von Ulrich Busch
Eigentlich war die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle von der Politik bereits ad acta gelegt und unter der Rubrik „unrealistische Utopien“ oder „nicht finanzierbare Konzepte“ abgelegt worden. Nun aber ist sie wieder da und spielt im aktuellen Diskurs eine Rolle. Die Gründe dafür sind vor allem in der weiteren Zunahme der sozialen Ungleichheit und in der von immer mehr Menschen als „ungerecht“ empfundenen Einkommens- und Vermögensverteilung zu suchen, weniger aber in einer gewachsenen Realisierungschance dieser Idee. Hieran mangelt es nach wie vor, weshalb ihr die Unterstützung der Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, wie auch der meisten Wirtschaftsexperten und Fachleute, bisher versagt bleibt. Die Protagonisten eines bedingungslosen Grundeinkommens kratzt dies indes wenig; sie interessieren sich nicht für Ökonomie und Expertisen und sie setzen auch nicht auf gesellschaftlichen Konsens zwecks schrittweiser Realisierung ihres Konzepts. Ihnen geht es vielmehr um eine „soziale Revolution“ mittels Umverteilung, um eine „große Transformation“ der Gesellschaft über eine Redistribution des vorhandenen Reichtums. Geld, so ihre Devise, sei genug für alle da, es komme nur darauf an, es anders als bisher, sprich „gerechter“, zu verteilen.
Karl Marx hat für eine solche „flach auf der Hand liegende Vorstellung“ ökonomischer Zusammenhänge, worin die Distribution als „selbständige, unabhängige Sphäre“ und als vermeintlicher Ausgangspunkt politischen Handelns erscheint, den Begriff „Vulgärökonomie“ geprägt. Damit grenzte er sich und sein wissenschaftliches Verständnis ökonomischer Sachverhalte gegenüber seinen Gegnern strikt ab. Zu berücksichtigen ist zudem, dass es sich beim Grundeinkommen um ein verteilungspolitisches Projekt handelt. Die Verteilung aber gehört zur Ökonomie und sollte sich daher auch ökonomischer Argumente bedienen. Diese aber fehlen hier fast vollständig. So schreibt zum Beispiel der britische Entwicklungsökonom Guy Standing, die „grundsätzliche Rechtfertigung für ein Grundeinkommen“ ist „moralischer Natur“. Die Motivation dafür ergebe sich aus der „menschlichen Natur“: „Die Menschen wollen ihr Leben verbessern“, also „brauchen sie ein bedingungsloses Grundeinkommen“, denn nur dieses führt zu „mehr Freiheit“, während „zweckgebundene Leistungen“ die Freiheit „untergraben“. Diese Argumentation überzeugt ökonomisch nicht, da sie lediglich Wünsche zum Ausdruck bringt und auf Willensbekundungen basiert, nicht aber eine Notwendigkeit begründet. Dies beginnt sich jedoch gerade mit der Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt, der Automation, Robotik, komplexen Vernetzung, künstlichen Intelligenz und so weiter, kurz: mit der Umsetzung von „Industrie 4.0“, in den entwickelten Volkswirtschaften zu ändern. Wenn die Produktivitätsentwicklung und die ökonomische Wertschöpfung künftig nur noch im gesamtgesellschaftlichen Maßstab erfasst werden können und es nicht mehr möglich ist, die Leistung des Einzelnen, seinen individuellen Beitrag zur gesellschaftlichen Reproduktion und Reichtumsproduktion, zu messen, dann stoßen die bisherigen Formen der Entlohnung und Gewinnermittlung an Grenzen und es wird unabdingbar, neue Verteilungs- und Teilhabeformen zu etablieren. Damit rückt die Zeit für die Einführung eines Grundeinkommens näher. Dieses aber würde dann einen etwas anderen Charakter besitzen als das, was heute in politischen Programmen unter dieser Bezeichnung firmiert. Es wäre nun nämlich gerade kein Almosen mehr, das die Gesellschaft Arbeitenden wie Nichtarbeitenden, Besserverdienern wie Geringentlohnten, großzügig gewährt. Vielmehr wäre es jetzt der Anteil des Einzelnen am gesellschaftlichen Reichtum, basierend auf dessen vollem Arbeitseinsatz bei der Schaffung dieses Reichtums. Insofern gehen die Beispiele und Pilotprojekte, die Guy Standing für den Einsatz von Grundeinkommen zur Linderung von Armut und Elend in Entwicklungsländern anführt, an den Perspektiven dieser Verteilungsform in der Zukunft völlig vorbei. Es muss davon ausgegangen werden, dass es eher im Silicon Valley zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens kommen wird, als in den Armenvierteln von Kalkutta oder Nairobi. Wann dies jedoch der Fall sein wird und welche Kombinationen traditioneller und neuartiger Verteilungsformen sich dafür anbieten, hängt von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt vom Stand der gesellschaftlichen Produktivität, vom Umfang des tatsächlich verfügbaren Reichtums und von der Weitsicht der Unternehmer und der Politik.
Interessant bleibt indes die Frage, woher das Geld für das Grundeinkommen kommen wird. Die Antwort, die Guy Standing hierauf gibt, läuft auf Subventionskürzungen, höhere Steuern und zusätzliche Abgaben hinaus, vor allem natürlich für die Besserverdienenden und Vermögenden. Dies liegt in der Logik seines Konzepts, wonach das Grundeinkommen ein Instrument der Umverteilung von oben nach unten sein soll. Aber geht diese Rechnung auf?
Legt man den derzeit in Finnland erprobten Zahlbetrag für ein Grundeinkommen von 560 Euro pro Monat zugrunde, so würden durch eine analoge Einführung in Deutschland jährliche Kosten für den Staat in Höhe von rund 550 Milliarden Euro anfallen. Folgt man anderen Rechnungen, so wären es noch wesentlich mehr. Ronald Blaschke zum Beispiel kalkuliert mit mindestens 1.100 Euro pro Monat, also 13.200 Euro pro Person und Jahr. Hieraus folgt ein Bedarf von rund 1,1 Billionen Euro pro Jahr. Setzt man diese Größe zu den Gesamteinnahmen des Staates in Höhe von 1,4 Billionen Euro, den Steuern in Höhe von 735 Milliarden Euro oder den gesamten Sozialausgaben in Höhe von 758 Milliarden Euro ins Verhältnis, so wird deutlich, dass hier selbst bei Einsparungen und der Berücksichtigung von Substitutionseffekten ein gigantischer finanzieller Mehrbedarf entsteht. Dieser lässt sich aber nicht einfach durch Steuererhöhungen oder die Erhebung zusätzlicher Abgaben decken. Dafür ist er entschieden zu hoch. Auch versteht sich die Volkswirtschaft als ein Kreislaufsystem, worin jeder Euro nur einmal eingenommen und nur einmal ausgegeben werden kann. Einer Umverteilung sind dadurch enge Grenzen gesetzt, ob man dies wahrhaben will oder nicht! – Dies zu ignorieren und trotzdem ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle zu fordern, sozusagen als verteilungspolitischen „Befreiungsschlag“, kommt einem politischen Abenteuer gleich. Diese Forderung wird deshalb auch kaum eine durchsetzungsfähige Mehrheit finden. Die Einführung eines Grundeinkommens wäre auch kein „revolutionärer Akt“, wie die LINKE-Politikerin Petra Pau meint, sondern eher ein Versuch, Sozialpolitik auf der Grundlage vulgärökonomischer Konzepte zu praktizieren. Derartige Versuche aber sind bisher immer fehl gegangen. Die Zeit mag heute zwar reif sein für überschaubare Experimente wie derzeit in Finnland praktiziert, nicht aber für eine „soziale Revolution“ oder „große Transformation“ auf Basis der Digitalisierung. Ganz abgesehen davon, dass sich eine solche nicht via Umverteilung herbeiführen lässt.
Schlagwörter: Digitalisierung, Distribution, Grundeinkommen, Guy Standing, Petra Pau, Ronald Blaschke, Ulrich Busch, Umverteilung