20. Jahrgang | Nummer 8 | 10. April 2017

Der „Dreckskanacke“ als Journalist

von F.-B. Habel

Die Erdogan-Regierung trägt ihren Wahlkampf auf dem Rücken eines deutsch-türkischen Journalisten aus. Deniz Yücel, den ich 2011 in Zusammenhang mit der Verleihung des Kurt-Tucholsky-Preises als klugen, humorvollen, vielleicht manchmal zu hektischen Menschen kennenlernte, der privat nicht zu Provokationen neigt, wird in der Türkei verfolgt, weil er Deutscher ist, und in Deutschland „gehated“, weil er auch Türke ist.
Das begann spätestens 2011. Er hatte die Meldung aufgegriffen, dass das deutsche Volk wegen einer sinkenden Geburtenrate auf lange Sicht auszusterben drohe und schrieb in der taz, bei der er mehrere Jahre wirkte, die vielbeachtete Satire „Super, Deutschland schafft sich ab“. Er formulierte dabei durchaus provokant: „Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite. Eine Nation, deren größter Beitrag zur Zivilisationsgeschichte der Menschheit darin besteht, dem absolut Bösen Namen und Gesicht verliehen und, wie Wolfgang Pohrt einmal schrieb, den Krieg zum Sachwalter und Vollstrecker der Menschlichkeit gemacht zu haben; eine Nation, die seit jeher mit grenzenlosem Selbstmitleid, penetranter Besserwisserei und ewiger schlechter Laune auffällt; eine Nation, die Dutzende Ausdrücke für das Wort ‚meckern´ kennt, für alles Erotische sich aber anderer Leute Wörter borgen muss, weil die eigene Sprache nur verklemmtes, grobes oder klinisches Vokabular zu bieten hat, diese freudlose Nation also kann gerne dahinscheiden. […] Nun, da das Ende Deutschlands ausgemachte Sache ist, stellt sich die Frage, was mit dem Raum ohne Volk anzufangen ist, der bald in der Mitte Europas entstehen wird: Zwischen Polen und Frankreich aufteilen? Parzellieren und auf eBay versteigern? Palästinensern, Tuvaluern, Kabylen und anderen Bedürftigen schenken? Zu einem Naherholungsgebiet verwildern lassen? Oder lieber in einen Rübenacker verwandeln? Egal. Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal.“
Dass einige Leser, die satirische Darstellungen nicht gewohnt waren, auf den Artikel, den auch noch ein Autor mit türkischem Namen schrieb, sauer reagieren würden, dürfte Deniz Yücel einkalkuliert haben. Der Shitstorm zog sich aber von 2011-13 hin und hat noch kein Ende. Eine Auswahl der Wutausbrüche (einschließlich der orthografischen Fehler ihrer Schöpfer): „Personen wie dieser Autor gehören eingesperrt oder ausgewiesen. Ich danke dem Herrn, der Strafanzeige gestellt hat. Wir werden mit Sicherheit nicht zusehen wie dieverse Türken unser Land übernehmen. Das haben sie im 17. Jhd. schon einmal versucht und sind gescheitert.“ „Aufhängen die Drecksau!“ „Herr Yücel, tun Sie sich und Ihren Lesern einen Gefallen und gehen mal wieder für 3 Jahre in die Türkei. Dann wird Ihnen Ihr dekadentes Geschätz schnell vergehen und wenn Sie wieder geerdet sind, nehmen wir Sie genauso auf wie aktuell syrische und andere Flüchtlinge und Sie werden Ihr Gastland wieder zu schätzen wissen.“ „Wegen solchen deutschfeindlichen Dreckskanacken, werde ich nächstes Mal NPD wählen. Das Maß ist voll … !!!“
Jemand stellte dazu die naheliegende Frage: „Sind das TAZ-Leser? Kleingeistige beleidigte Hanswürste? Krass.“ Eine andere Meinung: „Ich lach mich weg! D. Yücel haut einen raus und der Großteil aller Kommentatoren reagiert exakt so angepisst, spießig, provinziell und aggressiv wie in der Kolumne beschrieben – that’s satire …“ Und schließlich: „Ich find‘ diesen Artikel sehr lustig, habe mich richtig amüsiert. So ein Spiegel muss ab und zu einfach sein! Damit trägt der Autor, inzwischen typisch deutscher Name übrigens, vielleicht gegen seinen Willen (obwohl ich mir da nicht sicher bin), dazu bei, dass sich D. eben doch nicht abschafft.“
Eigentlich ist das schon lange her. Aber es blieb aktuell. Heutige Rechtspopulisten nehmen Yücel ernst und machen Stimmung. Manchmal erhalte ich anonyme E-Mails von „Privat“ – so im März mit der Yücel-Satire von 2011, dazu den Kommentar: „Deniz Yücel – sehr lesenswert und nicht zu fassen – es werden Euch die Augen übergehen! … ich hoffe der Erdogan wird ihn so hart bestrafen, daß er noch von Deutschland träumen wird!!!!“
Leider sieht es momentan so aus, als könne „Privat“ Recht behalten. Umso eindeutiger müssen wir protestieren! Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft gab vor einer Woche eine Erklärung ab, in der des unter anderem heißt: „Bekanntermaßen gehörte die Bekämpfung von publizistischen Gegenstimmen durch konstruierte Vorwürfe unter Wahrung des rechtsstaatlichen Anscheins zu den von den Nationalsozialisten bereits unmittelbar nach der Machtübernahme verwendeten Methoden. Kurz: Indem man Journalismus zum Verbrechen erklärte. Kurt Tucholskys Nachfolger als Herausgeber der Weltbühne, der überzeugte Pazifist und spätere Nobelpreisträger Carl von Ossietzky starb an den Folgen dieser Praxis. […] Wir laden Deniz Yücel als Ehrengast zur diesjährigen Verleihung des Kurt-Tucholsky-Preises am 22. Oktober in das Theater im Palais ein und freuen uns auf seinen sicher grandiosen Beitrag.“