von Klaus Hammer
Im Kölner Museum Ludwig ist sie zu Ende gegangen, im Kunstmuseum Basel wird sie nun bis 10. September gezeigt – die große Otto-Freundlich-Retrospektive „Kosmischer Kommunismus“, die erstmals eine umfassende Betrachtung dieses so innovativen Künstlers und europäischen Pioniers der ungegenständlichen Kunst ermöglicht. Sein visionärer Geist und sein tragisches Schicksal lassen wohl niemand unberührt.
Der 1878 in Stolp (heute Słupsk, Polen) geborene Otto Freundlich war zunächst ein geistiger Schüler der Künstlergruppierungen „Der Blaue Reiter“ und „Die Brücke“, er ordnete aber stets die dekorativen den expressiven Aspekten unter. Er hatte gleich Kontakt zur Berliner Bohème um den vielseitigen Herwarth Walden gefunden, in dem er einen Geistesverwandten erblickte. In Berliner und Münchener Zeitschriften erfolgten Freundlichs erste Veröffentlichungen von musik- und kunstkritischen Beiträgen. 1905 und 1906 brach er auch zu Reisen nach Italien auf, schuf in Florenz die Plastik „Männliche Maske“ mit selbstbildnishaften Zügen. 1908 und 1909 begab er sich nach Paris, wo er schnell Zugang zum Künstlerkreis am Montmartre fand. Nur 1910 kehrte er noch einmal nach Berlin zurück, seitdem hielt er sich fast ausschließlich bis zum Frühjahr 1914 in Paris auf.
In seinen 1930 verfassten „Erinnerungen“ an das damalige Künstlerleben in Paris schilderte er rückblickend das Erlebnis mit der französischen Avantgarde: „Die Einmütigkeit des Geistes, die Kameradschaftlichkeit unter diesen Wahlbrüdern war herrlich und durchstrahlte Paris mit dem Glanz der Morgenröte“. Es entstanden erste ungegenständliche Werke, wie „Komposition (Tableau décoratif)“. An der wegweisenden Sonderbundausstellung 1912 in Köln nahm der Künstler mit drei Plastiken: „Maske I“, „Maske II“, „Frauenbüste“ und einem Gemälde „Der Kranke“ teil.
An Freundlichs Plastiken kann man den fortschreitenden Abstraktionsprozess feststellen. Das sind keine Porträts im herkömmlichen Sinne mehr, sondern überindividuelle, maskenhafte Köpfe, sie demonstrieren das Wechselspiel von Zeigen und Verhüllen, wollen im Gegensatz zum „Ich“ einen festen Typus darstellen. Ihre Monumentalität soll ihnen Geistigkeit und überindividuelle Kraft verleihen. Breitflächige Gesichtsformen werden überschnitten von spiralförmigen Bewegungsformen, die ihren Ausgangspunkt in der Stirn, dem Sitz des Geistigen, haben.
Transparenz und gleißendes Licht kommen in seiner Malerei zusammen. Wunderbar leuchten die Pigmente auf seinen Pastellen und Gouachen. Die Kreise, Schwingungen und Strahlen spiegeln Freundlichs Vorstellung einer kosmischen, im Zusammenklang der Farben darstellbaren Ordnung.
In Paris hatte sich Freundlich einer Gruppe niederländischer Künstler, der sogenannten Kikkert-Gruppe, angeschlossen, in der man seine „absolute“ Malerei aus klar umgrenzten Farbflächen als eine Tendenz erkannte, die „in die gleiche Richtung ging wie wir“. 1913 zählte der berühmte Dichter und Kunsttheoretiker Guillaume Apollinaire in seinem Aufsatz „Die moderne Malerei“ Freundlich zu den „interessantesten deutschen Malern“.
Die Entdeckung der mittelalterlichen Glasmalereien 1914 in der Kathedrale von Chartres schlagen sich ab 1925, nachdem er wieder aus Deutschland nach Paris zurückgekehrt war, in seinen Mosaiken und Glasfenstern nieder, die sich durch elementare Größe, Geschlossenheit und Geradlinigkeit ihrer Entwicklung auszeichnen. Sie bauen sich aus kontrastierenden Formkomplexen (Segmente, Dreiecke, Rechtecke, Scheiben) in jeweils voneinander abgeleiteten Farbstufen auf, die einen geheimnisvollen Gegensatz von Licht und Schatten erzeugen. Es sind letztlich farbintensive, leuchtende Metaphern einer Weltanschauung, die ihre Sinngebung im Universalen fand. Denn Freundlichs Werke sind immer Metaphern geistiger Räume, die ins Unendliche streben.
1916 hatte er Abstraktion in dialektischer Entgegensetzung zur Kriegswirklichkeit als „geistigen“ Vorgang beschrieben: „Je ungeistiger, brutaler die Gegenwart, desto Geistigeres, Feineres muss man tun. Das ist Starksein“. Und an anderer Stelle: „Unser Sehen hat Zauberhände, unser Sehen bringt Erstarrtes in Bewegung: und Bruderhände löst unser Sehen allem Gefesselten, die sich nun entgegenstrecken und festhalten“. Er schloss sich der Anti-Kriegs-Bewegung an und publizierte aufrüttelnde Beiträge in Ludwig Rubiners Zeitschrift Zeit-Echo und in Franz Pfemferts Die Aktion. Auf die Kölner Dada-Bewegung übte er einen spürbaren Einfluss aus. 1918 wurde er im künstlerischen Beratungsausschuss des „Arbeitsrats für Kunst“ Gründungsmitglied der politisch geprägten Berliner „Novembergruppe“. Später sollte er sich mit anderen oppositionellen Künstlern gegen die kommerzielle Verwässerung der ursprünglich revolutionären Idee der „Novembergruppe“ zur Wehr setzen und sich „zur Revolution, zur neuen Gemeinschaft“ bekennen.
1919 prägte er den Begriff „Kosmischer Kommunismus“: Das individualistische „Ich“ soll sich „im bewegten Meer des kosmischen Gesamtleibes“ auflösen. Das kann man an der 1928 entstandenen Monumentalplastik „Ascension“ erläutern: Aufstieg, das heißt Überwindung der Schwere. Die Gesetze der Schwerkraft werden außer Kraft gesetzt, die lastenden Formen in schwebende Balance überführt. Freundlich befand sich auf dem Weg zu einer Formensprache, die geometrische und organische Elemente in sich vereint, jenseits konventioneller Abbildlichkeit. Dabei hatte er den freien Zusammenschluss selbständiger Einzelformen zu einer lebendigen „Gemeinschaft“ im Sinn. Er schuf ein plastisches Inszenarium aus zeichenhaften Symbolen in einem architektonischen Raum. Monumentales, Zeichen und menschliche Dimension, gegenständliche Formgestalt und abstrakter Aufbau, Natur und Kunstwerk, Skulptur und Landschaft sollten in harmonische Verbindung gebracht werden. Es war die Utopie eines Gesamtkunstwerkes.
Die Abstraktion zielte auch auf die ebene Fläche ab. Das Bild besteht aus planen Elementen, aus Geraden und Kreisen, die die ganze Oberfläche bedecken und sich darüber hinaus fortzusetzen scheinen. Dann wieder zersplittern sich die Ebenen und setzen sich aus viel kleineren Einheiten zusammen. Eine neue Syntax entsteht, die die Neugruppierung der Elemente bindet und sie dynamisiert.
Freundlichs Bildideen von Transparenz und harmonischer Architektonik als Synthese von Freiheit und Bindung im Kontext einer kosmischen Ordnung fanden 1930 in Paris mit der Ausstellung „Cercle et Carré“ und zwischen 1931 und 1934 als Mitglied der Gruppe „abstraction-création“ eine große Resonanz. Das plastische Werk des stets von finanziellen Sorgen geplagten Künstlers war im Gegensatz zu seinen abstrakten Bildern stärker figurativ geprägt. Aber auch hier erscheint das Kompositionsprinzip in sich abgeschlossener Elemente in rhythmisch-dynamischem Aufbau dem seiner Malerei sehr ähnlich.
Freundlichs Werk wurde von den Nazis verfemt und 1937 bei der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“ in München dem Hohn und Spott preisgegeben. Darunter auch jener große, heute verschollene Kopf von 1912, den die Nazis aus Propagandazwecken in „Der neue Mensch“ umbenannten und der als Titelbild des damaligen Ausstellungsführers diente. Als die „Entartete Kunst“ dann als Wanderausstellung durch Deutschland zog, wurde sie durch eine vergröberte Replik ersetzt, die jetzt wirklich wie eine „Illustration der NS-Vorstellungen von ‚entarteter Kunst’ wirkt“, wie es im Katalog heißt. Der Künstler beteiligte sich dagegen mit einigen Werken an der unter dem Titel „Modern German Art“ als Protestausstellung gegen die in Deutschland veranstaltete Ausstellung „Entartete Kunst“ konzipierten Veranstaltung in London.
Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges begann für ihn als Deutscher eine Irrfahrt durch verschiedene französische Sammel- und Internierungslager. In Deutschland als „entartet“ gebrandmarkt, zählte der Jude Freundlich in Frankreich zu den „boches“.1940 floh er in ein Dorf in den östlichen Pyrenäen, von seiner Lebenspartnerin Jeanne Kosnick-Kloss, mit der er seit 1930 zusammenlebte, begleitet. Er sammelte seine Erinnerungen, klärte Überzeugungen und Gedanken und brachte sie zu Papier, fertigte Pläne und Gouachen von Gemälden an, die man in Deutschland mit Füßen trat. 1943 wurde er aufgrund einer Denunzierung verhaftet und bald darauf in einem Eisenbahntransport ins KZ Lublin-Maidanek deportiert. Er starb noch am Tag seiner Ankunft in der Gaskammer. Wenige Tage vor seinem Tod war die Zeichnung „Der Lebensbaum“ entstanden, ein Zeichen des Abschieds und der Hoffnung, ein letzter Akt des Widerstandes.
Sein Nachlass befindet sich in der Fondation Otto Freundlich im Musée Pontoise unweit von Paris. Zusammen mit in der ganzen Welt verstreuten Werken – viele sind verschollen – kann man jetzt in Basel die Entwicklung dieses einzigartigen Künstlers verfolgen, der in der Grenzenlosigkeit der Abstraktion eine Befreiung der Kunst und des Individuums gesehen hat.
Otto Freundlich – Kosmischer Kommunismus. Kunstmuseum Basel, 10. Juni bis 10. September 2017. Katalog (Prestel Verlag) 49,95 Euro.
Schlagwörter: Abstraktion, Entartete Kunst, Klaus Hammer, Kunstmuseum Basel, Otto Freundlich