von Dieter Naumann
Am 23. Juli 1904 berichtete das „Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt“ über das noch nicht ganz 18 Jahre alte Dienstmädchen G., das am 6. Juni nach seinem Urlaub den Dienst bei Gastwirt Besch in Gingst wieder aufnehmen sollte. Wegen Kopfschmerz machte sich die G. erst am 7. Juni gegen 9:00 Uhr in Buschvitz auf und erschien rund acht Stunden später auf ihrer Dienststelle. „Sie begab sich ohne Entschuldigung an ihre Arbeit. Als sie wegen dieses Betragens zur Rede gestellt wurde, antwortete sie höchst unbescheiden, weshalb der Dienstherr auslangte, und sie einige Male ins Gesicht traf. Dies war für die G. der Anlaß, sich aufzumachen und den Dienst zu verlassen. Gegen eine polizeiliche Strafverfügung erhob sie sogar Einspruch. Sie wurde heute vor dem Schöffengericht zu Bergen belehrt, dass sie wegen leichter Körperverletzung nicht berechtigt war, den Dienst ohne Kündigung zu verlassen und wurde zu 6 Mk. oder 2 Tagen Haft verurteilt.“
Am 14. Juli 1910 meldete das „Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt“, dass der 14-jährige O. Kuchel zu Saßnitz von seinem Vater zum Bahnhof geschickt worden war, um sich nach Logiergästen umzusehen. Er hatte jedoch „nicht den für Hausdiener hierzu angewiesenen Stand eingenommen, noch die als Hausdiener erkenntlichen Abzeichen angelegt. Er kam vor dem Königlichen Schöffengericht zu Bergen mit der Strafe des Verweises davon, weil das Gericht annahm, daß der Angeschuldigte sich der Strafbarkeit seiner Handlung nicht bewußt gewesen sei“.
1904 hatte das gleiche Blatt über einen Beschluss der Badeverwaltung von Göhren „betreffs des Badebedienungspersonals“ informiert: „Es werden im ganzen 6 Bademeister und 7 Badewärterinnen bei den kalten Bädern tätig sein. Die Stelle eines Bademeisters im Warmbad wird wieder der Hausbesitzer Johann Jacob Schmidt bekleiden. Als Kassiererin fürs Damenbad wurde Fräulein Parchow eingestellt und die Wahl eines Kassierers fürs Herrenbad wurde noch nicht abgeschlossen. Außerdem wurden 2 Personen angestellt, welchen die Instand- und Sauberhaltung der Straßen obliegen soll.“
Meist gewährten nur derartige Meldungen über die drastische Bestrafung geringster Vergehen oder Anzeigen über Neu- oder Wiedereinstellungen einen bescheidenen zeitgenössischen Einblick in die Arbeitsverhältnisse der dienstbaren Geister der Badeorte. In der jüngeren Rügenliteratur sind es Veröffentlichungen der Ortschronisten oder persönliche Lebensberichte früherer Hotel- und Pensionsbesitzer. Nur daher wissen wir zum Beispiel, dass das Personal des 1905 in Sellin erbauten Hauses Lottum mit seinen 28 Zimmern für bis zu 80 Gästen in Vollpension aus zwei Zimmermädchen, einem Küchenmädchen, einer Geschirrspülerin, einem Hausdiener und einer Hilfskraft bestand, und dass den beiden Besitzerinnen der Pension Gudrun in Binz bei der Betreuung der Gäste und der Bewirtschaftung der 17 Doppel- und drei Einbettzimmer eine Mamsell, zwei Zimmermädchen und eine Küchenhilfe zur Seite standen.
Nahezu an jedem Zug oder Dampfer wurden die Gäste von Hausdienern erwartet, die ihnen das Gepäck abnahmen oder sie zu ihren Hotels und Pensionen fuhren. Aus einem Schreiben des „Rügenschen Ostseebäder-Verbandes“ aus dem Jahre 1910 ging hervor, dass allein in Binz bei einer Kleinbahnankunft 64 Hausdiener und 18 Hotelwagen zugegen waren. Das war bequem für den Badegast, hatte aber hin und wieder eine unerfreuliche Nebenwirkung: So versuchten einzelne Hausdiener, Kutscher und Chauffeure anderen Hotels und Pensionen Gäste abspenstig zu machen – „Gästestucken“ oder „Mietsschleppen“ nannte man das; angeblich wurden Prozente pro Kopf gezahlt, vereinzelt sollen Hausdiener sogar Gepäck der Badegäste zurückgehalten haben, um sie zu zwingen, in eine bestimmte Pension einzuziehen, selbst Prügeleien um Gäste soll es gegeben haben.
Der Berliner Journalist Gustav Rasch wurde schon 1856 bei seiner Rügenreise mit solcherart Kaperei konfrontiert: Der Kutscher hielt vor dem Hotel du Nord in Putbus „und sucht mir durch Explikationen (Erklärungen – D.N.) jeglicher Art begreiflich zu machen, dass Reisende meines Standes nicht im Gasthofe zum schwarzen Adler logieren können, sondern nur in den eleganten Zimmern des Hotel du Nord“.
Die Gemeindeverwaltungen versuchten mehr oder minder erfolgreich gegenzusteuern: In Sellin wurde 1904 „Sorge getragen, dass jegliche Belästigung der mit den Dampfern eintreffenden Fremden durch Hausdiener vermieden wird. Es ist zu dem Zweck auf dem Badestrande ein durch Tafel bezeichneter Hausdienerstand eingerichtet worden.“ Das Ostseebad Binz erließ um 1909 eine Polizeiverordnung, nach der „das Anbieten von Wohnungen und Diensten auf öffentlichen Straßen, Plätzen und auf der Landungsbrücke zu Binz verboten“ war. Zuwiderhandlungen zogen Geldstrafen bis zu neun Mark nach sich oder „im Unvermögensfalle“ eine Haft bis zu drei Tagen. Die Badegäste wurden aufgefordert, Pensionen und Hotels zu meiden, die ihnen durch Hausdiener und anderes Personal empfohlen würden, „denn nur minderwertige Häuser kapern Gäste!“.
Die Hauptaufgaben der Hausdiener bestanden neben dem Transport der Badegäste und ihres Gepäcks unter anderem in der Reinigung der Kleidung und dem Putzen des „Schuhzeugs“, wofür pro Woche und Person 1911 in Sellin eine Mark zu zahlen war. Der Preis reduzierte sich bei Familien je nach Anzahl der Personen bis auf 60 Pfennige.
Die Zimmermädchen waren neben der Zimmerbedienung meist auch für die Reinigung der Zimmer verantwortlich. Dafür wurden in Sellin 1911 pro Person und Zimmer 1,50 Mark veranschlagt, bei mehreren Personen eine Mark „für die Woche“. Bei voller täglicher Verpflegung wurden sechs Prozent der Gesamtwochenrechnung für Zimmerreinigung berechnet.
Für das Wohl der Badewilligen standen in den Warm- und Kaltbadeanstalten Badewärterinnen und -wärter zur Verfügung. Die Gemeindevertreter von Sassnitz stellten 1899 ganz klare Anforderungen an das Personal des Damenbades: Alle acht Frauen mussten „Kleider in blauer Farbe mit weißer, länglich runder Hamburger Mütze“ und „um den linken Oberarm […] ein weißes Band mit ihrer darauf verzeichneten Nr.“ tragen.
Das Badepersonal kontrollierte das rechtzeitige Verlassen der Badzellen, war für die Aufbewahrung der persönlichen Sachen der Badegäste verantwortlich, stellte Badewäsche zur Verfügung, hielt die Badeanstalten sauber und hatte die Badekleidung nach dem Bade zu trocknen und zu ordnen. Zeitgenössische Fotografien zeigen lange Leinen, an denen die damals üblichen Badekleider mit Ringelstreifenmuster im Wind flattern. 1911 zahlte man in den Kalt-Badeanstalten von Sellin für ein Badelaken zehn Pfennige, ein Handtuch fünf Pfennige, für ein „Damenbadekostüm“ zehn Pfennige, für eine Herrenbadehose fünf Pfennige, für ein Frottierlaken im Warmbad 20 Pfennige Leihgebühr. Hinsichtlich der Bezahlung hieß es in einem Prospekt der Badedirektion von Binz aus dem Jahre 1909 unmissverständlich: „Die Badeangestellten sind auf Trinkgelder angewiesen […].“
Teilweise frottierten die Wärterinnen und Wärter die Badegäste und erteilten Schwimmunterricht („Vergütung nach Uebereinkommen“ hieß es 1903 im Badeprospekt von Göhren). Es gab bald jedoch auch extra ausgebildete Masseure und Masseusen, wie etwa in Binz. „Masseur, Masseuse und Desinfektor sind angestellt. Das Bade-Dienstpersonal ist im Schwimmen und in der Behandlung anscheinend Ertrunkener ärztlich ausgebildet“, hieß es in „Praktische Winke“ 1928.
Das Badepersonal fungierte darüber hinaus häufig als die ersten Badeaufsichten und Rettungsschwimmer. Allerdings: „Wer die Sperrvorrichtungen in den Seebadeanstalten überschreitet, kann nicht darauf rechnen, im Falle der Gefahr gerettet zu werden“ (Sassnitz, 1927). Wenn in Binz für eine „eigenmächtig über die abgesperrte Schwimmgrenze hinaus geschwommene Person das Rettungsboot klargemacht werden“ musste, war dafür eine Gebühr von zehn Reichsmark zu zahlen.
Das Kassenpersonal in den Badeanstalten nahm in einigen Badeorten „Wertsachen zur Verhütung von Diebstählen gegen eine Gebühr von 10 Pfg. in Verwahrung“. Diese Art von Dienstleistung schien durchaus notwendig zu sein, berichtete doch das „Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt“ am 12. Juli 1907, dass sich die „Unvorsichtigkeit, zu den Bädern große Summen Geld bei sich zu stecken, […] wieder einmal schwer gerächt (hat). Gestern Vormittag wurden nämlich im hiesigen Herrenbade (in Sassnitz – D.N.) zwei recht freche Diebstähle begangen. Einem Herrn wurde aus seiner Zelle die goldene Uhr mit Kette und 35 Mark gestohlen, einem zweiten aber 350 Kronen und etwa 300 Mark in deutschem Gelde, rund also 1000 Mark. Leider ist es unserer Polizei bis heute noch nicht gelungen, den frechen Dieb zu ermitteln.“
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