgegeben. Gleichzeitig fragte die Gesellschaft an, ob nicht ein Bach oder See in der Nähe sei, aus dem acht bis zehn Kubikmeter Wasser am Tag für „Puffmaschinen“ entnommen werden könnten. Man wollte nämlich ein kleines Elektrizitätswerk am selben Platz mit Gewinn betreiben. So sollte für 16 Pfennig pro Kubikmeter Wasser gefördert werden und damit sämtliche Unkosten gedeckt sein. Die 30 Pfennige pro Kilowattstunde Stromlieferung wären dann reiner Gewinn. Für die erforderliche Kesselanlage waren 16.850 Mark, für die Dampfmaschine („Puffmaschine“) nur 7.800 Mark veranschlagt, für Akkumulatoren-Batterien 8.490 Mark. Insgesamt belief sich das Angebot für das „Elektricitäts- und Wasserwerk“ auf 161.000 Mark. Noch 1897 wurde der Bau befürwortet.
Auch die Stadtbeleuchtungsanlage von Bergen wurde 1898 fertig gestellt. Allerdings konnten sich nur 85 Hausbesitzer (18 Prozent) die teuren Haus- und Lampenanschlüsse leisten. Den höchsten Preis zahlte Senator August Gootz, der – wohl für Geschäfts- und Wohnhaus – zweimal 165 Mark für 58 beziehungsweise 30 Lampen zahlte.
Zuvor – um 1870 – war eine Petroleum-Straßenbeleuchtung eingeführt worden. Bergen war zu dieser Zeit der einzige Ort Rügens, der sich diesen „Luxus“ erlaubte. Die Petroleum-Versorgung übernahm die deutsch-amerikanische Petroleum-Gesellschaft Stettin mit Eisenbahn-„Petroleumversandwagen“, aus denen die „Straßentransportwagen“ zur Belieferung der Abnehmer aufgefüllt wurden.
Anfangs wurden auch die Gassen und Häuser von Sassnitz noch mit brandgefährlichen Lampen erhellt, ehe der Bauunternehmer und spätere Kreidewerksbesitzer Carl Galitz 1896 die 45-KW-Dampfmaschine auf seinem Bauhof auch für Stromanschlüsse zur Verfügung stellte. Die Hoteliers und Villenbesitzer mussten ihm 600 Brennstellen garantieren, der Ort übernahm das Leitungsnetz. Der Reiseführer von Schuster von 1903 – 1904 vermerkte für Sassnitz: „In den Straßen leuchten Glühlampen, während die Strandpromenade des Abends im Glanze elektrischer Bogenlampen erstrahlt.“ Das damals noch von Sassnitz getrennte Crampas hatte da bereits davon profitiert, dass Bankier von Hansemann 1894 Teile seines Schlosses und Arbeiterwohnungen elektrifiziert hatte. Hotelier Alexander Brand organisierte auf seine Kosten privatwirtschaftliche Anschlüsse für die Häuser „Strandhof“ und „Strandburg“ und damit für die betuchte Bevölkerung des westlichen Crampas. Schon 1902 zählte Crampas mit Hafen und Eisenbahn 5.000 Brennstellen.
In einigen anderen Ortschaften wurden Elektrizitätsgenossenschaften gegründet, so 1913 in Trent (die damals elf Mitglieder wollten mit „126 Flammen“ durch die Siemens-Schuckert-Werke angeschlossen werden) und 1914 in Patzig, wo die einzelnen Genossen für Licht 35 Pfennige und für Kraft 18 Pfennige pro Kilowattstunde entrichten sollten.
1912 wurde Altenkirchen an die elektrische Überlandzentrale angeschlossen. Vorausgegangen war eine Veranstaltung im „Nordischen Hof“ über „die treffliche Anwendung der elektrischen Kraft in landwirtschaftlichen Betrieben“, zu der Rittergutsbesitzer Carl Klincke (Gut Dranske) und der Vertreter des Stromversorgers aus Stettin, ein Herr Sparr, geladen hatten. Nach einiger Diskussion einigten sich die Anwesenden auf eine Genossenschaft mit Satzung, Vorstand und Aufsichtsrat, damit man sich den Anschluss an die Überlandzentrale in Stralsund leisten könne. Ebenfalls in Altenkirchen war die Elektrizität auch Gegenstand eines Vortrages vor der dortigen Feuerwehr, über den das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt am 4. März 1913 berichtete: „Der Obermonteur Campe, Vertreter der Siemens-Schuckert-Werke von Stettin für unseren Ort, hielt auf Wunsch der Wehr einen Vortrag, in dem er das Verhalten der Feuerwehr gegen die Elektrizität im Falle eines Feuers erklärte.“
Kernstück der rügenschen Elektrizitätsversorgung war das Hochspannungsnetz der 1911 gegründeten Überlandzentrale Stralsund AG, mit den Kraftwerken Stralsund und Stettin, mit der alle regionalen Stromnetze der Insel verbunden waren.
Nach und nach schlossen sich immer mehr Gemeinden der Überlandzentrale an. So berichtete das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt am 4. November 1913 von Breege, dass die Gemeindevertretung den Anschluss des Ortes beschlossen und die notwendigen Arbeiten der Stralsunder Firma „Pommersche Eisengießerei und Reinhardt Lindner“ übertragen habe. Das Blatt erwartete dadurch eine positive Entwicklung des Ortes, „da ein Stromanschluß viele Vorzüge für die Gäste der Saison mit sich bringt“. Wenige Wochen später, am 27. März 1914, musste das Blatt jedoch melden, dass der Plan zum Anschluss zunächst fallengelassen werden musste, weil die Villenkolonie „keinen Grund und Boden zur Erbauung eines Transformatorenhauses von der angrenzenden Grundherrschaft erhalten“ hatte.
Widerstände gab es auch in Putbus. Der Ort verdankte den Einzug der Elektrizität zunächst Eduard Modrow, der 1886 die Brauerei an der Alleestraße übernahm und hier 1902 auch die elektrische Zentrale von Putbus einrichtete. Dadurch konnte Putbus am 27. Januar 1902 erstmals im elektrischen Licht erstrahlen. Ende Januar 1914 berichtete das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt allerdings, dass in einer Sitzung der Gemeindevertreter „das Gesuch des hiesigen Elektrizitätswerkes betr. Anschluß an die Überlandzentrale abgelehnt“ worden sei. Dies führte selbst bei der Zeitung zu Verwunderung, „da zahlreiche andere Orte auf der Insel Rügen sich bereits dazu entschlossen haben, sich an die Zentrale anzuschließen, um die Stromversorgung der Haushalte und Unternehmen zu gewährleisten“.
Als auf Wittow der Strom fließen konnte, gab es bald Beschwerden, über die das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt am 19. Juni 1913 schrieb: „Die elektrischen Zimmer- sowie die Straßenbeleuchtungen hierselbst sind immer noch insofern nicht vollkommen, als des Öfteren Störungen eintreten. Der Strom versagt hier und dort nicht selten, wenn meistens auch nur auf kurze Zeit, wodurch die betroffenen Lokalitäten in Dunkelheit gehüllt wurden und man demzufolge genötigt war, die Petroleumlampen wieder hervorzusuchen. Was bei dieser Störung aber noch fühlbarer in Erscheinung tritt, das ist die häufige Vernichtung einzelner Glaskörper (sogenannter Birnen), ganz abgesehen vom Durchbrennen zahlreicher Sicherungen. Es kam in letzter Zeit wiederholt vor, daß in einigen Häusern hierorts bis zu drei der elektrischen Glasbirnen, von verschiedenen Kerzenstärken, durch den unregelmäßigen Strom an einem und demselben Abend zerstört wurden, wodurch den Besitzern dieser Körper dann jedes Mal ein Schaden von ungefähr 2-8 Mark verursacht wurde.“
Für Letzteres wollte man übrigens den Stromlieferanten, die „A.E.G.-Gesellschaft“, schadenersatzpflichtig machen – im Wege von Abzügen von der Stromrechnung. Wie diese David-gegen-Goliath-Auseinandersetzung wohl ausgegangen sein mag?
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