von Wolfram Adolphi
Es sieht schlecht aus für Asien. Und für die Welt. Das jedenfalls ist die Botschaft der Herausgeber und der Autoren des Buches „Sicherheit in Asien“. Das Werk ist als Band 67 der Reihe „Internationale Politik und Sicherheit“ der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin erschienen, mithin einer Organisation mit nicht weniger als 140 Mitarbeitern, die – so sagt sie es auf ihrer Website – „berät“, und zwar „politische Entscheidungsträger/innen“, und zwar „zu Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik bzw. der internationalen Politik“.
Nun bin ich kein „politischer Entscheidungsträger“, aber suche dennoch Beratung und finde: so gut wie keine. Doch, halt: Auf Seite 131 macht mir Margarete Klein in ihrem Aufsatz „Russlands Nordostasienpolitik: Die sicherheitspolitische Dimension“ ein Angebot, aus dem ich Hoffnung schöpfen könnte. Nachdem sie festgestellt hat, dass „die EU in Ostasien nur ein wirtschaftlicher, aber kein (sicherheits)politischer Akteur“ und daher „das Potential für eine Kooperation mit Russland in der Region gering“ sei, sieht sie dennoch „Anknüpfungspunkte“, und zwar „beim dritten Pfeiler der russischen Ostasienpolitik: der Stärkung multilateraler Sicherheitszusammenarbeit“. Dann bringt sie zwar nicht die Erfahrungen der sowjetischen Initiativen für kollektive Sicherheit in Asien, wie sie 1986-89 unter Gorbatschow ihren weltweit beachteten Höhepunkt fanden, ins Spiel, aber sie verweist immerhin auf „gemeinsame Erfahrungen“ der EU und Russlands „mit vertrauensbildenden Maßnahmen, Rüstungskontrolle und der Kooperation im Rahmen der OSZE.“ Allerdings entwertet sie diesen Ansatz im gleichen Atemzug schon wieder, indem sie ihm die Funktion zuweist, „den Aufstieg Chinas und die sich verschärfende chinesisch-amerikanische Konkurrenz einzuhegen“. Was soll – so stellt sich die Frage – multilaterale Zusammenarbeit bringen, wenn sie nicht auf die gegenseitige Einhegung aller Akteure gerichtet ist, sondern nur auf die Einhegung der jeweils anderen?
Aber das ist eben das Problem des ganzen Bandes. Er bietet eine ausführliche, ordentlich mit Quellen untersetzte Zusammenstellung aller möglichen Konfliktlinien und Konfliktfelder – es geht in den fünf verbleibenden Aufsätzen um China in der Sicherheitskooperation in Ostasien (Gudrun Wacker) und China im Fokus amerikanischer Sicherheitspolitik (Michael Paul), um Japan als regionaler Sicherheitsakteur (Alexandra Sakaki), Indonesiens Sicherheitspolitik (Felix Heiduk) und um Indien und die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Südasien (Christian Wagner) –, aber mehr eben auch nicht. Es ist dort – wenn auch immer mal auf „Chancen“ verwiesen wird, die die Lage immerhin „ambivalent“ gestalten – alles schlimm, und es wird noch schlimmer, noch konfrontativer werden: Das ist die Quintessenz der Beiträge.
Es macht Staunen und Angst zugleich, wie die Visions- und Zukunftslosigkeit neoliberaler Welt- und Gesellschaftsbetrachtung zur selbstverständlichen Grundausstattung auch eines Buches wie des vorliegenden gehört. Zu dieser Grundausstattung gehört die Unfähigkeit, die Welt anders zu denken als in der Konkurrenz der Mächte, die Unfähigkeit, sich zu lösen aus dem überkommenen westlichen Überlegenheitsdünkel. Das Buch ist viel zu sehr durch Parteinahme für den Westen durchtränkt, als dass es tatsächlich Beratung leisten könnte.
Wie, so fragt man sich, kann es sein, dass der Aufstieg Chinas im Grunde immer noch als die gleiche „Gelbe Gefahr“ verstanden wird, wie das schon bei der Zerschlagung des Boxeraufstandes 1900/1901 durch die Westmächte der Fall gewesen ist? China, schreiben die Herausgeber Günter Hilpert und Christian Wagner in der Einleitung, strebe an, „seine selbst erklärte Rolle als natürliche Vormacht in Asien wieder einzunehmen“ – es ist im Falle eines Gegners immer eine „selbst erklärte“ Rolle –, und das fordere die USA – in diesem Falle ohne den Zusatz „selbst erklärt“, womit eine Art „höhere Weihe“ für ihr Tun impliziert ist – zur „Gegenmachtbildung“ heraus mit einem „Netzwerk an militärischen Allianzen […], sicherheitspolitischen Partnerschaften […] und lokalen Marinestützpunkten“. Na klar: Die USA waren und sind immer nur „Gegenmacht“! Und als solche „natürlich“ Sicherheitsgarant! Man sollte nur für eine Sekunde darüber nachdenken, wie der obige Satz lauten würde, wenn die Länderbezeichnungen China und USA vertauscht würden (und an die Stelle des Wortes „Asien“ das Wort „Amerika“ träte). Dann zeigte sich augenblicklich die ganze Absurdität dieses vorsintflutlich parteiischen Herangehens.
Die – offenbar als unhintergehbar begriffene – Parteinahme für „den Westen“ in Weltfragen versperrt den Zugang zu einem Denken, das die Welt tatsächlich als Welt begreift: mit einer aus gleichberechtigten Menschen sich zusammensetzenden Menschheit, die, wenn sie nicht untergehen will, globale Existenzprobleme zu bewältigen hat, und zwar auf eine neue, die tödlichen Konkurrenzen mit ihren militärischen Drohungen und Hochrüstungsprogrammen überwindende Weise. Von dorther die Analyse aufzubauen und dann tatsächlich Beratung zu praktischem Handeln zu leisten wäre ein zu hoher Anspruch für ein Buch wie das vorliegende? Nun ja. Immerhin liegen mit China und Indien auf diesem Kontinent Asien zwei Staaten mit einer Bevölkerung von je mehr als einer Milliarde Menschen, die bereits jetzt mit Klima-, Wasser- und Luftproblemen in Dimensionen zu kämpfen haben, wie sie „im Westen“ kaum vorstellbar sind. Es wäre für Deutschland und die EU nützlich und sinnreich, Strategien zu entwickeln, mit denen man einer Lösung dieser Probleme näherkäme – zum Beispiel durch entschiedene politische, finanzielle und konzeptionelle Stärkung der UNO und ihrer Untergliederungen, durch gleichzeitigen Verzicht auf Rüstungsexporte und Beteiligung an militärischen Drohgebärden wie auch durch bi- und multilaterale Vereinbarungen zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit.
Aber so verstehen die Autoren ihr Buch nicht. Es beginnt nicht mit dem Blick auf die Welt, sondern mit dem Satz „Asien ist seit vielen Jahren durch paradoxe Entwicklungen gekennzeichnet.“ Nun denn.
Hanns Günther Hilpert, Christian Wagner (Hrsg.): Sicherheit in Asien. Konflikt, Konkurrenz, Kooperation, Nomos Verlag, Baden-Baden 2016, 236 Seiten, 49,00 Euro.
Schlagwörter: Asien, Nomos, Sicherheit, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Wolfram Adolphi