von Günter Hayn
DIE LINKE ringt wieder einmal um ihre rechte Fassung. Das ist nichts Neues. Immer vor anstehenden Bundestagswahlen treibt es die Partei in Zerreißproben. Und seit fast zwei Jahrzehnten lautet ihre Gretchenfrage „Regieren oder Opponieren?“ Wobei die schüchterne Margarethe dem Dr. Faust ihre Nöte entschieden zurückhaltender offeriert: „[…] wie hast du’s mit der Religion?“ Das lässt Spielräume offen. Faust nutzt die auch sofort aus. In der Linkspartei wäre er als Abweichler der tiefsten Verachtung von links bis rechts und der der Mitte sowieso verfallen und hätte sich trollen müssen.
In der linken Parteiengeschichte ist das nichts Neues. Allerdings hat die DIE LINKE das ihr von ihren politischen Gegnern zugebilligte historische Rollenverständnis tief verinnerlicht. Sie betrachtet sich inzwischen selbst als die Partei des Mauerbaus und des „DDR-Unrechts“. Sie reduziert ihre Vorgeschichte gern auf die Geschichte der KPD, die allerdings schwierig genug ist. Das ist alles abgegessen und als Entree-Billett zum Mitspielen an den Kabinettstischen daher recht billig zu haben. Neben einer Portion Unterwürfigkeit reicht die gewohnte Entschuldigungsfloskel für das „getane Unrecht“ völlig aus.
Ein ungetrübter Blick auf die eigenen Wurzeln, zu denen auch sozialdemokratische gehören, wäre hilfreich. Die heutigen Probleme der LINKEN waren auch die Probleme der SPD kurz vor dem Machtantritt der Faschisten. Anna Siemsen, linke Sozialdemokratin und Bildungsreformerin, hatte Grundsätzliches dazu 1931 nach dem Leipziger Parteitag der Sozialdemokraten in ihrer Schrift „Parteidisziplin und sozialistische Überzeugung“ dargestellt.
Siemsen gibt Paul Levis Zustandsbeschreibung der SPD-Reichstagsfraktion, deren Mitglied er seit 1924 war, wieder: „Es gibt dort eine Linke und eine Rechte. Beide sind sehr klein, beide sind aktiv und haben ihre ausgesprochene Meinung. Zwischen ihnen aber ist die große, die an Zahl ganz überwiegende Mitte. Auch die hat eine Meinung, nämlich die Meinung des Fraktionsvorstandes. Jede Diskussion von rechts oder links ist im Grunde ein Luftgefecht, gegenstand- und ziellos und wird auch als solches empfunden und ungern ertragen. Die Mitte, die Majorität, die allein entscheidende, wartet, bis sie die Meinung des Fraktionsvorstandes weiß. Und für diese stimmt sie. […] Dies Bild gilt so ziemlich für alle Parteiinstanzen und zeigt deutlich die Entwicklung.“ Wenn man nun in Rechnung stellt, dass augenblicklich bei der Partei DIE LINKE der traditionelle „Parteiapparat“ aus finanziellen Gründen recht schwachbrüstig daherkommt, weiß man auch, warum dort Fraktionsvorständen aller Ebenen ein derartiges Gewicht bei fast allen politischen Entscheidungsfindungen zukommt. Sicherheitshalber dominieren die Fraktionen die Vorstände auch personell.
Deutlich wurde dies in der letzten Zeit an zwei „Orientierungen“: der Ausrichtung der Partei auf „rot-rot-grün“ (flapsig in Anlehnung an einen rostigen „Star Wars“-Roboter, man gibt sich gern witzig, „r2g“ genannt) und der Festlegung der Spitzenkandidaten. Letztere erfolgte per Eigendeklaration der beiden Gysi-Nachfolger Sarah Wagenknecht und Dietmar Bartsch als Doppelspitze der Bundestagsfraktion. Nachdem diese de facto durch ein Meinungsforschungsinstitut bestätigt wurde, blieb den de-jure-Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger nur zähneknirschend der Rückzug übrig. Wagenknecht und Bartsch legten sofort das Ruder des innerparteilichen Diskurses auf „Mitregieren“ um. Wen das bei Sarah Wagenknecht erstaunte, der hatte einfach nicht an die bevorstehende Saarland-Wahl gedacht. „Oskar“ setzte voll auf Wiedereinzug in das Kabinett.
Das ging gründlich daneben. DIE LINKE fuhr mit 12,9 Prozent ein auch bundesweit achtbares Ergebnis ein, es reichte aber bei weitem nicht aus. Was war das Problem? Mit der quasi vorweggenommenen Entscheidung „rot-rot“ (oder „rot-rot-grün“) ist es fast unmöglich, das eigene politische Profil in einer Mediengesellschaft überzeugend an die Wähler heranzubringen. Man ist zur Selbstzensur gezwungen. In Wahlkämpfen ist das tödlich. Das Saarland hat entsprechend reagiert. Anstelle einer unsicheren Option griff man auf das Bewährte zurück: Die CDU, genauer Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, erreichte einen Zuwachs um 5,5 Prozentpunkte auf 40,7 Prozent. 30.000 bisherige Nichtwähler gaben den Konservativen ihre Stimme. Die AfD, die sich in den letzten Wahlgängen als bundesweit erfolgreichste „Fischerin im Nichtwählerbecken“ zeigte, gewann aus diesem Wählersegment nur 8.000 Stimmen. Ebenfalls 8.000 kamen für die „richtig Rechten“ von CDU und LINKE (jeweils hälftig …). Der SPD nutzte der Schulz-Hype nichts: Einigermaßen stabil musste sie dennoch ein Prozent der Stimmen abgegeben.
Weshalb Dietmar Bartsch unmittelbar nach den Wahlen von einem für seine Partei „sensationellem“ Ergebnis sprach, versteht wohl nur er selbst. 2009 fuhr die LINKE unter Oskar Lafontaines Führung 21,3 Prozent ein, die reduzierten sich 2012 auf 16,1 Prozent. Auch diesmal verlor man, zwar „nur“ 3,2 Prozent, aber man verlor. Aus dem „Signal für den Herbst“ wurde nichts.
Wie der Bundestrend aussieht, werden allerdings erst die Landtagswahlen in einigen Wochen zeigen: Am 7. Mai wählt Schleswig-Holstein, am 14. Mai das bevölkerungsreichste Bundesland, Nordrhein-Westfalen. Für das bewusste Kleinreden der Ergebnisse an Saar und Mosel besteht aber kein Grund. „Die erste Wahl im Bundestagswahljahr, das bereits zum Super-Wahljahr hochgejazzt wurde, ist ein lokales Ereignis, dessen bundesweite Bedeutung in der heutigen medialen Berichterstattung maßlos überschätzt wurde.“ So der thüringische Kultur- und Europa-Minister Benjamin Hoff am „Tag danach“. Hoff baut wohl jetzt schon argumentativ der möglichen Schlappe im September vor … Ansonsten: Der „Durchmarsch“ der NSDAP begann in einem der kleinsten Länder des Reiches, im Freistaat Oldenburg. Der wurde nach den Landtagswahlen vom Mai 1932 von den Braunen allein regiert. In Berlin tat man das damals als für das Reich nicht relevant ab. Gerade auf die „Kleinen“ sollte man sehr genau schauen.
Hoff ist einer der Strippenzieher im – den „Regierungsflügel“ der LINKEN dominierenden – „Forum demokratischer Sozialismus“. Politik ist für diese Leute nur als Regierungshandeln denkbar. Schlichte Gemüter werfen ihnen gerne skrupellose Geld- und Machtgier vor. Das mag bei einigen zutreffen, hat aber eher etwas mit politischer Sozialisation zu tun. Die erfolgte beim Führungspersonal dieser Gruppierung in der Spätphase der DDR und war oft stark SED-geprägt. Als „Reformer“ distanzieren sie sich allerdings geradezu gebetsmühlenartig von der eigenen Herkunft. Das Hegelsche Staatsverständnis hat sich ihnen jedoch tief eingebrannt. Sie können nicht anders. Das haben sie gemeinsam mit jenem Teil der Funktionärskaste ihrer Partei, der entweder von der SPD – „Regieren ohne Sozialdemokraten? Das geht gar nicht!“ – oder von den Grünen übergelaufen ist. Deren Theorie vom „Marsch durch die Institutionen“, der allein die Gesellschaft verändern könne, kommt aus einer mit ähnlichen Ingredienzien arbeitenden Polit-Apotheke. Gemeinsam ist ihnen allen ein Politik-Verständnis, das den Weg zum Ziel verklärt. Nur, die Wähler möchten wissen, wohin der Weg denn nun geht …
Wer sich in der Partei diesem Dilemma zu stellen versucht , wird rasch abgestraft: „Schluß mit jeder Opposition und einheitliches Einschwenken auf die Parteilinie. […] Aus diesem Grunde wird auch jedes gemeinsame Arbeiten und Handeln, sofern es nicht parteioffiziell ist, […] denunziert und auf diese Weise bei schüchternen Gemütern ein ebenso ungesundes wie unmotiviertes Gewissen gezüchtet […].“ So erlebte es Anna Siemsen zu Beginn der 1930er Jahre. Es sei keineswegs „notwendig, Irrtümer der Kriegszeit zu wiederholen“, meinte sie. „Und Opposition aus sozialistischer Überzeugungstreue zeigt nicht persönliches Versagen an, sondern beweist die Notwendigkeit einer Richtungsänderung.“ Natürlich war das in den Wind gesprochen. Im Herbst 1931 fand sich Siemsen in der SAPD wieder. Erst nach der Rückkehr aus dem schweizerischen Exil trat sie 1946 in Hamburg wieder der SPD bei.
Es bleibt abzuwarten, welchen Weg DIE LINKE im Herbst 2017 einschlagen wird. Die Signale, die sie nach den Saarland-Wahlen abgibt, stimmen nicht sonderlich hoffnungsvoll. Man denkt weniger über Inhalte als vielmehr über „Kommunikationsprobleme“ nach: „Die Linke hat nichts falsch gemacht. Aber wir sind gut beraten, noch entschiedener mit unseren Positionen in den Wahlkampf zu ziehen und uns die Themen nicht von anderen vorgeben zu lassen.“ Das erklärte die Berliner Spitzenkandidatin Petra Pau der Berliner Zeitung auf die Frage nach den schmerzhaften Wahlkreisverlusten der LINKEN in Berlin an die AfD. Man kann sich die Welt auch schön reden.
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